Montagehelfer im Weltall und auf der Erde
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Deutsches Forschungszentrum für Künstliche
Intelligenz GmbH astronews.com
7. März 2022
Autonome mobile Roboter, die sicher und intuitiv mit dem
Menschen zusammenarbeiten, sind nicht nur ein wichtiger Baustein der Industrie
4.0. In zukünftigen Raumfahrtmissionen sollen sie den Infrastrukturaufbau auf
fremden Planeten unterstützen. Im nun abgeschlossenen Transferprojekt TransFIT
wurde entsprechende Technologien entwickelt.
Der in TransFIT entwickelte humanoide
Roboter RH5 Manus ist dank eines innovativen
adaptiven Greifsystems in der Lage, komplexe
Greifbewegungen auszuführen.
Foto: Thomas Frank DFKI [Großansicht] |
Zum Schutz vor widrigen Umgebungsbedingungen und für den längerfristigen
Aufenthalt von Astronautinnen und Astronauten auf fremden Himmelskörpern ist der
Aufbau von Infrastruktur unerlässlich. Prädestiniert für diese anspruchsvolle
Arbeit sind autonome mobile Roboter, die allein und im robotischen Team für den
Menschen potenziell gefährliche oder körperlich anstrengende Arbeiten übernehmen
können. Allerdings stoßen die Systeme dort an ihre Grenzen, wo menschlicher
Verstand, Geschicklichkeit und Kreativität gefragt sind.
Zum Abschluss des im Juli 2017 gestarteten Projekts TransFIT präsentierten
die Kooperationspartner vom Robotics Innovation Center des Deutsche
Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), der Arbeitsgruppe Robotik
der Universität Bremen und der Siemens AG innovative Technologien, die durch
Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) nicht nur die autonomen Fähigkeiten
der Roboter stärken, sondern auch die situationsangemessene und intuitive
Unterstützung durch den Menschen ermöglichen. Zudem stellten die Partner das
hohe Transferpotenzial der erarbeiteten Lösungen durch den Aufbau einer
flexiblen Montagezelle für die industrielle Fertigung unter Beweis. Daneben
floss ein eigens für die autonome Produktion entwickeltes Softwareframework, das
Abläufe in Abhängigkeit von Systemfähigkeiten plant, in das Weltraumszenario
ein.
"Zukünftige Raumfahrtmissionen werden in zunehmendem Maße auf Methoden der
Künstlichen Intelligenz und die Kombination von menschlichen und robotischen
Fähigkeiten angewiesen sein", so Prof. Dr. Dr. h.c. Frank Kirchner, Leiter des
DFKI Robotics Innovation Center. "Mit Abschluss des TransFIT-Projekts,
das einen bedeutenden Teil der DFKI Space-Roadmap darstellt, ist es uns
gelungen, wichtige Grundlagen für den kooperativen Infrastrukturaufbau im
Weltraum zu legen und die Übertragbarkeit der entwickelten Technologien in den
Industriekontext zu zeigen. Beide Branchen werden perspektivisch in hohem Maße
vom Einsatz autonomer Roboter, die im Team mit dem Menschen arbeiten können,
profitieren."
Beim extraterrestrischen Aufbau von stationären Lagern, Unterständen oder
Anlagen zur Ressourcengewinnung müssen Roboter Aufgaben unterschiedlicher
Komplexität bewältigen. Dies erfordert auch eine Zusammenarbeit mit den
Astronautinnen und Astronauten. Im Zentrum von TransFIT stand daher die
Umsetzung eines Kooperationsszenarios, bei dem ein Mensch und ein humanoider
Roboter gemeinsam eine Montageleistung erbringen. Unterstützt werden sie von
einer Person, die den Roboter aus größerer Distanz, beispielsweise von der
Station in der Umlaufbahn oder vom Lander aus, mithilfe eines Exoskeletts
steuern kann.
Die Kooperationspartner interagieren dabei unterschiedlich stark nach dem
Konzept der "Sliding Autonomie", von kompletter Autonomie über Autonomie mit
"Operator in the Loop" und Teleoperation mit teilautonomen Funktionen bis hin zu
reiner Teleoperation. Um diesen Wechsel zwischen autonomer Arbeit, Kooperation
und Teleoperation zu realisieren, entwickelten die Projektpartner eine einfach
bedienbare Steuerungssoftware, die eine schnelle Anpassbarkeit des
Roboterverhaltens vor Ort und während der Mission erlaubt. Auf diese Weise
können auch unvorhergesehene Montageleistungen wie nicht eingeplante Reparaturen
statt autonom vom Roboter flexibel in Zusammenarbeit mit der Astronautin oder
dem Astronauten durchgeführt werden.
Als robotische Testplattform bauten die DFKI-Forschenden den Humanoiden RH5
Manus auf, ein für den Einsatz in einer menschlichen Umgebung entwickelter
Assistenzroboter, der sich durch ein hybrides seriell-paralleles Design
auszeichnet. Dank seines innovativen adaptiven Greifsystems, das über taktile
Sensoren, Nahfelderkennung und einen lokalen Mikrocontroller für biologisch
inspirierte Greifreflexe verfügt, ist der Roboter in der Lage, komplexe
Greifbewegungen auszuführen. Auf Maschinellem Lernen basierende Verfahren zur
Umgebungswahrnehmung wie Objekterkennung und Greifposenbestimmung ermöglichen
ihm nicht nur das Greifen und Halten von Komponenten, sondern auch die direkte
Kooperation mit der Astronautin oder dem Astronauten.
Zudem lässt sich RH5 mithilfe eines am Robotics Innovation Center
entwickelten und für die Teleoperation optimierten aktiven Exoskeletts
fernsteuern. Ziel der Zusammenarbeit ist aber nicht nur die Aufgabenteilung,
sondern auch, dass der Roboter aus der Interaktion mit dem Menschen lernt, um
immer autonomer agieren und sich an veränderte Anforderungen anpassen zu können.
So muss bei extraterrestrischen Missionen bedacht werden, dass eine Reparatur
des Systems nicht oder nicht jederzeit erfolgen kann. Ist der Roboter
beispielweise in seiner Bewegung eingeschränkt, weil eines seiner Gelenke nicht
mehr richtig funktioniert, kann er dank der in TransFIT entwickelten
Technologien sein Verhalten so anpassen, dass diese Einschränkung berücksichtigt
wird.
Für eine möglichst intuitive Zusammenarbeit von Mensch und Roboter sind die
Interaktionspartner in der Lage, über Sprache mittels vordefinierter Kommandos
zu kommunizieren. Zusätzlich kann die Steuerung des Roboters durch einfache
Gesten erfolgen, die mithilfe eines von der Astronautin oder vom Astronauten
getragenen Sensoranzugs erkannt werden. Daneben nutzen die Projektpartner das
Elektroenzephalogramm (EEG) des Menschen zur Verbesserung der Interaktion: Zum
einen entwickelten sie Methoden, um aus den Messdaten die kognitive Auslastung
der interagierenden Person zu ermitteln, die für eine bedarfsgerechte
Unterstützung genutzt werden kann. Zum anderen lässt sich im Falle einer
fehlerhaften Aktion des Roboters aus dem EEG ein negatives Feedbacksignal
gewinnen, das sogenannte Error Potential. Dies ermöglicht es dem System, sein
Verhalten stetig zu verbessern und entlastet den Menschen, der die Rückmeldung
nicht bewusst an den Roboter geben muss.
Neben der Umsetzung des extraterrestrischen Kooperationsszenarios zielte
TransFIT auf den Transfer der entwickelten Technologien in terrestrische
Anwendungen, konkret in die industrielle Fertigung und Produktion. Hier führen
der zunehmende Variantenreichtum der zu fertigenden Produkte und die immer
kürzer werdenden Produktlebenszyklen zu immer kleineren Losgrößen. Ein Umstand,
der den Einsatz klassischer Automatisierungsparadigmen auch in der Montage
nahezu unmöglich macht, die weitestgehend auf manuelle Arbeit angewiesen ist.
Vor diesem Hintergrund entwickelten die Projektpartner unter Federführung der
Siemens AG eine hochflexible und kooperative Montagezelle zur Fertigung
komplexer Baugruppen. Die Zelle, die über zwei robotische Arme verfügt, ist in
der Lage, abstrakte Aufgabenspezifikationen autonom und in Zusammenarbeit mit
einer menschlichen Arbeitskraft umzusetzen. Dafür wurden die Objekterkennung,
die Greifposenbestimmung und die intuitiven Technologien zur
Mensch-Maschine-Interaktion aus dem Weltraumszenario in den Industriekontext
übertragen. Zudem ermöglicht ein speziell für die autonome Produktion
entwickeltes Skill-basiertes Framework die hierarchische Modellierung und
Orchestrierung von Abläufen im Fertigungsprozess auf Basis semantischer
Produktbeschreibungen und benötigter Systemfähigkeiten. Dieses Framework wurde
wiederum erfolgreich auf die Mensch-Roboter-Kollaboration im Weltraum
transferiert, um die für eine Aufgabe erforderlichen Aktionen den Akteuren
zuzuweisen und die Aktionsreihenfolge zu planen.
TransFIT wurde vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2021 über das Deutsche
Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) vom Bundesministerium für Wirtschaft
und Klimaschutz (BMWK) mit rund 7,9 Millionen Euro gefördert.
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