Entfaltungs-Experimente in Schwerelosigkeit
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
3. August 2021
Solarzellenpaneele, Antennen oder auch Brems- oder
Sonnensegel müssen für den Transport ins All sicher und möglichst kompakt
verstaut werden - und sich dann im Orbit problemlos wieder entfalten lassen. Wie
dies gelingen kann, wurde nun während eines Parabelflugs getestet. Dabei kamen
neuartige Techniken und Werkstoffe zum Einsatz.
Modul und Folie für Photovoltaik im
Testaufbau für den Parabelflug.
Foto: DLR [Großansicht] |
Von Sonnensegeln über Photovoltaikmodule bis hin zu entfaltbaren
Weltraumflügeln, die ihre Funktionalitäten bei Ohrenkneifern und Libellen
abgeguckt haben – die Versuche des DLR-Instituts für Faserverbundleichtbau und
Adaptronik, die bei der 37. Parabelflugkampagne der Raumfahrtagentur im
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit an Bord waren, standen ganz
im Zeichen der "Entfaltung": An Bord von Raketen ist nämlich nicht viel Platz,
so dass in der Raumfahrt funktionale Flächen benötigt werden, die vor dem Start
kompakt sind, sich aber im Orbit dann auf sehr viel größere Ausmaße entfalten
lassen. Beispiele dafür sind die photovoltaischen Solarmodule der ISS, Antennen
an Satelliten zur Kommunikation und Erdüberwachung und zukünftig auch Bremssegel
(zum gezielten Abbremsen und somit für einen beschleunigten Wiedereintritt von
ausgedienten Satelliten), Sonnenblenden (Solar Shades) oder auch Sonnensegel zum
Antrieb von Satelliten.
Doch vorher sind viele technische Herausforderungen zu lösen: Wie
bekommt man beispielsweise große Segel, möglichst klein und leicht für den
Transport? Was macht die dünnen, leichten Masten haltbar genug für riesige
Weltraumflügel oder Photovoltaikmodule? Wie können die Verbindungsstücke
zwischen Mast und Satellit die Kräfte, die auf sie einwirken, optimal halten?
Mit all diesen Fragen beschäftigen sich die fünf Experimente des Braunschweiger
DLR-Instituts für Faserverbundleichtbau und Adaptronik, die mit dem Parabelflug
am 23. Juli 2021 von Paderborn aus gestartet sind. In 31 Parabeln befanden sich
die Forschenden jeweils für 22 Sekunden in Schwerelosigkeit und konnten so die
Entfaltungsmechanismen unter ähnlichen Bedingungen wie im Weltraum durchführen.
Gemeinsam mit der NASA untersuchte das DLR Möglichkeiten aus einer Box, die
so groß ist wie eine Mikrowelle, ein Sonnensegel, das so groß ist wie ein
Basketballfeld, zu entfalten. Die x-förmige Rückenstruktur des Segels, bestehend
aus hohlen, rollbaren Kohlefasermasten, entfaltet sich und spannt gleichzeitig
auch die Membran. Unterstützt von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
vom DLR hat die NASA für dieses Projekt einen 16 Meter langen, aufrollbaren
Masten entworfen und gefertigt. Das DLR hat dazu den passenden Aufspul- und
Entfaltungsmechanismus entwickelt. Da das Team die Masten für den Einsatz im
Weltraum und damit in der Schwerelosigkeit konstruiert, müssen diese auch unter
Weltraumbedingungen im Parabelflug getestet werden. Unter normaler Schwerkraft
würde schon das Eigengewicht reichen, um die Masten bei einer Länge von vier
Metern brechen zu lassen.
Ein weiterer "Passagier" auf dem Parabelflug ist der BionicWingSat, ein
entfaltbarer Weltraum-Flügel, der ebenfalls gemeinsam von DLR und NASA
entwickelt wurde. Hier sind Insekten Vorbild, die beim Aufspannen von Flügeln
keine einzelnen Elemente nutzen, sondern Systeme, in denen die einzelnen
Elemente zu einem werden. Besonders die hocheffizienten faltbaren Flügel von
Ohrenkneifern faszinierten die Forschenden. In puncto Stabilität nahmen sie die
steifen und robusten Flügel der Libellen als Inspiration. Mit einem
3D-Druck-Fertigungsverfahren erzeugten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler die Weltraum-Flügelstruktur und untersuchten diese ebenfalls in
der Schwerelosigkeit. Sie wollen testen, wie gut sich solche Flügel entfalten,
wie flach sie gefaltet werden können und welche Kräfte auf Satelliten von ihnen
ausgehen.
Natürlich reichen Masten und Segel allein nicht aus, um eine entfaltbare
Struktur für die Raumfahrt zu bauen. Aus diesem Grunde forscht und entwickelt
das DLR immer wieder auch Entfaltungskontrollmechanismen. Diese müssen zum einen
den starken Selbstentfaltungsdrang der Masten kanalisieren. Zum anderen müssen
sie die Masten selbst stabil und sicher mit dem tragenden Satelliten verbinden.
Über die vielen Entwicklungen fiel den Forschenden auf, dass die Stabilität an
dem Punkt, an dem der Mast den Abrollmechanismus verlässt, seine Schwachstelle
hat. Ausgerechnet diese Stelle ist aber am stärksten belastet. Das DLR hat hier
zwei neue Konzepte entwickelt, bei denen der Mast auf ganz unterschiedliche
Weise an der kritischen Stelle unterstützt wird.
Der Energiebedarf der Satelliten steigt stetig. Ein Großteil der
Raumfahrzeuge nutzt heute als primäre Energiequelle Photovoltaik. Um als
Alternative für die schwereren Ionenbatterien nutzbar zu sein, benötigen die
Photovoltaikmodule immer größere Flächen, die besonders leicht und kompakt
verstaubar sein müssen. Herkömmliche Module bestehen aus vielen, mit
Photovoltaikzellen belegten Platten. Sie sind untereinander mit Gelenken
verbunden und lassen sich für den Raumtransport aufeinander falten. Für sehr
große Module kommt diese Bauweise jedoch schnell an ihre Grenzen.
Die Idee der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Anstatt der dicken
Platten wird eine dünne Folie als Trägermaterial der Photovoltaikzellen benutzt.
Die Folie wird für den Raumtransport auf einen zylindrischen Kern aufgerollt und
kann so platzsparend verstaut werden. Um die Folie im Orbit entfalten zu können,
wird ein ebenfalls aufrollbarer Mast aus dünnem und flexiblem
Kohlefaserverbundmaterial mit der Folie aufgewickelt. Der Mast verfügt über
einen Entfaltungsmechanismus, der nicht nur die Entfaltung des
Photovoltaikmoduls ermöglicht, sondern dieses auch wieder einfahren kann. Das
ist neu. So können die Module für das Servicing, den Austausch oder für Manöver
mit hohen Beschleunigungsbelastungen teilweise oder ganz eingeholt werden.
Der Raum unter der Nutzlastverkleidung von Raketen ist knapp. Auch
Solarflächen oder Antennen müssen vor dem Start platzsparend angelegt und
fixiert werden. Nach dem Start und der Trennung von der Rakete werden die
Fixierungen gelöst und die Systeme entfalten sich. Bisher werden oft Gelenke mit
Scharnieren genutzt. Diese könnten durch gekrümmte, flexible Glasfaserbänder
ersetzt werden. Die flexiblen Bänder haben den Vorteil, dass alle Funktionen in
einem Element kombiniert werden: das Gelenk, der Federantrieb und das Einrasten
in die Endposition. Dabei reiben keine Teile aufeinander. Mangelnde
Gleitfähigkeit oder schlechte Passung sind kein Problem mehr. Das verschafft
einen großen Vorteil im luftleeren Raum mit starken Temperaturschwankungen. Die
Forschenden testeten das System unter Schwerelosigkeit, um Nebeneffekte
auszumerzen und es noch besser zu verstehen.
Seit 1999 organisiert die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR regelmäßig
Parabelflüge für biologische, humanphysiologische, physikalische, technologische
und materialwissenschaftliche Fragestellungen. Das Forschungsflugzeug, der A310
ZERO-G der französischen Firma Novespace, wird jeweils ein- bis zweimal jährlich
für wissenschaftliche Kampagnen des DLR, der Europäischen Weltraumorganisation
ESA und der französischen Raumfahrtagentur CNES genutzt.
Eine DLR-Parabelflugkampagne besteht in der Regel aus drei Flugtagen mit
zirka vier Flugstunden, an denen jeweils 31 Parabeln geflogen werden. Während
jeder Parabel herrscht für etwa 22 Sekunden Schwerelosigkeit. Insgesamt stehen
bei einer Flugkampagne etwa 35 Minuten Schwerelosigkeit - im Wechsel mit
normaler und nahezu doppelter Erdbeschleunigung - zur Verfügung, die Forscher
für ihre Experimente nutzen können. Bis zu 40 Wissenschaftler können an einem
Flug teilnehmen, bei dem sich zwischen zehn und 13 Experimenten an Bord
befinden.
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