Exotischer Materiezustand genau vermessen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf astronews.com
27. August 2024
Forschende am European XFEL haben eine innovative Methode entwickelt, um warme,
dichte Materie mit noch nie dagewesener Genauigkeit zu untersuchen. Diese Art
von Materie kommt in astrophysikalischen Objekten vor und wird auch bei der
sogenannten Trägheitsfusion erzeugt. Künftig kann sie genauer erforscht werden
als je zuvor.
Foto der elastisch
gestreuten Röntgenstrahlen (helles gelbes Licht
links) und der von den Plasmonen gestreuten
Strahlen (schwaches violettes Licht rechts).
Bild: T. Gawne /
CASUS [Großansicht] |
Materie unter extremen
Bedingungen zu erforschen, wie sie beispielsweise in astrophysikalischen
Objekten vorkommt, ist eine große Herausforderung. Dort herrschen enorme Hitze
und immense Drücke. Gleiches gilt bei der Zündung von Brennstoffkapseln bei der
Trägheitsfusion, die dereinst der sicheren Stromversorgung dienen soll. Mit der
Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HiBEF) an der High-Energy-Density-Experimentierstation
(HED) des European XFEL können diese Bedingungen erzeugt werden und mit den
brillanten Röntgenblitzen des European XFEL dieser exotische Zustand der Materie
genauer untersucht werden als je zuvor.
Auf der Erde ist Materie normalerweise fest, flüssig
oder gasförmig. Draußen im Weltraum gibt es aber oft eine weitere Form der
Materie: Plasma. Das ist heißes, ionisiertes Gas, bei dem die Elektronen von den
Atomkernen gelöst sind. Bei hohen Temperaturen und Dichten, wie sie
beispielsweise in Sternen oder beim Einschlag von Meteoriten auf Planeten
vorkommen, kann die Materie noch einen weiteren Zustand annehmen: warme, dichte
Materie. Sie ist zu heiß, um mit der Physik fester Körper beschrieben zu werden,
und zu dicht für die Physik des Plasmas. Charakteristisch für warme, dichte
Materie sind Temperaturen von 5.000 bis mehreren 100.000 Kelvin und Drücken, die
mehrere hunderttausend Mal höher sind als der auf der Erdoberfläche.
Ein Team unter der Leitung
von Thomas Preston von der HED-Experimentierstation am European XFEL hat nun die
Struktur und die Eigenschaften sogenannter Plasmonen in Aluminium untersucht.
Plasmonen sind kollektive Anregungen von Elektronen. Sie sind verantwortlich für
die optischen Eigenschaften von Metallen, Halbleitern und der warmen, dichten
Materie. Eine wichtige Methode zur Untersuchung dieser kollektiven Schwingungen
der Elektronen ist die Röntgen-Thomson-Streuung. Dabei verlieren einige der
Röntgenphotonen Energie und Impuls. Das können die Forscherinnen und Forscher
mit Spektrometern exakt messen.
Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, die diese
Anregungen ausschließlich mit einer Auflösung von einigen Elektronenvolt messen
konnten, hat Prestons Team nun zusammen mit Forschern des Helmholtz-Zentrums
Dresden-Rossendorf (HZDR) sowie des HZDR-Instituts Center for Advanced Systems
Understanding ultrahochauflösende
Röntgen-Thomson-Streuspektren aufgenommen, die eine mehr als zehnfach
verbesserte Energieauflösung haben: weniger als hundert Millielektronenvolt.
"Wir erkannten, dass wir einen bestehenden Aufbau
umfunktionieren konnten, der für noch höher aufgelöste Messungen von
Schwingungen in Festkörpern konzipiert war", erklärt Preston. "Durch eine
geschickte Wahl unserer Röntgenenergie können wir nun Energieverluste mit
höchster Präzision messen. Die Genauigkeit unserer Messungen ermöglichte es
jetzt, lange bestehende Diskrepanzen zwischen Simulationen und experimentellen
Beobachtungen zu beseitigen." Das Team plant nun, diese
Methode für noch höhere Temperaturen und Drücke weiterzuentwickeln.
"Diese aufregenden neuen Möglichkeiten am European XFEL
ermöglichen noch nie dagewesene Einblicke in das Verhalten von Materie unter
extremen Bedingungen", erklärt Thomas Gawne von der Nachwuchsgruppe
"Frontiers of Computational Quantum Many-Body Theory", die von Tobias Dornheim
geleitet wird. Dornheim hat kürzlich von der Europäischen Union eine Förderung
für ein Laserfusionsprojekt erhalten. Er plant, das Potenzial der
Röntgen-Thomson-Streuung auch für andere Gruppen zugänglich zu machen, damit
diese mithilfe des European XFEL ihre Experimente gezielter gestalten können
als es bisher möglich war.
Preston lobt die Zusammenarbeit mit den
CASUS-Wissenschaftlern: "Die einzigartige Kombination aus modernster Theorie an
CASUS und HZDR sowie den hochmodernen Experimenten an der
HED-Experimentierstation am European XFEL eröffnet der Wissenschaft ungeahnte
Möglichkeiten. Das Wechselspiel von Messung und Simulation ist entscheidend, um
zukunftsweisende Experimente durchführen zu können." Er ist der Überzeugung,
dass sich damit künftig viele Fragen zur Trägheitsfusion und der Erforschung
astrophysikalischer Objekte beantworten lassen.
Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift
Physical Review B veröffentlicht.
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