Ausgediente Satelliten auf niedrigen Umlaufbahnen befinden
sich oft noch Jahrzehnte im Orbit, bevor sie schließlich beim Wiedereintritt
verglühen. Bremssegel bieten die Möglichkeit, diese Satelliten schneller zu
entsorgen. Das DLR forscht seit Jahren an Membrantechnologien und ultraleichten
Segelmasten. Nun kommt in Zusammenarbeit mit der Industrie ein erstes Bremssegel
zur Anwendung.
Im Rahmen verschiedener, von der europäischen Weltraumagentur ESA
finanzierter Projekte, entwickelt das DLR bereits seit 2015 zusammen mit der
Münchener Firma HPS Widerstandssegel. Das DLR hat sein Know-how im Bereich
der Auswahl, des Designs und der Qualifikation der Bremssegelmembran
eingebracht. "Nach vielen Jahren der Zusammenarbeit mit HPS kommen die
DLR-Komponenten in einem fertigen Produkt in die Anwendung, also auch in den
Weltraum, wofür sie gedacht sind", sagt Patric Seefeldt, Gruppenleiter
Materialalterung beim DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen.
Die vom DLR erforschten Membranen, wie sie möglichst kompakt zusammen-
und mit ultraleichten Masten wieder entfaltet werden können, fügt das
Unternehmen HPS mit entsprechenden Strukturen und elektronischen Komponenten
zu einem Gesamtsystem zusammen. "Wenn Wissenschaft und Industrie gemeinsam
an einem Projekt arbeiten, passiert immer etwas Gutes. Wir sind alle
raumfahrtbegeistert und haben ein gemeinsames Ziel: Wir wollen unseren
Beitrag zu nachhaltiger Raumfahrt leisten", betont Frank Hoffmann,
Abteilungsleiter Bremssegel bei HPS, die gute Zusammenarbeit mit dem DLR.
Um Satelliten aus dem Orbit zurückzubringen, muss das Segel einwandfrei
funktionieren, nachdem es zehn bis zwanzig Jahre im Orbit in verstauter
Konfiguration lagerte. Die verwendeten Materialien müssen unter
Weltraumbedingungen langlebig sowie extrem dünn und leicht sein. Drei Segel
aus Vorgängerprojekten sind bereits im Weltraum und zwei davon entfaltet.
Derzeit wird das erste große ADEO-L-Segel der Firma HPS beim DLR-Institut
für Raumfahrtsysteme in Bremen getestet und für den Weltraumeinsatz
qualifiziert. Das Modell wiegt nur wenige Kilogramm, hat ein Packmaß von der
Größe eines Schuhkartons und stellt eine Segelfläche von 25 Quadratmetern
zur Verfügung.
Die Qualifikation umfasste Vibrations- und Thermal-Vakuum-Tests.
Vibrationstest simulieren die hohen Kräfte, denen ein Satellit beim Start
mit einer Trägerrakete ausgesetzt ist. In der Thermal-Vakuum-Kammer wurde
das Segel mehrmals teilentfaltet, um nachzuweisen, dass dies auch unter
Weltraumbedingungen, zum Beispiel im Vakuum, bei Kälte im Erdschatten oder
großer Hitze bei direkter Sonneneinstrahlung, funktioniert. Bei
abschließenden Tests entfaltete sich das Segel einwandfrei.
Raumfahrzeuge sind auf niedrigen Umlaufbahnen der Reibung durch die
Restatmosphäre ausgesetzt. Ohne Bahnkorrekturen erfolgt eine langsame
Abbremsung auf immer tiefere Bahnen, bis es zum Wiedereintritt kommt.
Bremssegel nutzen diesen Effekt, um mit einer größeren Oberfläche eine
größere Bremswirkung und damit ein deutlich schnelleres Absinken zu
erzeugen. Für die niedrigen Umlaufbahnen bis etwa in 800 Kilometer Höhe
können mitgeführte Bremssegel zukünftig eine unkontrollierte Verschmutzung
des Weltraums durch neue Schrott- und Kollisionstrümmer verhindern. Darüber
hinaus tragen solche Segel dazu bei, die Betriebszeit eines Satelliten zu
verlängern. Denn für die Entfaltung und den folgenden passiven Abstieg wird
kein Antrieb benötigt.
2024 soll dann auch ADEO-L auf seine erste ESA-Demonstrationsmission in
den Weltraum gehen. "Wir freuen uns darauf, auch zukünftig weiter mit HPS
zusammenzuarbeiten und das Bremssegel immer weiter zu entwickeln. Bei der
heutigen Anzahl der Satelliten ist ein schnelles Entfernen aus der
Erdumlaufbahn am Ende der Lebensdauer unerlässlich", so Seefeldt.