Die Geometrie des dunklen Universums
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
30. Juni 2023
An diesem Wochenende soll das europäische Weltraumteleskop
Euclid vom US-Raumfahrtbahnhof Cape Canaveral zum zweiten
Lagrange-Punkt starten. Euclid ist den beiden großen Unbekannten
unseres Universums auf der Spur – der Dunklen Materie und der Dunklen Energie.
Das Teleskop soll zurück auf zehn Milliarden
Jahre kosmische Vergangenheit blicken.
Das Weltraumteleskop Euclid soll helfen,
hinter die Geheimnisse des dunklen Universums zu kommen. Bild:
ESA [Großansicht] |
Euklid von Alexandria gilt als der "Vater" der Geometrie. In seinem
berühmtesten Werk "Elemente" trug er das Wissen der Mathematik seiner Zeit
zusammen, stellte es einheitlich dar und prägte eine strenge Beweisführung, die
zum Vorbild für die spätere Mathematik wurde. Nach Euklid sind daher viele
Strukturen, Sätze und Beweise benannt – und jetzt auch ein Weltraumteleskop. Mit
dem geplanten Start der Euclid-Mission der Europäischen Weltraumorganisation ESA
am 1. Juli 2023 an Bord einer Falcon-9-Rakete des US-Raumfahrtkonzerns SpaceX
wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr darüber herausfinden, wie
die Geometrie unseres Universums basierend auf der darin enthaltenen Materie und
Energie sich ändert.
Nach seiner vierwöchigen Reise wird das rund zwei Tonnen schwere Teleskop den
zweiten Lagrange-Punkt (L2) umkreisen, der in 1,5 Millionen Kilometer von der
Erde entfernt in entgegengesetzter Richtung zur Sonne liegt. L2 ist ein
sogenannter Gleichgewichtspunkt des Sonne-Erde-Systems, der der Erde auf ihrer
Bahn um die Sonne folgt. Deutschland ist der größte Beitragszahler im
ESA-Wissenschaftsprogramm und trägt somit rund 21 Prozent zur Euclid-Mission
bei. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ist
die Deutsche Raumfahrtagentur im DLR für die Koordinierung der deutschen
ESA-Beiträge verantwortlich. Darüber hinaus fördert sie eines der beiden
Instrumente des Teleskops inklusive Software für die Datenverarbeitung und einem
Datenzentrum mit mehr als 60 Millionen Euro bis zum Betriebsende der auf sechs
Jahre ausgelegten Mission über das Nationale Raumfahrtprogramm.
"Die europäische Mission Euclid wird den Astronomen dabei helfen,
noch bislang ungelöste Rätsel in der Kosmologie zu entschlüsseln. Wie sein
prominenter Namensgeber wird auch das europäische Weltraumteleskop die Geometrie
des Universums nutzen, um Dunkle Materie und Dunkle Energie zu suchen. Diese
Bestandteile machen zusammen 95 Prozent unseres Universums aus. Dennoch blieben
uns ihre Geheimnisse bislang verborgen. Mit Euclid wird Europa
gemeinsam mit unseren Partnern aus Kanada, Japan und den USA dazu beitragen,
Licht ins Dunkel des Universums zu bringen", betont Dr. Walther Pelzer,
DLR-Vorstand und Leiter der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR.
Die ESA-Mission Planck bestätigte, dass wir in einem flachen – auch
bekannt als Euklidischen – Universum leben, das genau auf der Trennlinie
zwischen ewiger Ausdehnung und Zusammenbruch liegt. Dieses Phänomen ist von der
Dichte der gesamten Materie im Universum abhängig. Aber die gesamte sichtbare
Materie im Universum – und zwar vor allem Galaxienhaufen und Sterne - macht nur
fünf Prozent der Masse aus, die für ein flaches Universum erforderlich ist. In
der Gleichung des Universums musste also etwas Unbekanntes existieren, dass
neben der sichtbaren Materie im Dunklen liegt – etwas, dass nicht mit dem Licht
in Wechselwirkung tritt. Diese Materie wurde von der Astronomie als "Dunkle
Materie" bezeichnet.
Edwin Hubble beobachtete 1929, dass die Galaxien von uns weg driften und die
weiter abgelegenen Galaxien sich schneller als nahe gelegene Galaxien entfernen.
Diese Beobachtung lieferte den Hinweis darauf, dass sich das Universum ausdehnt.
Im Jahr 1998 entdeckten dann die späteren Nobelpreisträger Saul Perlmutter,
Brian Schmidt und Adam Riess, dass diese Expansion des Universums möglicherweise
in den letzten zehn Milliarden Jahren sogar wieder beschleunigt ist. Diese
Entdeckung hat enorme Auswirkungen auf die Kosmologie, denn um diese
Beschleunigung zu erklären, fehlte eine weitere Unbekannte in der Gleichung des
Universums. Es muss ein negativer Druck existieren, der das Universum
auseinanderschiebt: Die Astronomen haben diese Unbekannte "Dunkle Energie"
genannt.
"Euclid wird zehn Milliarden Jahre in die kosmische Vergangenheit
zurückblicken und die Geometrie und das Wachstum des Universums untersuchen.
Darin bildet das Weltraumteleskop die Verteilung der Dunklen Materie über den
größten Teil des Himmels in drei Dimensionen ab und untersucht die Verteilung
der Galaxienhaufen in diesem Zeitintervall, in dem die Dunkle Energie eine
wichtige Rolle spielt. Dafür ist die Raumsonde mit einem Teleskop und zwei
Instrumenten, dem Nahinfrarot-Spektrometer und Photometer (NISP) sowie dem
Visible Instrument (VIS) ausgestattet", erklärt Dr. Alessandra Roy,
Euclid-Projektleiterin in der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR.
Das Teleskop besitzt einen Durchmesser von 1,2 Metern und leitet den
Infrarotanteil (Wellenlänge: 900 bis 2000 Nanometer) des Lichts zum
NISP-Instrument. Außerdem reflektiert es das sichtbare Licht (Wellenlänge: 550
bis 900 Nanometer) in das VIS-Instrument. Um die wissenschaftlichen Ziele zu
erreichen, müssen die Euclid-Wissenschaftler die Helligkeit der beobachteten
Galaxie in Abhängigkeit von ihrer Entfernung sowohl im sichtbaren als auch im
infraroten Wellenlängenbereich kennen. Dies wird von VIS und dem
Nahinfrarot-Photometer als Teil von NISP erfüllt. Das Nahinfrarot-Spektrometer
übernimmt die Messung des "Wasserstoff-Fingerabdrucks" in den Galaxienhaufen, um
die Veränderung der Expansion des Universums zu messen.
Um die Natur und die räumliche Verteilung des Universums zu erkunden, wird
die Dunkle Materie durch den Effekt der "schwachen Gravitationslinse" gemessen.
Dieser Effekt ergibt sich aus Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie, wonach
jeder massive Körper den ihn umgebenden Raum wie ein Ball auf einer elastischen
Oberfläche krümmt. Wenn sich bei der Beobachtung entfernter Galaxien Dunkle
Materie entlang der Sichtlinie befinden sollte, würden wir die Galaxienformen
verzerrt sehen. Durch die Untersuchung dieser Verzerrung wird Euclid
die Massenverteilung der Dunklen Materie dreidimensional kartieren.
Als Standardmaßstab für die Messung der Expansionsrate des Universums wird
Euclid den Abstand zwischen den Galaxienhaufen messen. Durch paarweises
Bestimmen dieses Abstands zwischen den Galaxien können die Astronomen
herausfinden, wie oft zwei Galaxien sich in einem bestimmten Abstand zueinander
befinden. Die Astronomen wissen, dass die wahrscheinlichste Entfernung zwischen
zwei Galaxien heute circa 500 Millionen Lichtjahre beträgt. Diese Skala wurde
dem Universum bereits in den frühen Stadien quasi "als Stempel aufgedrückt" und
verändert sich mit der Expansion. Dieser Effekt wird als "baryonische akustische
Oszillation" bezeichnet.
Euclid wird eine Galaxien-Rotverschiebungsdurchmusterung durchführen
und dies von mehreren zehn Millionen Wasserstoff-Spektren in den beobachteten
Galaxien in einer Rückblickzeit von zehn Milliarden Jahren messen, in denen sich
die Expansion des Universums vermutlich wieder beschleunigt hat.
Update (1. Juli 2023): Euclid ist am 1. Juli 2023 um 17:12
Uhr MESZ mit einer Falcon 9-Rakete des US-Raumfahrtunternehmens SpaceX ins All
gestartet. Der Kontakt mit dem Teleskop wurde auch hergestellt.
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