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Messungen des Materiegehalts des Universums bestätigen Standardmodell
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
14. Februar 2024
Das deutsche eROSITA-Konsortium hat jetzt präzise Messungen
des gesamten Materiegehalts des Universums und seiner Verklumpung vorgestellt.
Diese basieren auf einer Analyse, wie sich Galaxienhaufen im Laufe der Zeit
entwickeln haben. Die Ergebnisse bestätigen das kosmologische Standardmodell.
Zudem wurde ein umfassender Katalog von Galaxienhaufen und Superhaufen
vorgestellt.
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Dieses Bild zeigt den eROSITA
Galaxienhaufen-Katalog (aus der ersten Datenveröffentlichung),
überlagert auf der eROSITA-Karte des halben Himmels (im
Energieband von 0,3-2,3 keV, azimutale gleichmäßige
Flächenprojektion). Die Farben geben die Rotverschiebung
(Entfernung) der Haufen an, die von 0 bis 1,3 reicht (d.h. das
Licht war bis zu 9 Milliarden Jahre unterwegs); die Größe der
Kreise zeigt die scheinbare Röntgenhelligkeit der Quelle.
Bild:
MPE, J. Sanders für das eROSITA-Konsortium [Großansicht] |
Vor zwei Wochen veröffentlichte das deutsche eROSITA-Konsortium seine Daten
der ersten vollständigen Himmelsdurchmusterung. Das Hauptziel der Mission ist
ein besseres Verständnis der Kosmologie mittels der Messung, wie sich
Galaxienhaufen - einige der größten Strukturen in unserem Universum - im Laufe
der kosmischen Zeit entwickeln. eROSITA beobachtet die Röntgenstrahlung, die von
heißem Gas in Galaxienhaufen emittiert wird, und kann damit sowohl die
Gesamtmenge der Materie im Universum als auch deren Verklumpung präzise messen.
Die eROSITA-Messungen beseitigen frühere Unstimmigkeiten zwischen bisherigen
Messungen der Verklumpung mit verschiedenen Techniken, insbesondere dem
kosmischen Mikrowellenhintergrund (CMB) und dem schwachen
Gravitationslinseneffekt.
"eROSITA etabliert damit die Messung der Entwicklung von Galaxienhaufen als
Instrument für die Präzisionskosmologie", sagt Dr. Esra Bulbul vom
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE), die das eROSITA-Team
für Galaxienhaufen und Kosmologie leitet und die Ergebnisse heute vorstellte.
"Die kosmischen Parameter, die wir aus Galaxienhaufen messen, stimmen mit den
modernsten CMB-Daten überein und zeigen, dass das gleiche kosmologische Modell
von kurz nach dem Urknall bis heute gilt."
Nach dem kosmischen Standardmodell, dem sogenannten "Lambda Cold Dark Matter"
(ΛCDM)-Modell, war das junge Universum ein extrem heißes, dichtes Meer aus
Photonen und Teilchen. Im Laufe der kosmischen Zeit wuchsen winzige
Dichteunterschiede zu den großen Galaxien und Galaxienhaufen, die wir heute
sehen. Die Beobachtungen der eROSITA-Galaxienhaufen zeigen, dass alle Arten von
Materie (sichtbare und dunkle) 29 Prozent der Gesamtenergiedichte des Universums
ausmachen - in hervorragender Übereinstimmung mit Werten aus Messungen der
kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung aus der Frühzeit des Universums.
Neben der Messung der Gesamtmateriedichte hat eROSITA auch die Verklumpung
der Materieverteilung mithilfe eines Parameters namens S8 gemessen. In den
letzten Jahren hat sich in der Kosmologie die sogenannte "S8-Spannung"
herausgebildet. Diese besteht darin, dass bei Studien basierend auf dem
kosmischen Mikrowellenhintergrund ein höherer S8-Wert gemessen wird als z. B.
bei kosmologischen Durchmusterungen aufgrund des schwachen
Gravitationslinseneffekts. Es könnte auf eine neue Physik hindeuten, wenn diese
Spannung nicht aufgelöst werden kann - und genau das hat eROSITA getan. "eROSITA
sagt uns, dass sich das Universum während der gesamten kosmischen Geschichte
verhalten hat wie erwartet", sagt Dr. Vittorio Ghirardini, Postdoktorand am MPE
und verantwortlich für die kosmologische Studie. "Es gibt keine Spannungen mit
dem CMB - vielleicht können sich die Kosmologen jetzt ein wenig entspannen."
Die größten Strukturen im Universum enthalten zudem Informationen über die
kleinsten Teilchen: Neutrinos. Diese Leichtgewichte sind fast unmöglich zu
entdecken. "Es mag paradox klingen, aber wir haben durch die Häufigkeit der
größten Halos aus Dunkler Materie im Universum enge Grenzen für die Masse der
leichtesten bekannten Teilchen gefunden", sagt Ghirardini. Obwohl Neutrinos
klein sind, sind sie "heiß", d. h. sie bewegen sich fast mit
Lichtgeschwindigkeit. Daher neigen sie dazu, die Verteilung der Materie zu
glätten - was durch die Analyse der Entwicklung der größten kosmischen
Strukturen untersucht werden kann. "Wir stehen sogar kurz vor einem Durchbruch
bei der Messung der Gesamtmasse der Neutrinos, wenn wir sie mit
Neutrinoexperimenten auf der Erde zusammenbringen", fügt Ghirardini hinzu. Die
Häufigkeit der Haufen in den eROSITA-Daten allein ergibt eine Obergrenze für die
Gesamtmasse von 0,22 eV; in Kombination mit den CMB-Daten verringert sich diese
sogar auf 0,11 eV (bei einem Vertrauensniveau von 95%). Dies ist die bisher
genaueste kombinierte Messung aus allen kosmologischen Beobachtungen.
eROSITA kann der Forschung aber noch mehr über die Beschaffenheit des
Universums verraten: Die Gravitationstheorien sagen voraus, dass große kosmische
Strukturen im Laufe der Entwicklung des Universums mit einer bestimmten
Geschwindigkeit wachsen sollten. Mit den eROSITA-Daten kann diese Wachstumsrate
gemessen werden. Obwohl es noch zu früh ist, um mit Sicherheit eine Aussage
treffen zu können, scheint die Rate zu späten Zeiten etwas langsamer zu sein,
als Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie vorhersagt. "Wir könnten kurz vor
einer neuen Entdeckung stehen", sagt Dr. Emmanuel Artis, ein Postdoktorand am
MPE. "Wenn das bestätigt werden kann, wird eROSITA den Weg für neue spannende
Theorien jenseits der Allgemeinen Relativitätstheorie weisen."
All diese Ergebnisse basieren auf einem der bisher größten reinen Kataloge
von Galaxienhaufen, der ebenfalls heute der Öffentlichkeit vorgestellt wird. In
der Hälfte der ersten eROSITA-Himmelsdurchmusterung entdeckten die
Wissenschaftler 12.247 optisch identifizierte Galaxienhaufen. "8.361 davon sind
Neuentdeckungen - mehr als 80%", staunt Dr. Matthias Kluge, Postdoktorand am MPE
und verantwortlich für die optische Identifikation der entdeckten Haufen. "Das
zeigt das enorme Entdeckungspotenzial von eROSITA." Bezieht man die Entfernung
der Galaxienhaufen mit ein, so befinden sich diese an den Schnittpunkten des
sogenannten kosmischen Netzes.
Der ebenfalls heute veröffentlichte Superhaufen-Katalog kartiert die
Galaxienhaufen und wie sie mit großräumigen Filamenten miteinander verbunden
sind. "Wir haben mehr als 1300 Superhaufensysteme gefunden, was dies zur bisher
größten Sammlung von Röntgen-Superhaufen macht", sagt Dr. Ang Liu, Postdoktorand
am MPE. Ein weiteres Erfolgsgeheimnis dieser Studie war die korrekte
Reproduktion der eROSITA-Beobachtungen durch umfangreiche Computersimulationen.
"Auf diese Weise konnten wir die Haufen in den eROSITA-Daten vollständig
erfassen, indem wir verstanden, welche wir übersehen haben", sagt Dr. Nicolas
Clerc, Forscher am IRAP in Toulouse. "Der Umgang mit diesen so genannten
'Selektionsfehlern' war eine zusätzliche Schwierigkeit bei unserer Arbeit".
Um die Masse der einzelnen Sternhaufen zu messen, nutzten die Wissenschaftler
des eROSITA-Teams ein schwaches Gravitationssignal, das aus drei optischen
Durchmusterungen stammt: der von Europa geleiteten KiloDegree-Survey,
der von den USA geleiteten Dark Energy Survey und das von Japan
geleitete Hyper Suprime-Cam Subaru Strategic Program. Der sogenannte
schwache Gravitationslinseneffekt tritt auf, wenn das Licht von
Hintergrundgalaxien durch gravitative Wechselwirkungen mit dem Haufen im
Vordergrund verzerrt wird. Die Kosmologen entschlüsseln diese Verzerrungen, um
die Masse der Galaxienhaufen zu bestimmen.
"Während wir die monumentale Leistung des eROSITA-Teams würdigen, sind wir
gespannt auf die aufregenden weiteren Entdeckungen, die unser Verständnis der
Ursprünge und der Entwicklung unseres Universums vertiefen werden", betont
Bulbul. Das eROSITA-Team ist gespannt darauf, die im Februar 2022
abgeschlossenen 4,5 vollständigen Himmelsdurchmusterungen weiter zu analysieren.
"Wenn die vollständigen Daten ausgewertet sind, wird eROSITA unsere
kosmologischen Modelle dem strengsten Test unterziehen, der jemals mit einer
Durchmusterung von Galaxienhaufen durchgeführt wurde."
Ein Fachartikel zu den Resultaten wurde bei Astronomy & Astrophysics
zur Veröffentlichung eingereicht.
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