Die Gammastrahlung von Eta Carinae
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des DESY astronews.com
3. Juli 2020
Mit den H.E.S.S.-Teleskopen in Namibia wurde nun ein ganz
besonderer Doppelstern als neue Quelle für sehr energiereiche kosmische
Gammastrahlung ausgemacht: das System Eta Carinae. Nach den jetzt vorgestellten
Messungen erzeugt es Gammastrahlung bis zu einer Energie von 400
Gigaelektronenvolt – rund 100 Milliarden Mal mehr als die Energie von sichtbarem
Licht.

Mit den Instrumenten des High Energy
Sterescopic System H.E.S.S. haben Astrophysiker
kollidierende Sternwinde vom Doppelstern Eta
Carinae als neuen Typ von Quelle für sehr
energiereiche kosmische Gammastrahlung
identifiziert (künstlerische Darstellung).
Bild: DESY, Science Communication Lab [Großansicht] |
Eta Carinae ist ein Binärsystem der Superlative. Es befindet sich 7500
Lichtjahre entfernt im Sternbild Schiffskiel (Carina) am Südhimmel und besteht
aus zwei blauen Riesensonnen: Die eine hat die rund hundertfache Masse unserer
Sonne, die andere etwa die 30-fache. Beide umkreisen sich alle 5,5 Jahre auf
stark elliptischen Bahnen. Ihr Abstand schwankt dabei in etwa zwischen der
Entfernung von Sonne zu Mars und Sonne zu Uranus. Beide Riesensterne schleudern
dichte Sternwinde aus geladenen Teilchen mit hoher Geschwindigkeit ins All.
Der größere der beiden verliert dabei in nur rund 5000 Jahren so viel Masse,
wie unsere Sonne insgesamt besitzt. Der kleinere treibt einen schnellen
Sternenwind mit etwa elf Millionen Kilometern pro Stunde (rund ein Prozent der
Lichtgeschwindigkeit) an. Dort, wo die beiden Sternwinde aufeinandertreffen,
entsteht eine gewaltige Stoßfront, in der das Windmaterial extrem aufgeheizt
wird. Bei rund 50 Millionen Grad Celsius leuchtet es hell im Röntgenlicht.
Für die Emission von Gammastrahlung sind die Windteilchen allerdings nicht
heiß genug. "Derartige Stoßregionen sind jedoch typische Orte für die
Beschleunigung subatomarer Teilchen durch die starken elektromagnetischen
Felder, die dort herrschen", erläutert Stefan Ohm, Leiter der H.E.S.S.-Gruppe
bei DESY. Solche stark beschleunigten Teilchen können auch Gammastrahlung
aussenden. Tatsächlich haben die Satelliten Fermi der
US-Raumfahrtbehörde NASA und Agile der italienischen Raumfahrtagentur
ASI bereits 2009 energiereiche Gammastrahlung bis etwa 10 GeV von Eta Carinae
nachgewiesen.
"Für die Produktion dieser Gammastrahlung gibt es verschiedene Modelle",
berichtet DESY-Kollege Matthias Füßling. "Sie kann von stark beschleunigten
Elektronen stammen oder von energiereichen Atomkernen." Welches von beiden
Szenarien zutrifft, ist von entscheidender Bedeutung: Energiereiche Atomkerne
stellen die Hauptkomponente der sogenannten kosmischen Strahlung, die permanent
von allen Seiten auf die Erde einprasselt. Obwohl die kosmische Strahlung
bereits vor mehr als 100 Jahren entdeckt wurde, sind die Quellen der
energiereichen Atomkerne trotz intensiver Forschung noch immer nicht erschöpfend
bekannt.
Da sie elektrisch geladen sind, werden die Atomkerne auf ihrem Weg durch das
Universum von kosmischen Magnetfeldern abgelenkt. Ihre Ankunftsrichtung auf der
Erde weist daher nicht mehr zu ihrem Ursprung zurück. Kosmische Gammastrahlung
hingegen wird nicht abgelenkt. Wenn sich also nachweisen lässt, dass die
Gammastrahlung von energiereichen Atomkernen stammt, wäre damit auch einer der
gesuchten Beschleuniger der kosmischen Teilchenstrahlung gefunden.
"Bei Eta Carinae haben es Elektronen besonders schwer, auf sehr hohe Energien
beschleunigt zu werden, da sie während ihrer Beschleunigung gleichzeitig in
Magnetfeldern abgelenkt werden und so wieder Energie verlieren", sagt Eva Leser,
auch vom DESY. "Oberhalb von 100 GeV beginnt der Bereich der sehr
hochenergetischen Gammastrahlung, die sich nur noch schwer durch
Elektronenbeschleunigung erklären lässt."
Rund um die jüngste Begegnung der beiden Riesensterne konnte H.E.S.S. nun
Gammastrahlung bis zu einer Energie von 400 GeV nachweisen. Der Doppelstern ist
damit das erste bekannte Beispiel für eine Quelle, bei der sehr energiereiche
Gammastrahlung durch kollidierende Sternwinde erzeugt wird.
"Die Analyse der von H.E.S.S. und den Satelliten gemessenen Gammastrahlung
zeigt, dass sie sich am besten als Produkt hochbeschleunigter Atomkerne deuten
lässt", betont DESY-Doktorand Ruslan Konno, der zusammen mit Wissenschaftlern
des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg eine begleitende Studie
veröffentlicht hat. "Damit wären die Stoßregionen kollidierender Sternwinde auch
ein neuer Typ natürlicher Teilchenbeschleuniger für die kosmische Strahlung."
Mit H.E.S.S., benannt nach dem Entdecker der kosmischen Strahlung, Victor
Franz Hess, und insbesondere mit dem Cherenkov Telescope Array (CTA),
dem im chilenischen Hochland entstehenden Gammastrahlenobservatorium der
nächsten Generation, hoffen die Forscherinnen und Forscher, dieses Phänomen
genauer erforschen und weitere derartige Quellen entdecken zu können.
Dank intensiver Beobachtungen von Eta Carinae in allen Wellenlängenbereichen
lassen sich die Eigenschaften der Sterne, ihrer Umlaufbahn sowie der Sternwinde
verhältnismäßig gut ableiten. So können sich Astrophysiker ein besseres Bild des
Doppelsternsystems und seiner Geschichte machen.
Um die neuen Beobachtung von Eta Carinae zu veranschaulichen, haben die
DESY-Astrophysiker gemeinsam mit den Animations-Spezialisten des Science
Communication Lab eine Videoanimation produziert. Die computergenerierten Bilder
sind nahe an der Realität, weil dafür die gemessenen Bahn-, Stern- und
Windparameter verwendet wurden.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in zwei Fachartikeln in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics.
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