Neue Habitate auf Mond oder Mars und Raumfahrzeuge könnten
mit einem niedrigeren Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre betrieben werden. Doch
wie wirkt sich dieser Sauerstoffmangel und die Schwerelosigkeit auf das Gehirn
aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich ein Forschungsvorhaben europäischer
Studierender, denen die ESA dafür einen Parabelflug ermöglicht.
Es ist ein Forschungsprojekt mit möglicherweise großer Zukunftsrelevanz:
Aktuelle Pläne sehen vor, zukünftige Raumfahrzeuge und Weltraumhabitate mit
niedrigerem Sauerstoffgehalt zu betreiben. Wie sich dieser Sauerstoffmangel
bei gleichzeitiger Schwerelosigkeit aber auf die kognitive
Leistungsfähigkeit der Astronautinnen und Astronauten auswirkt, wurde
bislang nicht erforscht. Mit ihrem interdisziplinären Forschungsprojekt
"NeurO2flight" will die Wissenschaftlerin Constance Badalì diese
Wissenslücke schließen und hat den Zuschlag für ein Parabelflug-Experiment
im Rahmen des "ESA Academy Experiments Programme" erhalten.
Badalì ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut
für Bewegungs- und Neurowissenschaft der Deutschen Sporthochschule Köln. Im
Rahmen der langjährigen Forschungsaktivitäten des Instituts im Bereich der
Weltraumforschung hat die 30-Jährige bereits an mehreren
Parabelflugkampagnen mitgewirkt. Mit ihrem Projekt "NeurO2flight" startet im
November nun ihre erste eigene Kampagne. "Parabelflüge sind spezielle
Flugmanöver, bei denen eine nach unten geöffnete Parabel geflogen wird. So
wird beim An- und Abstieg doppelte Erdanziehungskraft erreicht und in der
Spitze 22 Sekunden Schwerelosigkeit", erklärt Badalì. Diese Gegebenheiten
will Badalì nutzen, um festzustellen, inwiefern Crewmitglieder bei
Weltraumflügen unter den genannten Bedingungen (Hypoxie und
Schwerelosigkeit) ihre optimale kognitive Leistungsfähigkeit beibehalten
können.
"Das Betreiben von zukünftigen Raumschiffen und Habitaten auf dem Mond
oder Mars mit niedrigem Druck und auch niedrigerem Sauerstoff hätte viele
medizinische, wirtschaftliche und logistische Vorteile", erklärt Badalì.
"Das Raumschiff könnte zum Beispiel schneller verlassen werden und es müsste
weniger Sauerstoff transportiert werden. Aber wie sind die Auswirkungen auf
die Besatzung? Das müssen wir vorher wissen."
Das Experiment besteht aus zwei separaten Teilen. Teil 1 konzentriert
sich auf den zerebralen Blutfluss, während Teil 2 auf die elektrokortikale
Aktivität und die neurokognitive Leistung ausgerichtet ist. Jeder Teil soll
sowohl in der 1G-Phase (normale Erdanziehung) als auch in Schwerelosigkeit
durchgeführt werden. Für die Datenerfassung werden verschiedene Systeme
eingesetzt. Hypoxische Luft wird mithilfe eines Hypoxie-Generators erzeugt,
welcher im eingeatmeten Gasgemisch Sauerstoff und Stickstoff voneinander
trennt und somit eine hypoxische Einatemluft generiert. Die Durchblutung des
Gehirns wird mittels Ultraschall gemessen, die Hirnaktivität mittels
Elektroenzephalographie (kurz EEG). Spezielle, in die EEG-Kappe integrierte,
Elektroden ermöglichen die Aufzeichnung der hämodynamischen Veränderungen
und des Sauerstoffgehalts im Gehirn (funktionelle Nah-Infrarot
Spektroskopie, kurz fNIRS).
Die kognitive Leistung wird anhand einer komplexen Doppelaufgabe
bewertet. "Die Hirndurchblutung versorgt das Gehirn mit Sauerstoff und
Nährstoffen und ist daher für die Aufrechterhaltung einer optimalen
Hirnaktivität unerlässlich. Diese wiederum bildet die Grundlage für die
kognitiven Funktionen und die Leistungsfähigkeit", erläutert Badalì. Das
Forschungsprojekt "NeurO2flight" ist ein interdisziplinäres Vorhaben, an dem
insgesamt fünf Studierende aus Europa beteiligt sind. Insgesamt hatten sich
zahlreiche Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dem
Auswahlverfahren des "ESA Academy Experiments Programme" gestellt, wobei am
Ende zwei Projekte ausgewählt wurden, die im November 2024 ihre
Forschungsidee im Parabelflug realisieren können.