Das Material aus dem Erde und Mars entstanden
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Münster astronews.com
27. Dezember 2021
Der bisher umfassendste Vergleich der
Isotopen-Zusammensetzung von Erde, Mars und bestimmten Meteoritenarten lieferte
jetzt neue Erkenntnisse über die Entstehung der Planeten im inneren
Sonnensystem: Mars und Erde bildeten sich danach vorwiegend aus Material, das
aus dem inneren Sonnensystem stammte und nicht von jenseits der Jupiterbahn -
sowie aus "verlorenem Baumaterial".

Der Marsmeteorit Elephant Moraine (EETA)
79001. Diese und andere Marsmeteoriten
untersuchten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler in ihrer Studie.
Bild: NASA / JSC [Großansicht] |
Erde und Mars sind aus Material entstanden, das zum größten Teil aus dem
inneren Sonnensystem stammt; nur ein kleiner Anteil der "Baustoffe" dieser
beiden Planeten haben ihren Ursprung jenseits der Umlaufbahn des Jupiters. Zu
diesem Ergebnis kommt eine Gruppe von Forscherinnen und Forschern unter Leitung
der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster in einer jetzt
vorgestellten Studie. Darin legen sie den bisher umfassendsten Vergleich der
Isotopen-Zusammensetzung von Erde, Mars und ursprünglichem Baumaterial des
inneren und äußeren Sonnensystems vor. Ein Teil dieses Materials findet sich
noch heute weitgehend unverfälscht in Meteoriten. Für unsere Vorstellungen vom
Entstehungsprozess der sonnennächsten Planeten Merkur, Venus, Erde und Mars
haben die Ergebnisse der Studie weitreichende Konsequenzen. Sie widerlegt die
Theorie, wonach die vier Gesteinsplaneten durch das Ansammeln von nur Millimeter
großen Staubklümpchen aus dem äußeren Sonnensystem auf ihre heutige Größe
anwuchsen.
In der Geburtsstunde unseres Sonnensystems vor etwa 4,6 Milliarden Jahren
kreiste eine Scheibe aus Staub und Gasen um die noch junge Sonne. Zwei Theorien
beschreiben, wie sich aus diesem ursprünglichen Baumaterial im Laufe von
Millionen von Jahren die inneren Gesteinsplaneten bildeten. Gemäß der älteren
Theorie ballte sich der Staub zu immer größeren Brocken zusammen, die im inneren
Sonnensystem nach und nach etwa die Ausmaße unseres Mondes erreichten. Aus
Zusammenstößen dieser Planeten-Vorgänger gingen schließlich Merkur, Venus, Erde
und Mars hervor.
Eine neuere Theorie hingegen beschreibt einen anderen Wachstumsprozess:
Demnach wanderten millimetergroße Staubklümpchen aus dem äußeren Sonnensystem
Richtung Sonne. Auf ihrem Weg stießen sie auf die Planetenvorgänger des inneren
Sonnensystems, lagerten sich dort an und verhalfen ihnen Schritt für Schritt zu
ihrer heutigen Größe. Beide Theorien beruhen auf Modellrechnungen und
Computersimulationen, die die Verhältnisse und Bewegungen im frühen Sonnensystem
nachspielen; beide beschreiben einen möglichen Weg der Planetenentstehung. Doch
welche hat recht? Welcher Vorgang hat sich tatsächlich zugetragen?
Um diese Frage zu klären, haben die Forscherinnen und Forscher aus Münster,
vom Observatoire de la Côte d’Azur in Nizza, vom California
Institute of Technology in den USA, vom Museum für Naturkunde in Berlin und
von der Freien Universität Berlin auf die genaue Zusammensetzung der
Gesteinsplaneten Erde und Mars geschaut. "Wir wollten herausfinden, ob das
Baumaterial von Erde und Mars dem äußeren oder inneren Sonnensystem entstammt",
erklärt Dr. Christoph Burkhardt aus Münster. Entscheidende Hinweise geben
Isotope der seltenen Metalle Titan, Zirkonium und Molybdän, die sich in den
äußeren, silikatreichen Schichten beider Planeten in winzigen Spuren finden.
Isotope bezeichnen dabei verschiedene Spielarten desselben Elements, die sich
allein durch das Gewicht ihres Atomkerns unterscheiden.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese und
weitere Metallisotope im frühen Sonnensystem nicht gleichmäßig verteilt waren.
Vielmehr hing ihre Häufigkeit vom Abstand von der Sonne ab. Die
Isotopenhäufigkeiten geben somit Aufschluss darüber, wo im frühen Sonnensystem
das Baumaterial eines Körpers entstand. Als Referenz für das ursprüngliche
Isotopen-Inventar im äußeren und inneren Sonnensystem dienen den Forschern zwei
Arten von Meteoriten. Diese Gesteinsbrocken haben ihren Weg in aller Regel aus
dem Asteroidengürtel, dem Bereich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und
Jupiter, zur Erde gefunden. Sie gelten als weitgehend unverändertes Material aus
den Anfängen des Sonnensystems.
Während sogenannte kohlige Chondrite, die geringe Anteile an Kohlenstoff
enthalten können, jenseits der Jupiterbahn entstanden sind und erst später durch
den Einfluss des wachsenden Gasriesen in den Asteroidengürtel umsiedelten, sind
ihre kohlenstoff-ärmeren Cousins, die nicht-kohligen Chondrite, echte Kinder des
inneren Sonnensystems. Die genaue Isotopen-Zusammensetzung der zugänglichen,
äußeren Gesteinsschichten der Erde und die beiden Meteoriten-Arten sind bereits
seit einiger Zeit erforscht, vergleichbar umfassende Analysen von Marsgestein
gab es bisher nicht.
In ihrer aktuellen Studie untersuchte das Team Proben von 17 Marsmeteoriten,
die sich sechs typischen Arten von Marsgestein zuordnen lassen. Zudem gingen die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erstmals den Spuren gleich drei
verschiedener Metallisotope nach. Die Proben der Marsmeteoriten wurden zunächst
pulverisiert und chemisch vorbehandelt. Mithilfe eines
Multikollektor-Plasma-Massenspektrometers am Institut für Planetologie der
Universität Münster spürten die Forschenden die winzigen Mengen von Titan-,
Zirkonium- und Molybdän-Isotopen auf. Am Computer wurde dann simuliert, in
welchem Verhältnis Baumaterial, das sich heute in kohligen und nicht-kohligen
Chondriten findet, eingetragen worden sein muss, um die gemessenen Werte zu
reproduzieren.
Die Ergebnisse zeigen, dass die äußeren Gesteinsschichten von Erde und Mars
nur wenig mit den kohligen Chondriten des äußeren Sonnensystems gemein haben.
Ihr Anteil am ursprünglichen Baumaterial beider Planeten beträgt nur rund vier
Prozent. "Hätten die Vorgänger-Planeten von Erde und Mars hauptsächlich
Staubkörnchen aus dem äußeren Sonnensystem angesammelt, müsste diese Wert um
fast das Zehnfache höher liegen", betont Prof. Dr. Thorsten Kleine aus Münster,
der zudem Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen
ist. "Diese Theorie von der Entstehung der inneren Planeten können wir somit
nicht bestätigen."
Doch auch zu dem Material der nicht-kohligen Chondrite passt die
Zusammensetzung von Erde und Mars nicht genau. Die Modellrechnungen legen nahe,
dass weiteres, anders geartetes Baumaterial im Spiel gewesen sein muss. "Diese
dritte Art von Baumaterial muss ihren Ursprung im innersten Bereich des
Sonnensystems haben. Das lässt sich aus der Isotopenzusammensetzung schließen,
die unseren Rechnungen zur Folge vorliegen muss", erklärt Burkhardt.
Da Gesteinsklümpchen aus solch großer Sonnennähe so gut wie nie in den
Asteroidengürtel gestreut wurden, gingen sie fast vollständig in den inneren
Planeten auf. In Meteoriten kommen sie nicht vor. "Es handelt sich um
'verlorenes Baumaterial', auf das wir heute keinen direkten Zugriff mehr haben",
so Kleine. Der überraschende Fund ändert nichts an den Konsequenzen der Studie
für die Theorien zur Planetenentstehung. "Dass Erde und Mars offenbar
hauptsächlich Material aus dem inneren Sonnensystem enthalten, passt gut zu der
Planetenentstehung aus den Zusammenstößen großer Körper im inneren
Sonnensystem", unterstreicht Burkhardt.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science Advances erschienen ist.
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