Warum werden Astronauten weitsichtig?
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
27. November 2020
Im Auftrag der amerikanischen Weltraumbehörde NASA führt das
DLR in Köln im kommenden Jahr zwei Bettruhestudien durch und sucht dafür noch
Probanden: Diese müssen den ganzen Tag im Bett verbringen, was die Effekte der
Schwerelosigkeit auf den Körper simulieren soll. Unter anderem will man ein
Mittel gegen die Weitsichtigkeit von Astronauten finden.
Im Rahmen der Bettruhestudie werden
zahlreiche wissenschaftliche Tests und
Experimente durchgeführt.
Foto: DLR [Großansicht] |
In der Schwerelosigkeit verändert sich der Körper: Muskeln und Knochen bauen
ab – und auch die Sehkraft lässt nach, vielleicht zusätzlich die Gehirnleistung.
Welche Konsequenzen hat das für zukünftige bemannte Missionen zum Mond oder zum
Mars? Und wie können die Astronautinnen und Astronauten, die jahrelang im All
unterwegs sind, die zunehmenden körperlichen Beeinträchtigungen aufhalten? Das
untersucht die neue Bettruhestudie im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
(DLR) in Köln. Für die Studie im Auftrag der NASA werden noch Teilnehmerinnen
und Teilnehmer gesucht, die jede Menge wissenschaftliche Tests durchführen und
30 Tage am Stück im Bett verbringen – aber anstrengend wird es trotzdem.
"Durch den Wegfall der Schwerkraft verschieben sich die Körperflüssigkeiten
in Richtung Kopf und rufen unter anderem Veränderungen an den Augen und im
Gehirn hervor", erklärt Andrea Nitsche vom Institut für Luft- und
Raumfahrtmedizin im DLR. "Das Ziel der Studie ist es, geeignete Maßnahmen zu
entwickeln, um diesen Problemen entgegenzuwirken." Die Bedingungen in der
Schwerelosigkeit lassen sich auf der Erde besonders gut im Liegen nachempfinden,
wenn sich die Flüssigkeiten im Körper gleichmäßig verteilen.
Um einen Effekt wie im All zu erzeugen, wird das Bett zusätzlich um sechs
Grad geneigt: Die Beine liegen also höher als der Kopf. So werden die Teilnehmer
einen ganzen Monat verbringen, dabei dürfen sie jedoch jederzeit zwischen
Bauch-, Rücken- und Seitenlage wechseln. Wichtigste Regel: immer eine Schulter
auf der Matratze lassen. Die Studie dauert insgesamt 59 Tage am Stück: 15 Tage
Eingewöhnung, 30 Tage Bettruhe und 14 Tage Erholung mit "Astronauten-Reha". In
der Zeit werden die Probanden wieder fit für den Alltag gemacht. Die Studie
startet mit der ersten Kampagne im April 2021, eine zweite Kampagne wird im
September 2021 durchgeführt.
Mit "Ruhe" im eigentlichen Sinn hat diese Studie allerdings nicht viel zu
tun: Der Tagesablauf ist durchgetaktet. Manchmal beginnen schon um 7 Uhr
medizinische Untersuchungen oder wissenschaftliche Tests, bisweilen enden sie
erst nach 22 Uhr. Es wird ein strenger Tag-Nacht-Rhythmus eingehalten,
Mittagsschlaf ist nicht erlaubt, die Mahlzeiten müssen aufgegessen werden und es
gibt auch nur das, was auf den Teller kommt: "Die Teilnehmer bekommen eine
individuell angepasste Ernährung, die dafür sorgt, dass sie ihr Gewicht halten",
sagte Nitsche. Auch die Getränkemenge ist strikt reglementiert.
"Die Teilnahme ist keine Kleinigkeit, sondern eine echte Herausforderung",
betont Edwin Mulder, Projektleiter der SANS-Bettruhestudie (Spaceflight-Associated
Neuro-Ocular Syndrome Countermeasures Study). "Aber es ist natürlich auch etwas
Außergewöhnliches, bei einem Projekt mitzumachen, das so wichtig für die
Raumfahrt ist. Unsere Probandinnen und Probanden sind Teil eines speziellen
kleinen Clubs, der 'terrestrischen Astronauten'!" Am Ende haben die Probanden
neben einer Aufwandsentschädigung auf jeden Fall die Gewissheit, dass sie die
Forschung vorangebracht haben.
Astronautinnen und Astronauten trainieren täglich im All, um den
Muskelschwund und das Absacken des Herz-Kreislauf-Systems einzudämmen. Aber was
kann dagegen getan werden, dass sie schlechter sehen? Genau genommen werden sie
durch die Ansammlung von Flüssigkeit am Auge weitsichtig. Das heißt, sie
bekommen Schwierigkeiten, in der Nähe scharf zu sehen. "Wir wollen herausfinden,
ob und wie wir das in den Griff kriegen", sagt Mulder.
Eine Methode, um die Körperflüssigkeit wieder in die untere Körperhälfte zu
verschieben, sind hunderte Runden in einer Zentrifuge. Durch die Fliehkräfte
wird der Körper einer künstlichen Schwerkraft ausgesetzt – ein Versuch aus einer
früheren Bettruhestudie. Für ein enges Raumschiff und seinen jahrelangen Weg
etwa zum Mars kommt eine Zentrifuge derzeit noch nicht infrage. Aber
möglicherweise kann ein Unterdruckzylinder für einen ähnlichen Effekt sorgen.
Deswegen liegen einige Teilnehmer zweimal täglich drei Stunden von der Hüfte
abwärts unter einer Plexiglas-Haube, in der ein Unterdruck erzeugt wird.
Damit wird eine frühe Raumfahrt-Idee wieder aufgegriffen:
Unterdruck-Experimente gab es schon in den 1970er Jahren auf einer Raumstation.
Die Kontrollgruppe der aktuellen Studie sitzt zweimal täglich drei Stunden
aufrecht auf einem Stuhl. So soll ermittelt werden, ob die vergleichsweise
kurzzeitige aufrechte Position und das Unterdruck-Experiment zu ähnlichen
Ergebnissen führen.
Bewerbungen für die erste Kampagne der SANS-Studie sind noch bis Mitte
Dezember möglich. Für die beiden Kampagnen werden insgesamt 24 gesunde Probanden
(zwölf Männer und zwölf Frauen) gesucht. Sie sollten zwischen 24 und 55 Jahren
alt, zwischen 1,53 und 1,90 Meter groß und Nichtraucher sein. Zum
Auswahlverfahren gehören unter anderem die Teilnahme an einer
Online-Informationsveranstaltung, ein psychologisches Interview und eine
medizinische Voruntersuchung.
Besondere Voraussetzungen müssen die Probanden nicht erfüllen, außer: "Es ist
uns wichtig, dass sich die Teilnehmer für die Raumfahrt interessieren und ihnen
klar ist, um was es hier geht", sagt Mulder. Während der Studie sind alle in
Einzelzimmern untergebracht, aber gänzlich isoliert sind sie nicht: Auch in
Kopftieflage besteht für sie die Möglichkeit, sich in der Freizeit mit dem Bett
in einen Aufenthaltsraum schieben zu lassen, zum Beispiel zum Fernsehen, Essen
oder Reden. Zwischendurch kommt auch mal ein Astronaut zu Besuch – zum
gemeinsamen Erfahrungsaustausch über die Schwerelosigkeit.
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