Weltraumflüge führen zu vorzeitiger Alterung der Knochen
Redaktion
/ Pressemitteilung der Universität Erlangen-Nürnberg astronews.com
22. Juli 2022
Aufenthalte im Weltall schädigen die Knochenstruktur zum
Teil irreparabel und lassen Teile des Skeletts um bis zu zehn Jahre vorzeitig
altern. Das ist das Ergebnis einer jetzt vorgestellten Studie. Angepasste
Trainingsprogramme in Verbindung mit medikamentöser Unterstützung könnten
Astronautinnen und Astronauten auf künftigen Missionen besser schützen.
NASA-Astronaut Bob Hines beim Krafttraining
auf der Internationalen Raumstation ISS.
Foto: NASA [Großansicht] |
Fliegt der Mensch eines Tages zum Mars? Eine solche Mission wird seit
Jahrzehnten diskutiert – und sie ist nicht nur abhängig von den technischen
Voraussetzungen. "Wenn Menschen drei Jahre ununterbrochen im Weltall unterwegs
sind, müssen wir auch die gesundheitlichen Belastungen im Blick haben", sagt Dr.
Anna-Maria Liphardt. "Das gilt bereits für heutige Flüge, bei denen
Astronautinnen und Astronauten meist nicht länger als sechs Monate der
Schwerelosigkeit ausgesetzt sind."
Liphardt ist Sportwissenschaftlerin, hat am Deutschen Zentrum für Luft- und
Raumfahrt und an der Deutschen Sporthochschule Köln promoviert und erforscht am
Universitätsklinikum Erlangen die Auswirkungen rheumatisch-entzündlicher
Erkrankungen auf unser Skelett. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus
Deutschland, Kanada und den USA hat sie in einer Langzeitstudie untersucht, wie
sich die Knochenstruktur im Weltall verändert und wie sie sich auf der Erde
wieder erholt.
14 Männer und drei Frauen wurden vor ihrem Start ins Weltall sowie sechs und
zwölf Monate nach ihrer Rückkehr gecheckt: die Knochendichte und Stärke von
Tibea und Radius, also des Schienbeins und der Speiche, wurden ebenso bestimmt
wie die trabekuläre Mikrostruktur im Knocheninneren. Anhand von Biomarkern in
Blut und Urin wurde außerdem der Knochenumsatz gemessen. Die Ergebnisse sind
besorgniserregend: Selbst zwölf Monate nach dem Flug hatten sich neun von 17
Astronauten nicht vollständig erholt und zeigten eine um bis zu zwei Prozent
reduzierte Knochenstärke und -mineraldichte. "Das klingt nicht spektakulär, aber
es entspricht einem altersbedingten Knochenverlust von mindestens einem
Jahrzehnt", erklärt Anna-Maria Liphardt. "Die Konsequenz ist, dass die
Betroffenen mit deutlich früher beginnender Osteoporose und Anfälligkeit für
Brüche rechnen müssen."
Im Unterschied zur Alterung auf der Erde ist bei den Astronautinnen und
Astronauten weniger die Knochenhülle, sondern vielmehr die innere
Knochenstruktur betroffen. Einige der untersuchten Probandinnen und Probanden
wiesen bereits irreparable Schädigungen der stäbchenförmigen Trabekel auf. "Wir
konnten zeigen, dass die Regeneration umso schwieriger ist, je länger die
Astronautinnen und Astronauten im Weltall waren", so Liphardt.
Größere Regenerationsprobleme hatten auch jene Personen, bei denen vor dem
Flug ein höherer Knochenumsatz festgestellt wurde. "Knochenumsatz bedeutet, dass
Zellen abgebaut und wieder neu gebildet werden", erklärt Liphardt. "Menschen mit
höherer körperlicher Aktivität haben einen höheren Knochenumsatz – die
Schwierigkeit besteht darin, diese Aktivität während der Weltraummission
aufrecht zu erhalten." Zwar gebe es auf der ISS verschiedene Angebote für
sportliche Betätigung, vom Laufband über das Fahrradergometer bis hin zu
Kraftübungen wie dem Kreuzheben. Entscheidend sei jedoch, das Trainingsprogramm
während des Fluges besser an die individuellen Bedürfnisse anzupassen.
"Es ist eine besondere Herausforderung, neue Geräte zu entwickeln, die in der
Schwerelosigkeit funktionieren und wenig Platz beanspruchen", so Liphardt.
Profitieren könnten Astronautinnen und Astronauten auch von Medikamenten, wenn
sie zusätzlich zur Bewegung während des Fluges eingenommen werden. Dazu zählen
beispielsweise Bisphosphonate, die bereits erfolgreich zur Behandlung und
Vorbeugung von Osteoporose zum Einsatz kommen, weil sie den Knochenabbau hemmen.
"Bisphosphonate werden von der NASA bereits eingesetzt, allerdings weiß man noch
zu wenig darüber, wie sie in der Mikrogravitation genau wirken", erklärt
Liphardt. "Wir empfehlen, die Kombination aus medikamentöser Therapie und
körperlichem Training weiter systematisch zu untersuchen."
Mit ihrer Studie liefern die Forschenden nicht nur Erkenntnisse für künftige
Weltraummissionen. Muskel- und Knochenschwund infolge von Bewegungsmangel sind
auch ein zentrales Problem bei chronischen Erkrankungen auf der Erde. "In der
Rheumatologie ist nicht immer klar, welche Schäden durch die Entzündung und
welche durch Immobilität verursacht werden", sagt Liphardt. "Unsere Studie
könnte deshalb auch den Grundstein für neue oder angepasste Therapien legen."
Hilfreich wird dabei auch die neue Generation hochauflösender peripherer
quantitativer Computertomographen (HR-pQCT) sein, die bei der Astronautenstudie
zum Einsatz kam. Die Geräte sind in der Lage, die innere Knochenstruktur in
hoher Auflösung direkt abzubilden. "Bei älteren Geräten wurde ein Algorithmus
verwendet, um einzelne Parameter der Mikrostruktur aus dem erzeugten
Bildmaterial zu berechnen", erklärt Liphardt. "Dabei kam es zu ungenauen
Ergebnissen, vor allem bei trabekulären Knochenveränderungen." Seit einigen
Monaten verfügt nun auch die Medizinische Klinik 3 des Universitätsklinikums
Erlangen über ein solches HR-pQCT-Gerät der neuesten Generation – profitieren
werden davon jedoch keine Astronauten, sondern Patientinnen und Patienten mit
Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems.
Über die Studie berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Scientific Reports veröffentlicht wurde.
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