Der Klang der Sterne und die junge Milchstraße
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam astronews.com
19. Mai 2021
Forschende haben einige der ältesten Sterne der Milchstraße
mit noch nie dagewesener Präzision datiert, indem sie die Schwingungsdaten der
Sterne mit Informationen über ihre chemische Zusammensetzung kombinierten. Die
Analyse ermöglicht auch spannende Aussagen über die frühe Entwicklung unserer
Heimatgalaxie.
Sterndichtekarte der Milchstraße, erstellt
mit dem StarHorse-Code unter Verwendung von Gaia-Daten.
Auf der linken Seite ist das Gesichtsfeld des
Kepler-Satelliten eingefügt. Die Punkte sind die
APOGEE-Ziele im Kepler-Feld.
Bild: ESA-Gaia-DPAC, APOGEE-DR16, AIP/A.
Queiroz & StarHorse [Großansicht] |
Einem Team von Astronominnen und Astronomen ist es gelungen, einige der
ältesten Sterne in unserer Galaxie mit noch nie dagewesener Präzision zu
datieren. Sie erreichten dies, indem sie Daten aus den Schwingungen der Sterne
im Raum – ihrem "Klang" – mit Informationen über ihre chemische Zusammensetzung
kombinierten. Einige dieser alten Sterne waren einst Teil einer
Satellitengalaxie, die in das Gravitationsfeld der frühen Milchstraße geriet.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Milchstraße bereits vor der
Verschmelzung vor rund zehn Milliarden Jahren eine beträchtliche Population
ihrer Sterne gebildet hatte.
Die chemische Zusammensetzung, die Lage und die Bewegung der heute
beobachteten Sterne in der Milchstraße verschlüsseln wertvolle Informationen
über ihren Ursprung und ihre Geschichte. Durch die Kombination der präzisen
Daten der zweiten Datenveröffentlichung der ESA-Weltraummission Gaia
mit denen der hochauflösenden spektroskopischen Durchmusterung APOGEE des
Sloan Digital Sky Survey identifizierten Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler kürzlich den außergalaktischen Ursprung einer bedeutenden
Population der heutigen Halo-Sterne der Milchstraße: Mittels gründlicher
Analysen stellten sie fest, dass diese Sterne Teil einer Satellitengalaxie
namens Gaia-Enceladus waren, die vor rund zehn Milliarden Jahren in das
Gravitationsfeld der Milchstraße fiel.
Um zu verstehen, wie sich diese Verschmelzung auf unsere Galaxie ausgewirkt
hat, bedarf es einer genauen Chronologie dieser Ereignisse in der frühen
Geschichte der Milchstraße, die ein Forschungsteam unter der Leitung der
University of Birmingham und unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für
Astrophysik Potsdam (AIP) nun vorgenommen hat. Dazu nutzten die Forschenden eine
relativ neue Methode namens Asteroseismologie, die Untersuchung globaler,
resonanter Moden in Sternen.
Eine Analogie zu dieser Methode sind Musikinstrumente: Die Größe, Form und
das Material verschiedener Instrumente bestimmen die Kombination und die
relativen Amplituden und Phasen der verschiedenen Obertöne einer Frequenz – oder
der Note – die unser Ohr erreichen. Diese sogenannte Klangfarbe erlaubt es uns,
zwischen einem Cello und einer Posaune, zwischen einer Geige und einem Cello und
für einige empfindliche Ohren auch zwischen einer Stradivari und einer modernen
Geige zu unterscheiden.
In ähnlicher Weise hängen die relativen Frequenzen und Amplituden der
Eigenschwingungsformen der Sterne von den Eigenschaften des "stellaren
Resonanzkastens" ab, d. h. vom Radius des Sterns und der Dichteverteilung in
seinem Inneren. Beide Eigenschaften ändern sich mit der Entwicklung des Sterns,
und so können mithilfe von Computermodellen, die wie unser Gehirn bei der
Identifizierung des Musikinstruments wirken, das Alter der Sterne genau
abgeschätzt werden.
Anhand der Frequenzen dieser Sterne, die mit Daten des Kepler-Satelliten
in Kombination mit Gaia- und APOGEE-Daten ermittelt wurden, bestimmte
das Team mit bisher unerreichter Präzision das relative Alter von etwa hundert
roten Riesensternen. Einige dieser Sterne stammen aus Gaia-Enceladus und bilden
einen Teil der Überreste der früh mit der Milchstraße verschmolzenen
Zwerggalaxie.
Die nun veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass diese akkretierten Sterne
ein ähnliches, aber etwas jüngeres Alter haben als die Mehrheit der an Ort und
Stelle geborenen Sterne. Dies deutet darauf hin, dass die Milchstraße zum
Zeitpunkt der Kollision, in den ersten Milliarden Jahren der Galaxienentstehung,
bereits effizient Sterne gebildet hat, welche sich jetzt hauptsächlich in ihrer
dicken Scheibe befinden.
Asteroseismologie verwendet Informationen aus einzelnen Schwingungsfrequenzen
– im Gegensatz zu umfassenden, durchschnittlichen Eigenschaften des
Schwingungsspektrums – und erlaubt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern
so, sehr präzise relative Alter abzuleiten. Das Team beabsichtigt nun, diesen
Ansatz auf größere Stichproben von Sternen anzuwenden und auch die subtileren
Eigenschaften der Frequenzspektren einzubeziehen.
Dies sollte schließlich zu einem viel schärferen Blick auf die
Verschmelzungsgeschichte und die Entstehung der Milchstraße führen: einer Art
Zeitleiste der Entwicklung unserer Galaxie. "Diese Ergebnisse illustrieren auf
wunderbare Weise den Einfluss, den die Kombination von Kepler, APOGEE
und Gaia auf dem Gebiet der galaktischen Archäologie hat. Die Abfolge
der Ereignisse in den ersten Schritten der Entstehung unserer Galaxie kann
endlich sehr detailliert untersucht werden", betont Dr. Cristina Chiappini,
Wissenschaftlerin in der Abteilung "Milchstraße und die lokale Umgebung" am AIP
und maßgeblich beteiligt am Projekt "Asterochronometry", in dem die
Forschungsergebnisse entstanden sind. Das an der Università di Bologna
und der University of Birmingham beheimatete Gemeinschaftsprojekt
bringt Forschende unterschiedlicher Fachgebiete zusammen und wird vom
Europäischen Forschungsrat finanziert.
Über die Ergebnisse berichtete das Team jetzt in einem Fachartikel in der
Zeitschrift Nature Astronomy.
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