Roboterautonomie in norddeutscher Sandgrube
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche
Intelligenz GmbH (DFKI) astronews.com
8. Juni 2021
Marsrover müssen grundlegende Entscheidungen ohne
menschliche Hilfe treffen können. Noch sind ihre Fähigkeiten hier allerdings
beschränkt. Im Rahmen eines von der Europäischen Union geförderten Projekts
sollen die autonomen Fähigkeiten zukünftiger Weltraumroboter deutlich verbessert
werden. In einer Sandgrube nahe Wulsbüttel fanden nun erfolgreich Abschlusstests statt.
DFKI-Rover SherpaTT überquert unebenes
Gelände in der Sandgrube bei Wulsbüttel.
Foto: DFKI GmbH, Foto: Annemarie Popp
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Roboter, die fremde Planeten wie den Mars erforschen oder auf der
Mondoberfläche Proben einsammeln, sollten im Idealfall so eigenständig wie
möglich arbeiten. Hierzu zählen neben der autonomen Navigation auch das
selbstständige Erkennen und Untersuchen von wissenschaftlich interessanten
Stellen. Der Mensch kann aufgrund der verzögerten Kommunikation zu fernen
Himmelskörpern nur bedingt in die robotischen Missionen eingreifen. Daher müssen
die Systeme nur auf Basis ihrer Sensordaten sowie niedrig aufgelöster
Satelliteninformationen über die planetare Oberfläche manövrieren und dabei
selbst entscheiden können, wann es sich lohnt einen Umweg einzuschlagen, um
beispielsweise Gesteinsformationen näher zu untersuchen.
Ziel des im Februar 2019 gestarteten Projekts ADE (Autonomous DEcision Making
in very long traverses) war es, die Autonomiefähigkeit und Zuverlässigkeit von
Weltraumrobotern insbesondere bei Langstreckenmissionen zu steigern. Nach mehr
als zwei Jahren Forschungsarbeit endete das Vorhaben in einer Sandgrube bei
Wulsbüttel, rund 40 Kilometer nördlich von Bremen. Bei den finalen Feldtests vom
18. März bis zum 16. April 2021 gelang es dem hybriden Schreit- und Fahr-Rover
SherpaTT des DFKI Robotics Innovation Center, mithilfe der in ADE entwickelten
Technologien insgesamt 3,7 Kilometer autonom zurückzulegen und verschiedene
Operationen mit unterschiedlichen Autonomiegraden durchführen. Im letzten
Testlauf benötigte der Rover nur knapp drei Stunden, um eine Strecke von 500
Metern zu bewältigen (zum Vergleich: Perseverance bringt es den Angaben
der NASA zufolge auf eine Spitzengeschwindigkeit von 152 Metern pro Stunde).
Das Robotics Innovation Center gehörte mit seiner langjährigen
Expertise auf dem Gebiet der Weltraumrobotik zu dem von der spanischen Firma GMV
geleiteten Projektkonsortium, das sich aus insgesamt 13 Unternehmen und
Forschungseinrichtungen aus sieben verschiedenen Ländern zusammensetzte. Die
Europäische Kommission förderte ADE in der zweiten Phase des Strategic Research
Clusters (SRC) "Space Robotics Technologies" als Teil der PERASPERA-Aktivität im
Rahmen des Horizon 2020-Programms. Im Mittelpunkt des Projekts stand die
Entwicklung und der Test von Technologien, die Weltraumroboter im Rahmen
planetarer Explorationsmissionen dazu befähigen, lange Wegstrecken in
unbekanntem Gelände zu überwinden. Währenddessen sollen sie selbstständig
interessante Gebiete identifizieren, um dort wissenschaftliche Daten zu erheben.
ADE basiert auf dem in der ersten Phase des SRC entwickelten Autonomiesystem
ERGO (European Robotics Goal-Oriented Autonomous Controller). Dieses ermöglicht
es einem Rover mit vorgegebenem Ziel, die zur Erreichung des Ziels notwendigen
Aktionen zu planen, auszuführen und zu überwachen. Ein sogenannter "Opportunistic
Science Agent" erkennt vielversprechende Merkmale in der Umgebung und meldet
diese an das System. Der so entstehende Zielkonflikt wird von der aus den
SRC-Vorgängerprojekten hervorgegangenen und für das Projekt zentralen Komponente
ADAM (Autonomous Decision Making Module) gelöst: Unter Berücksichtigung der
vorhandenen Ressourcen, systembedingter Einschränkungen sowie zeitlicher
Vorgaben nimmt ADAM lokale Änderungen der Missionsplanung vor. Diese erlauben es
dem Roboter, zu der von ihm identifizierten Stelle zu navigieren, um sie aus der
Nähe untersuchen zu können.
Als robotische Testplattform diente der Rover SherpaTT vom
Robotics Innovation Center. Dank seines aktiven Fahrwerks, das ihn sowohl
auf Rädern fahren als auch mit seinen vier Extremitäten über Hindernisse
schreiten lässt, eignet sich der etwa 150 Kilogramm schwere Roboter besonders
gut für unwegsames Gelände. Zudem verfügt er über einen etwa zwei Meter langen,
zentral angebrachten Roboterarm, der es ihm z. B. ermöglicht, Bodenproben zu
entnehmen. Neben der Bereitstellung des Roversystems gehörte es zu den Aufgaben
des Bremer DFKI-Forschungsbereichs, eine Missionssimulation zu entwickeln, die
aus den an die Bodenstation geschickten Sensordaten ein Simulationsmodell
erstellt, das den aktuellen Stand der Mission abbildet. Innerhalb dieses Modells
können verschiedene Pfade und Roboter-Konfigurationen getestet werden: Steht der
Rover beispielsweise vor einer engen Passage, können verschiedene
Fahrwerkskonfigurationen zunächst in der Simulation ausprobiert werden, bevor
die erfolgversprechendste Lösung an den Roboter zurückgesendet wird.
Die von den Partnerinstituten entwickelte Software wurde zunächst in einem 7
mal 7 Meter großen Indoor-Sandkasten in der Weltraumexplorationshalle des DFKI
in Bremen getestet. Anschließend sollten die Technologien auch außerhalb des
Labors in einer marsähnlichen Umgebung auf die Probe gestellt werden. Im
Vorgängerprojekt FACILITATORS absolvierte SherpaTT eine autonome
Langstreckenmission in der marokkanischen Wüstenlandschaft (astronews.com
berichtete), nachdem er bereits 2016 im US-Bundestaat Utah gemeinsam mit
weiteren DFKI-Robotern seine Teamfähigkeit im Rahmen einer
Probenrückführungsmission unter Beweis gestellt hatte.
Dieses Mal mussten die ursprünglich auf dem spanischen Festland und der
Kanareninsel Fuerteventura geplanten Feldtests aufgrund der pandemiebedingten
Reisebeschränkungen in den Norden Deutschlands verlegt werden. So kam es, dass
SherpaTT im Herbst 2020 die ehemalige Bremer Galopprennbahn erkundete und sich
im März und April 2021 seinen Weg durch die Sandgrube nahe Wulsbüttel bahnte.
Bei den finalen Tests wurde die Robotertechnologie fünf Wochen lang unter
typisch norddeutschen Wetterbedingungen verschiedenen Härtetests unterzogen,
wobei die DFKI-Wissenschaftler vor Ort und die Partner via Remoteverbindung
zugeschaltet waren.
Auf diese Weise konnten sie u. a. die autonome Navigation, das Sammeln und
Ablegen von Proben mit dem Roboterarm, die automatische zielorientierte
Missionsplanung sowie die Möglichkeit der wissenschaftlichen
Ad-hoc-Zielerfassung erfolgreich testen und gleichzeitig wertvolle Erfahrungen
auf dem Gebiet der Teleoperation für zukünftige Weltraummissionen sammeln.
Die im Rahmen von ADE entwickelten Technologien sind auf die Anforderungen
zukünftiger Rover für die Weltraumforschung ausgelegt. Ihr zielorientiertes
Autonomiesystem kann jedoch auch auf Robotern Anwendung finden, die in rauen und
gefährlichen Umgebungen auf der Erde arbeiten, z. B. in Kernkraftwerken, bei
Rettungseinsätzen oder in der Öl- und Gasindustrie. Für das DFKI und seinen
Rover SherpaTT geht der Einsatz für die europäische Raumfahrt weiter: In der
dritten und letzten Förderphase des SRC leitet das Robotics Innovation
Center das im März 2021 gestartete Projekt CoRoB-X, in dem es gemeinsam mit
europäischen Partnern erforscht, wie ein Team aus mehreren Robotern bei der
Erkundung von Lavahöhlen auf dem Mond kooperieren kann (astronews.com
berichtete).
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