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Das deutsche eROSITA-Konsortium hat jetzt präzise Messungen des gesamten Materiegehalts des Universums und seiner Verklumpung vorgestellt. Diese basieren auf einer Analyse, wie sich Galaxienhaufen im Laufe der Zeit entwickeln haben. Die Ergebnisse bestätigen das kosmologische Standardmodell. Zudem wurde ein umfassender Katalog von Galaxienhaufen und Superhaufen vorgestellt.
Vor zwei Wochen veröffentlichte das deutsche eROSITA-Konsortium seine Daten der ersten vollständigen Himmelsdurchmusterung. Das Hauptziel der Mission ist ein besseres Verständnis der Kosmologie mittels der Messung, wie sich Galaxienhaufen - einige der größten Strukturen in unserem Universum - im Laufe der kosmischen Zeit entwickeln. eROSITA beobachtet die Röntgenstrahlung, die von heißem Gas in Galaxienhaufen emittiert wird, und kann damit sowohl die Gesamtmenge der Materie im Universum als auch deren Verklumpung präzise messen. Die eROSITA-Messungen beseitigen frühere Unstimmigkeiten zwischen bisherigen Messungen der Verklumpung mit verschiedenen Techniken, insbesondere dem kosmischen Mikrowellenhintergrund (CMB) und dem schwachen Gravitationslinseneffekt. "eROSITA etabliert damit die Messung der Entwicklung von Galaxienhaufen als Instrument für die Präzisionskosmologie", sagt Dr. Esra Bulbul vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE), die das eROSITA-Team für Galaxienhaufen und Kosmologie leitet und die Ergebnisse heute vorstellte. "Die kosmischen Parameter, die wir aus Galaxienhaufen messen, stimmen mit den modernsten CMB-Daten überein und zeigen, dass das gleiche kosmologische Modell von kurz nach dem Urknall bis heute gilt." Nach dem kosmischen Standardmodell, dem sogenannten "Lambda Cold Dark Matter" (ΛCDM)-Modell, war das junge Universum ein extrem heißes, dichtes Meer aus Photonen und Teilchen. Im Laufe der kosmischen Zeit wuchsen winzige Dichteunterschiede zu den großen Galaxien und Galaxienhaufen, die wir heute sehen. Die Beobachtungen der eROSITA-Galaxienhaufen zeigen, dass alle Arten von Materie (sichtbare und dunkle) 29 Prozent der Gesamtenergiedichte des Universums ausmachen - in hervorragender Übereinstimmung mit Werten aus Messungen der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung aus der Frühzeit des Universums.
Neben der Messung der Gesamtmateriedichte hat eROSITA auch die Verklumpung der Materieverteilung mithilfe eines Parameters namens S8 gemessen. In den letzten Jahren hat sich in der Kosmologie die sogenannte "S8-Spannung" herausgebildet. Diese besteht darin, dass bei Studien basierend auf dem kosmischen Mikrowellenhintergrund ein höherer S8-Wert gemessen wird als z. B. bei kosmologischen Durchmusterungen aufgrund des schwachen Gravitationslinseneffekts. Es könnte auf eine neue Physik hindeuten, wenn diese Spannung nicht aufgelöst werden kann - und genau das hat eROSITA getan. "eROSITA sagt uns, dass sich das Universum während der gesamten kosmischen Geschichte verhalten hat wie erwartet", sagt Dr. Vittorio Ghirardini, Postdoktorand am MPE und verantwortlich für die kosmologische Studie. "Es gibt keine Spannungen mit dem CMB - vielleicht können sich die Kosmologen jetzt ein wenig entspannen." Die größten Strukturen im Universum enthalten zudem Informationen über die kleinsten Teilchen: Neutrinos. Diese Leichtgewichte sind fast unmöglich zu entdecken. "Es mag paradox klingen, aber wir haben durch die Häufigkeit der größten Halos aus Dunkler Materie im Universum enge Grenzen für die Masse der leichtesten bekannten Teilchen gefunden", sagt Ghirardini. Obwohl Neutrinos klein sind, sind sie "heiß", d. h. sie bewegen sich fast mit Lichtgeschwindigkeit. Daher neigen sie dazu, die Verteilung der Materie zu glätten - was durch die Analyse der Entwicklung der größten kosmischen Strukturen untersucht werden kann. "Wir stehen sogar kurz vor einem Durchbruch bei der Messung der Gesamtmasse der Neutrinos, wenn wir sie mit Neutrinoexperimenten auf der Erde zusammenbringen", fügt Ghirardini hinzu. Die Häufigkeit der Haufen in den eROSITA-Daten allein ergibt eine Obergrenze für die Gesamtmasse von 0,22 eV; in Kombination mit den CMB-Daten verringert sich diese sogar auf 0,11 eV (bei einem Vertrauensniveau von 95%). Dies ist die bisher genaueste kombinierte Messung aus allen kosmologischen Beobachtungen. eROSITA kann der Forschung aber noch mehr über die Beschaffenheit des Universums verraten: Die Gravitationstheorien sagen voraus, dass große kosmische Strukturen im Laufe der Entwicklung des Universums mit einer bestimmten Geschwindigkeit wachsen sollten. Mit den eROSITA-Daten kann diese Wachstumsrate gemessen werden. Obwohl es noch zu früh ist, um mit Sicherheit eine Aussage treffen zu können, scheint die Rate zu späten Zeiten etwas langsamer zu sein, als Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt. "Wir könnten kurz vor einer neuen Entdeckung stehen", sagt Dr. Emmanuel Artis, ein Postdoktorand am MPE. "Wenn das bestätigt werden kann, wird eROSITA den Weg für neue spannende Theorien jenseits der Allgemeinen Relativitätstheorie weisen." All diese Ergebnisse basieren auf einem der bisher größten reinen Kataloge von Galaxienhaufen, der ebenfalls heute der Öffentlichkeit vorgestellt wird. In der Hälfte der ersten eROSITA-Himmelsdurchmusterung entdeckten die Wissenschaftler 12.247 optisch identifizierte Galaxienhaufen. "8.361 davon sind Neuentdeckungen - mehr als 80%", staunt Dr. Matthias Kluge, Postdoktorand am MPE und verantwortlich für die optische Identifikation der entdeckten Haufen. "Das zeigt das enorme Entdeckungspotenzial von eROSITA." Bezieht man die Entfernung der Galaxienhaufen mit ein, so befinden sich diese an den Schnittpunkten des sogenannten kosmischen Netzes. Der ebenfalls heute veröffentlichte Superhaufen-Katalog kartiert die Galaxienhaufen und wie sie mit großräumigen Filamenten miteinander verbunden sind. "Wir haben mehr als 1300 Superhaufensysteme gefunden, was dies zur bisher größten Sammlung von Röntgen-Superhaufen macht", sagt Dr. Ang Liu, Postdoktorand am MPE. Ein weiteres Erfolgsgeheimnis dieser Studie war die korrekte Reproduktion der eROSITA-Beobachtungen durch umfangreiche Computersimulationen. "Auf diese Weise konnten wir die Haufen in den eROSITA-Daten vollständig erfassen, indem wir verstanden, welche wir übersehen haben", sagt Dr. Nicolas Clerc, Forscher am IRAP in Toulouse. "Der Umgang mit diesen so genannten 'Selektionsfehlern' war eine zusätzliche Schwierigkeit bei unserer Arbeit". Um die Masse der einzelnen Sternhaufen zu messen, nutzten die Wissenschaftler des eROSITA-Teams ein schwaches Gravitationssignal, das aus drei optischen Durchmusterungen stammt: der von Europa geleiteten KiloDegree-Survey, der von den USA geleiteten Dark Energy Survey und das von Japan geleitete Hyper Suprime-Cam Subaru Strategic Program. Der sogenannte schwache Gravitationslinseneffekt tritt auf, wenn das Licht von Hintergrundgalaxien durch gravitative Wechselwirkungen mit dem Haufen im Vordergrund verzerrt wird. Die Kosmologen entschlüsseln diese Verzerrungen, um die Masse der Galaxienhaufen zu bestimmen. "Während wir die monumentale Leistung des eROSITA-Teams würdigen, sind wir gespannt auf die aufregenden weiteren Entdeckungen, die unser Verständnis der Ursprünge und der Entwicklung unseres Universums vertiefen werden", betont Bulbul. Das eROSITA-Team ist gespannt darauf, die im Februar 2022 abgeschlossenen 4,5 vollständigen Himmelsdurchmusterungen weiter zu analysieren. "Wenn die vollständigen Daten ausgewertet sind, wird eROSITA unsere kosmologischen Modelle dem strengsten Test unterziehen, der jemals mit einer Durchmusterung von Galaxienhaufen durchgeführt wurde." Ein Fachartikel zu den Resultaten wurde bei Astronomy & Astrophysics zur Veröffentlichung eingereicht.
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