Das Ende des Gouldschen Gürtels?
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Wien astronews.com
8. Januar 2020
Als Gouldschen Gürtel bezeichnet man eine Ansammlung von
hellen Sternen und Sternentstehungsgebieten in der Sonnenumgebung. Um was es
sich dabei genau handelt, war bislang unklar. Eine neue Auswertung von Gaia-Daten
deutet nun darauf hin, dass der Gürtel nur ein Projektionseffekt sein könnte.
Stattdessen entdeckte man eine ausgedehnte Wellenstruktur aus Gas.
Die Radcliffe-Welle ist eine riesige
gashaltige Struktur innerhalb der Milchstraße, in
der Sterne entstehen.
Bild: Alyssa Goodman / Harvard University [Großansicht] |
Astronominnen und Astronomen der Universität Wien um João Alves und der
Harvard University haben eine riesige, zusammenhängende, gashaltige,
wellenförmige Struktur innerhalb der Milchstraße entdeckt, in der Sterne
entstehen – die größte ihrer Art, die jemals in unserer Galaxie beobachtet
wurde. Diese "Radcliffe-Welle" getaufte Entdeckung erstreckt sich über
Billiarden Kilometer ober- und unterhalb der galaktischen Scheibe. Der Fund
könnte die seit 150 Jahren vorherrschende Vorstellung über die Sonnenumgebung in
der Milchstraße als ein sich ausdehnender Ring infrage stellen.
Die jetzt vorgestellte Studie beruht auf einer neuerlichen Analyse von Daten
des Astrometriesatelliten Gaia. Gaia war 2013 gestartet worden, um die
Position, Entfernung und Bewegung von Sternen präzise zu messen und tut dies bis
heute. Das Team kombinierte die von Gaia gelieferten Daten mit anderen
Messungen, um eine detaillierte 3D-Karte der interstellaren Materie in der
Milchstraße zu erstellen. Dabei stießen sie unverhofft auf eine Struktur in dem
Spiralarm, der der Erde am nächsten liegt.
Diese Struktur hat eine Länge von ungefähr 9000 Lichtjahren und einer Breite
von nur 400 Lichtjahren. Sie ist wellenartig ausgeprägt und erstreckt sich über
500 Lichtjahre oberhalb und unterhalb der Mittelebene der Scheibe unserer
Galaxie. Sie umfasst viele jener Sternenkinderstuben, die bisher dem sogenannten
Gouldschen Gürtel zugeordnet waren. Dabei handelt es sich um eine Ausdehnung von
Sternentstehungsgebieten, bei denen man davon ausgegangen war, dass sie um die
Sonne als Ring angeordnet sind.
"Vor über 150 Jahren hatten sowohl Gould als auch Herschel einen Ring aus
hellen Sternen am Nachthimmel entdeckt. Deswegen haben Astronominnen und
Astronomen seit langem versucht, den Ursprung dieses Rings auszumachen",
erklärte João Alves, Harvard-Radcliffe-Stipendiat 2018 bis 2019 und Professor
für Stellare Astrophysik an der Universität Wien, der Erstautor der Studie.
"Stattdessen haben wir die größte zusammenhängende bekannte Gasstruktur in der
Galaxie gefunden, die nicht als Ring, sondern als gewaltiges, wellenförmiges,
schmales und gerades Filament angeordnet ist. Die Sonne ist nur 500 Lichtjahre
von der Welle am nächst gelegenen Punkt entfernt. Sie war die ganze Zeit direkt
vor uns, aber wir konnten sie bisher nicht sehen".
Die neue 3D-Karte wirft ein frisches Licht auf unsere galaktische
Nachbarschaft. Sie ermöglicht Forscherinnen und Forschern ihre Sicht auf die
Milchstraße zu revidieren und schafft damit die Grundlage für weitere
Entdeckungen. "Wir kennen die Ursache nicht, warum sie gerade diese Form hat.
Sie könnte aber wie eine Welle in einem Teich sein, so als ob etwas
außerordentlich Massereiches in unserer Galaxie gelandet ist", spekuliert Alves.
"Wir wissen, dass unsere Sonne mit dieser Struktur wechselwirkt." So sei die
Sonne vor 13 Millionen Jahren an einer Ansammlung von Supernovae vorübergezogen
und wird in 13 Millionen Jahren diese Struktur erneut durchqueren. "Sie wird
sprichwörtlich auf einer Welle reiten."
"Niemand hätte erwartet, dass wir in der Nähe einer riesigen, wellenartigen
Gasansammlung leben – oder, dass sie den Orionarm der Milchstraße bildet", sagte
Alyssa Goodman, Professorin für Angewandte Astronomie und Leiterin des
Wissenschaftsprogramms am Radcliffe Institute for Advanced Study. "Wir
waren geschockt als wir zum ersten Mal erkannt haben, wie lange und gerade die
Radcliffe-Welle von oben in einer 3D-Ansicht ist, und wie sinusförmig sie von
der Erde aus betrachtet im Vergleich wirkt. Die Welle zwingt uns dazu, unser
Verständnis von der 3D-Struktur der Milchstraße zu überdenken."
"Unsere neuen Erkenntnisse bedeuten das Ende für den Gouldschen Gürtel,
ein seit 150 Jahren eingesetztes Modell zur Erklärung der Struktur unserer
direkten Nachbarschaft in der Milchstraße", so Stefan Meingast von der
Universität Wien. "Dass diese Struktur nur ein Projektionseffekt war, ist eine
kleine Sensation. Astronominnen und Astronomen müssen wieder zurück ans
Reißbrett und die nähere Umgebung der Milchstraße neu überdenken."
Über ihre Studie berichtet das Team in einem Fachartikel, der
in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde.
|