Der geheimnisvolle Herzschlag einer Gaswolke
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des DESY astronews.com
18. August 2020
Forscherinnen und Forscher haben einen rätselhaften
Gammastrahlen-"Herzschlag" aus einer unscheinbaren kosmischen Gaswolke erspäht.
Die Wolke im Sternbild Adler pulsiert im Takt mit einem taumelnden Schwarzen
Loch in der Nachbarschaft, was eine Verbindung unbekannter Art zwischen den
beiden Objekten nahelegt. Wie diese aussieht, darüber kann das Team bislang nur
spekulieren.
Der Mikroquasar SS 433 (Hintergrund) taumelt
mit einer Periode von 162 Tagen. Die 100
Lichtjahre entfernte unscheinbare Gaswolke Fermi
J1913+0515 (Vordergrund) pulsiert im selben
Rhythmus mit Gammastrahlung, was eine direkte
Verbindung nahelegt.
Bild: DESY, Science Communication Lab [Großansicht] |
Wie das Schwarze Loch den Gamma-Herzschlag in der rund 100 Lichtjahre
entfernten Gaswolke genau antreibt, ist unklar. Die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler aus Deutschland, Spanien, China und den USA hatten mehr als zehn
Jahre Messdaten des Gammastrahlen-Satelliten Fermi der
US-Raumfahrtbehörde NASA von der Beobachtung eines sogenannten Mikroquasars
genau analysiert.
Dieses System mit der Katalognummer SS 433 liegt 15.000 Lichtjahre von
unserem Sonnensystem entfernt in der Milchstraße und besteht aus einem
Riesenstern mit rund der 30-fachen Masse unserer Sonne und einem Schwarzen Loch
mit 10 bis 20 Sonnenmassen. Die beiden Objekte umkreisen einander alle 13 Tage,
wobei das Schwarze Loch Materie von dem Stern absaugt. "Dieses Material sammelt
sich auf einer Akkretionsscheibe, bevor es ins Schwarze Loch fällt - ähnlich wie
das Wasser im Strudel über dem Badewannenabfluss", erläutert
DESY-Humboldt-Fellow Jian Li. "Ein Teil der Materie fällt allerdings nicht in
das Loch, sondern schießt in zwei gebündelten Strahlen mit hoher Geschwindigkeit
nach oben und unten ins All."
Dieses Phänomen kennen Astronomen von sogenannten Quasaren, aktiven Galaxien
mit monströsen Schwarzen Löchern von Millionen Sonnenmassen in ihren Zentren,
die solche Materiejets zehntausende Lichtjahre weit in den intergalaktischen
Raum hinausschießen. Da SS 433 wie eine verkleinerte Version dieser Quasare
aussieht, sprechen die Forscherinnen und Forscher von einem Mikroquasar. Die
schnellen Teilchen und die ultrastarken Magnetfelder in den Jets erzeugen
Röntgen- und Gammastrahlung.
"Die Akkretionsscheibe liegt nicht genau in der Ebene der Umlaufbahn der
beiden Objekte. Sie präzediert, also taumelt, wie ein drehender Kreisel, der
schief auf einen Tisch aufgesetzt wurde", erläutert Professor Diego F. Torres
vom Institut für Weltraumforschung (IEEC-CSIC) in Barcelona. "Daher schrauben
sich die beiden Jets eher in den umgebenden Raum als sich in einer geraden Linie
auszubreiten."
Die Präzession der Jets aus dem Schwarzen Loch hat eine Periode von 162
Tagen. Die genaue Analyse der Messdaten offenbarte ein Gammastrahlensignal mit
derselben Periode an einer Position relativ weit von den Jets entfernt. Es bekam
die Katalognummer Fermi J1913+0515 und liegt am Ort einer unscheinbaren
Anreicherung von interstellarem Gas. Die übereinstimmende Periode zeigt, dass
dieser regelmäßige Gammastrahlen-"Herzschlag" der Wolke von dem Mikroquasar
angetrieben werden muss.
"Eine solche unzweifelhafte Verbindung rein über die Zeitmessung zu finden,
rund 100 Lichtjahre vom Mikroquasar entfernt und noch nicht einmal in der
Richtung der Jets, ist ebenso unerwartet wie erstaunlich", betont Li. "Wie das
Schwarze Loch allerdings den Herzschlag der Gaswolke antreiben kann, ist uns
nicht wirklich klar."
Ideen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durchaus. Eine
direkte periodische Beleuchtung der Wolke durch einen der Jets ist dabei
unwahrscheinlich. Als alternatives Modell hat das Team die Idee untersucht, das
schnelle Protonen (Wasserstoffatomkerne) in den Jets oder in der Nähe des
Schwarzen Lochs erzeugt werden und Gammastrahlung produzieren, wenn sie auf die
Moleküle der Gaswolke treffen.
Solche Protonen könnten auch aus einem Strom schneller Teilchen von der
äußeren Kante der Akkretionsscheibe stammen. Wenn dieser Strom die Gaswolke
trifft, leuchtet sie im Gammalicht auf. Das würde den rätselhaften "Herzschlag"
erklären. "Von der Energie her könnte der Strom von der Scheibe so kräftig sein
wie der von den Jets, und es wird angenommen, dass er zusammen mit dem Rest des
Systems präzediert", erklärt Torres. Um den rätselhaften Gamma-"Herzschlag"
dieses einzigartigen Systems allerdings genau zu verstehen, sind weitere
Beobachtungen und theoretische Analysen nötig, betonen die Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler.
"SS 433 verblüfft Beobachter bei allen Frequenzen sowie die Theoretiker
gleichermaßen", sagt Li. "Und er wird auf jeden Fall über Jahre hinaus ein
Testfeld für unsere Vorstellungen von der Erzeugung und Ausbreitung kosmischer
Strahlung in der Nähe von Mikroquasaren bieten." An der Arbeit waren
Forscherinnen und Forscher von DESY, dem Institut für Weltraumforschung ICE in
Spanien, der Universität Nanjing und der Sternwarte am purpurnen Berg in China
sowie dem Forschungslabor der US-Marine beteiligt.
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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