Ein Bodyguard für Gesteinsplaneten?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für Astronomie astronews.com
15. Oktober 2020
Die Anordnung von Gesteins-, Gas- und Eisplaneten in
Planetensystemen ist offenbar nicht zufällig und von nur wenigen
Anfangsbedingungen abhängig. Dies ergaben jetzt vorgestellte Simulationen, mit
denen die Entwicklung von Planetensystemen über mehrere Milliarden Jahre
verfolgt wurde. Überprüfen lässt sich die These aber wohl erst mit der
kommenden Teleskopgeneration.

Künstlerische Darstellung eines
Planetensystems mit zwei Supererden und einem
Jupiter im Orbit um einen sonnenähnlichen Stern.
Bild: MPIA Grafikabteilung [Großansicht] |
Die Wissenschaft vermutet, dass der Planet Jupiter für die Entwicklung
von Leben auf der Erde eine wichtige Rolle spielte, weil er durch seine
Gravitation potenziell gefährliche Asteroiden und Kometen auf ihrer Bahn in die
Zone der Gesteinsplaneten oft so ablenkt, dass die Zahl der katastrophalen
Kollisionen verringert wird. Dieser Umstand wirft daher immer wieder die Frage
auf, ob eine solche Kombination von Planeten eher zufällig ist, oder sie ein
übliches Ergebnis der Entwicklung von Planetensystemen darstellt.
Nun haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut
für Astronomie (MPIA) in Heidelberg, von der Universität Bern sowie der
Universität von Arizona starke Hinweise darauf gefunden, dass Gesteinsplaneten
ähnlich der Erde auffällig oft zusammen mit einem jupiterähnlichen Planeten
auftreten, der sich auf einem weiten Orbit befindet. "Solche Gasriesen nennen
wir kalte Jupiter. Sie entwickeln sich in einem Abstand vom Zentralgestirn, wo
Wasser in Form von Eis vorliegt", erläutert Martin Schlecker, Doktorand am MPIA,
der die Studie leitete.
Bei den untersuchten erdähnlichen Planeten handelt es sich um sogenannte
"trockene Supererden", also Gesteinsplaneten größer und massereicher als die
Erde, die nur eine dünne Atmosphäre sowie kaum Wasser bzw. Eis besitzen. Sie
bevölkern die innere, also temperierte Zone der Planetensysteme und sind bis auf
ihre Größe der Erde sehr ähnlich. "Auch die Erde ist trotz der riesigen Ozeane
und den Polarregionen mit einem Volumenanteil für Wasser von nur 0,12 Prozent
insgesamt ein trockener Planet", gibt Schlecker zu bedenken. Einen kalten
Jupiter zusammen mit einer eisreichen Supererde im Innenbereich zu finden ist
demzufolge nahezu ausgeschlossen. Dichte, ausgedehnte Gashüllen findet man zudem
vorwiegend bei massereichen Supererden.
Diese Schlussfolgerungen basieren auf einer statistischen Auswertung von
neuen Simulationen von 1000 Planetensystemen, die sich in einer protoplanetaren
Scheibe um einen sonnenähnlichen Stern entwickeln. Diese Simulationen sind die
neueste Entwicklung aus einer langjährigen Kooperation zwischen der der
Universität Bern und dem MPIA zur theoretischen Erforschung der Entstehung von
Planeten.
Ausgehend von zufälligen Anfangsbedingungen z. B. für die Massen von Gas und
fester Materie, die Größe der Scheibe sowie die Positionen der Keimzellen neuer
Planeten, verfolgten die Wissenschaftler den Lebenszyklus dieser Systeme über
mehrere Milliarden Jahre. "Dabei sammelten die Planetenembryos Material auf,
wuchsen zu Planeten heran, änderten ihre Bahnen, kollidierten oder wurden aus
dem System herausgeschleudert", schildert Christoph Mordasini von der
Universität Bern die simulierten Prozesse.
Die simulierten Planetensysteme besaßen schließlich Planeten
unterschiedlicher Größe, Masse und Zusammensetzung auf verschiedenen Bahnen um
den Zentralstern. Hubert Klahr, Leiter der Arbeitsgruppe zur Theorie der
Planetenentstehung am MPIA erklärt: "Solche Simulationen unterstützen die
Erforschung von Exoplanetensystemen, da Planeten wie kalte Jupiter auf ihren
weiten Bahnen viel Zeit benötigen, um ihren Mutterstern zu umrunden." Das
erschwert ihr Auffinden durch Beobachtungen, so dass die Suche nach Exoplaneten
die tatsächliche Zusammensetzung von Planetensystemen nicht realistisch
wiedergibt. Astronomen finden bevorzugt massereiche Planeten in engen Orbits um
massearme Sterne. "Simulationen sind dagegen prinzipiell unabhängig von solchen
Einschränkungen", ergänzt Klahr.
"Wir wollten einen überraschenden Befund überprüfen, nachdem Beobachtungen
der letzten Jahre immer wieder ergaben, dass in Planetensystemen mit einem
kalten Jupiter fast immer auch eine Supererde zu finden ist", erzählt Schlecker.
Umgekehrt scheinen etwa 30 % aller Planetensysteme, in denen sich Supererden
bilden, auch kalte Jupiter zu besitzen. Intuitiv wäre zu erwarten, dass
massereiche Planeten eher dazu neigten, Planetensysteme während ihrer Entstehung
so zu stören, dass die Bildung weiterer Planeten behindert wird. Offenbar sind
diese kalten Jupiter jedoch ausreichend weit von den Innenbereichen entfernt,
sodass ihr Einfluss auf die Entwicklung eher gering zu sein scheint.
Die Auswertung der simulierten Planetensysteme konnte diesen Trend jedoch
nicht bestätigen. Lediglich ein Drittel aller kalten Jupiter wurde von
mindestens einer Supererde begleitet. Weiterhin fanden die Astronomen in nur 10
% aller synthetischen Planetensysteme mit Supererden auch einen kalten Jupiter.
Damit ergeben die Simulationen sowohl für Supererden als auch für kalte Jupiter
nur eine geringfügig höhere Wahrscheinlichkeit, diese gemeinsam in einem
Planetensystem anzutreffen als wenn sie alleine aufträten.
Die Wissenschaftler führen dieses Ergebnis auf mehrere Gründe zurück. Eine
Erklärung hat mit der Rate zu tun, mit der Gasplaneten allmählich in weiter
innen liegende Zonen wandern. Die Planetenentstehungstheorie scheint höhere
Raten vorherzusagen als beobachtet, was zu einer vermehrten Anhäufung von
Gasriesen auf Bahnen mittleren Abstands führt. In den Simulationen stören diese
"warmen" Jupiter von dort die inneren Umlaufbahnen und sorgen dafür, dass
vermehrt Supererden herausgeschleudert werden oder sogar in gigantischen
Kollisionen aufeinandertreffen. Mit einer etwas geringeren Migrationsneigung von
Gasplaneten in den Simulationen blieben mehr von den Supererden übrig, was
wiederum besser mit den Beobachtungsfunden vereinbar wäre.
Nun unterscheiden die Beobachtungen nur grob zwischen verschiedenen Arten von
Supererden, da für ihre genaue Charakterisierung präzise Messungen notwendig
wären, die mit den heutigen Instrumenten kaum zu bewerkstelligen sind. In den
Simulationen der Bern-Heidelberg-Gruppe ist das jedoch möglich, indem sie den
Weg eines Planeten innerhalb der protoplanetaren Scheibe sowie ihre Begegnungen
mit anderen Planeten nachverfolgen können.
"Wir fanden einen deutlichen Überhang an Planetensystemen, in denen sich
sowohl ein kalter Jupiter als auch mindestens eine trockene Supererde, also mit
nur wenig Wasser bzw. Eis, und einer höchstens dünnen Atmosphäre befindet",
stellt Schlecker fest. Ein Vergleich mit Beobachtungsdaten ist schwierig, da von
den bisher bekannten etwa 3200 Planetensystemen nur 24 nachweislich mit solch
einer Konstellation vergleichbar sind. Dennoch stimmen die vorhandenen
Ergebnisse gut überein. Auf der anderen Seite findet man kaum Planetensysteme,
in denen gleichzeitig Supererden mit hohem Eisanteil und kalte Jupiter
existieren.
Aus diesem Befund haben die Astronomen ein Szenario entwickelt, das die
Entstehung dieser recht unterschiedlichen Arten von Planetensystemen erklären
könnte. Wie die Simulationen ergeben, ist für die endgültige Konstellation
hauptsächlich die Masse der protoplanetaren Scheibe maßgeblich, also die Menge
an Material, die für die Akkretion von Planeten zur Verfügung steht. In Scheiben
mit mittlerer Masse gibt es im inneren, warmen Bereich nicht genug Material um
Supererden zu produzieren. Gleichzeitig ist die Menge auch im Außenbereich
jenseits der Schneelinie, wo Wasser in gefrorener Form vorliegt und der Anteil
von Eisbrocken recht groß ist, zu gering, um massereiche Planeten wie einen
Jupiter zu bilden.
Stattdessen verdichtet sich dort das Material zu Supererden mit hohem Anteil
von Eis mit einer möglicherweise ausgedehnten Gashülle. Diese Supererden wandern
allmählich nach Innen. In massereichen Scheiben ist dagegen genügend Material
vorhanden, sodass sowohl erdähnliche Gesteinsplaneten in moderaten Entfernungen
zum Zentralstern als auch kalte Riesenplaneten jenseits der Schneelinie
entstehen können. Die Gesteinsplaneten sind arm an Eis und Gas. Außerhalb der
Bahn des kalten Jupiters können sich eisreiche Supererden bilden, deren
Wanderung in radialer Richtung jedoch durch den Einfluss des Riesenplaneten
begrenzt wird. Sie können daher nicht in die innere, warme Zone vordringen.
Dieses Konzept wird jedoch erst mit leistungsstarken Teleskopen wie dem
Extremely Large Telescope (ELT) der europäischen Südsternwarte ESO oder dem
James-Webb-Space-Telescope (JWST) überprüft werden können. Beide sollen noch in
diesem Jahrzehnt die Arbeit aufnehmen. "Theoretische Vorhersagen müssen an der
Erfahrung scheitern können", fordert Schlecker. "Mit den kurz vor dem Einsatz
stehenden Instrumenten der nächsten Generation werden wir prüfen können, ob
unser Modell standhält oder wir zurück ans Zeichenbrett müssen."
Prinzipiell könnte dieses Ergebnis auch für solch trockene Gesteinsplaneten
gelten, die in etwa die Größe und die Masse der Erde haben. Demnach wäre es
vielleicht doch kein Zufall, dass sich im Sonnensystem neben der Erde auch ein
Planet wie Jupiter befindet. Allerdings sind die heute zu Verfügung stehenden
Messinstrumente nicht empfindlich genug, um solche Erdzwillinge zuverlässig in
großer Zahl mittels Beobachtungen nachzuweisen. Daher müssen sich die Astronomen
derzeit noch weitgehend auf die Untersuchung der massereichen Pendants der Erde
beschränken. Erst mit dem ELT und dem JWST sind Fortschritte in dieser Richtung
zu erwarten.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics.
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