Ein kosmischer Jet direkt in Richtung Erde?
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
21. Januar 2019
Dank der erstmaligen Einbindung des besonders empfindlichen
Radioteleskopverbunds ALMA in ein globales Teleskopnetzwerk wurde deutlich, dass
die Radiostrahlung aus der Umgebung des supermassereichen Schwarzen Lochs im
Zentrum unserer Milchstraße aus einem wesentlich kleineren Bereich stammt als
bisher angenommen. Zeigt vielleicht ein kosmischer Jet direkt in Richtung Erde?

Neues über das Schwarze Loch im Zentrum der
Milchstraße, die Radioquelle Sgr A*: Simulation
der Radioquelle Sgr A* bei einer Frequenz von 86
GHz (oben links), Simulation mit hinzugefügten
Streueffekten (oben rechts), gestreutes Bild der
Radiobeobachtungen; das ist das tatsächlich am
Himmel gemessene VLBI-Radiobild bei dieser
Frequenz (unten rechts) und das Ergebnis der
Messungen nach Korrektur für die Auswirkung der
Streueffekte in der Sichtlinie zwischen Erde und
Zentrum der Milchstraße (unten links). Das ist
das tatsächliche Erscheinungsbild von Sgr A* bei
86 GHz.
Bild: S. Issaoun, M. Mościbrodzka, Radboud-Universität/
M. D. Johnson, CfA [Großansicht] |
Bis jetzt hat ein diffuser Nebel aus heißem Gas die Astronomen daran
gehindert, scharfe Bilder aus der unmittelbaren Umgebung des supermassereichen
Schwarzen Lochs im Zentrum unserer Milchstraße zu erhalten. Dieses Schwarze Loch
wird mit dem im Radiobereich sichtbaren Objekt Sagittarius A* (abgekürzt Sgr A*,
gesprochen Sagittarius A-Stern) in Verbindung gebracht. Jetzt ist es gelungen,
den sehr leistungsfähigen Teleskopverbund ALMA im Norden von Chile in ein
weltweites Netzwerk von Radioteleskopen einzubinden, um damit diesen Nebel zu
durchdringen.
Die Quelle sorgt auch weiterhin für Überraschungen: die gesamte Strahlung
kommt aus einem besonders kleinen Gebiet; möglicherweise ein Indiz für einen
Strahlungskegel (Jet), der direkt in Richtung der Erde zeigt. Die Beobachtungen
erfolgten bei der hohen Frequenz von 86 GHz (oder 3,5 mm Wellenlänge) mit der
Technik der "Very Long Baseline Interferometry" (VLBI), mit der eine Reihe von
Radioteleskopen zu einem virtuellen Riesenteleskop fast von der Größe der Erde
zusammengeschaltet wurden. Damit wurde es möglich, die genaue Auswirkung der
Streueffekte zu kartieren, die unseren Blick auf die eigentliche Zentralregion
unserer Milchstraße trüben.
Durch die Korrektur der meisten dieser Streueffekte erhielt das Team ein
erstes Bild der unmittelbaren Umgebung des Schwarzen Lochs. Die hohe Qualität
des so korrigierten Radiobilds liefert dem Forscherteam verbesserte Werte zur
Präzisierung von theoretischen Modellen, die die Eigenschaften des Gases in der
direkten Umgebung von Sgr A* beschreiben. Der überwiegende Anteil der
Radiostrahlung der Zentralquelle kommt aus einem Bereich mit einer Ausdehnung
von nur einem 300millionsten Teil eines Winkelgrades, und zeigt eine
symmetrische kompakte Struktur.
"Das deutet darauf hin, dass die Radiostrahlung eher von einer Scheibe mit
einfallendem Gas herrührt als von einem Radiojet", erklärt Sara Issaoun,
Doktorandin an der Radboud-Universität in Nijmegen in den Niederlanden, die die
Daten anhand einer ganzen Reihe von Computermodellen überprüft hat. "Das würde
allerdings Sgr A* zu einer Ausnahme gegenüber allen anderen Schwarzen Löchern
machen, von denen wir Radiostrahlung empfangen. Eine Alternative wäre nur, wenn
der Jet fast direkt auf uns zeigt."
Der deutsche Astronom Heino Falcke, Professor für Radioastronomie an der
Radboud-Universität und Betreuer der Doktorarbeit von Sara Issaoun, hält diese
Aussage zwar für ungewöhnlich, schließt sie aber keineswegs mehr aus. Noch im
letzten Jahr würde er es als ein künstlich konstruiertes Modell angesehen haben,
aber erst kürzlich kam das GRAVITY-Team durch Beobachtungen mit dem Very
Large Telescope Interferometer der ESO mit ganz anderer Beobachtungstechnik
zu ganz ähnlichen Schlüssen. "Es könnte also sehr wohl richtig sein", so Falcke,
"und das bedeutet, dass wir das Biest unter einem besonderen Blickwinkel sehen."
Supermassereiche Schwarze Löcher kommen in den Zentren von Galaxien sehr
häufig vor und erzeugen die energiereichsten Phänomenen im bekannten Universum.
Es wird angenommen, dass sich Materie im direkten Umfeld des Schwarzen Lochs in
einer rotierenden Scheibe, der sogenannte Akkretionsscheibe, ansammelt. Ein Teil
dieser Materie wiederum wird senkrecht dazu in Form von zwei entgegengesetzt
gerichteten stark gebündelten Strahlungskegel oder Jets mit fast
Lichtgeschwindigkeit ausgestoßen. Dadurch wird typischerweise eine große Menge
von Radiostrahlung erzeugt.
"Ob nun die Radiostrahlung, die wir von Sgr A* empfangen, von einer teilweise
aufgelösten Punktquelle kommt, oder ob die Radioquelle doch mehr asymmetrisch
ist, ist aktuell Gegenstand intensiver Diskussionen", erklärt Thomas Krichbaum,
vom Bonner Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR), ebenfalls Mitglied
des Forscherteams. Sgr A* ist das nächstgelegene supermassereiche Schwarze Loch
mit einem "Gewicht" von ca. vier Millionen Sonnenmassen. Seine scheinbare
Ausdehnung am Himmel beträgt weniger als ein 100 Millionstel Winkelgrad; das
entspricht der Größe eines Tennisballs auf dem Mond.
Um derart kleine Strukturen zu erfassen, ist die Beobachtungstechnik der
Interferometrie mit langen Basislinien (VLBI) erforderlich. Die erreichte
Winkelauflösung wird nochmals durch die Erhöhung der Frequenz verbessert. Im
Moment liegt die höchste Frequenz, bei der VLBI-Beobachtungen überhaupt
durchgeführt werden können, bei 230 GHz. "Die allerersten VLBI-Beobachtungen von
Sgr A* bei 86 GHz wurden bereits vor 26 Jahren von einem Team unter der Leitung
von Thomas Krichbaum vom MPIfR mit nur einer Handvoll von Teleskopen
durchgeführt. Im Lauf der Jahre haben sich sowohl die Datenqualität als auch die
bildliche Darstellung durch eine immer größere Zahl von beteiligten Teleskopen
stetig verbessert", sagt J. Anton Zensus, Direktor am MPIfR und Leiter der
Radioastronomie/VLBI-Forschungsabteilung am Institut.
Die Ergebnisse des internationalen Teams um Sara Issaoun, dem auch Forscher
der beiden wissenschaftlichen Abteilungen Zensus und Kramer am MPIfR angehören,
beschreiben die ersten VLBI-Beobachtungen bei 86 GHz unter Teilnahme des
ALMA-Teleskops, des bei weitem empfindlichsten Radioteleskopes bei dieser
Wellenlänge. ALMA wurde erstmalig im April 2017 als Teil des vom MPIfR
betriebenen "Global Millimeter VLBI Array" (GMVA) eingesetzt. Im Rahmen des
"ALMA-Phasing-Projekts" wurden die technischen Bedingungen geschaffen, um VLBI
mit ALMA zu ermöglichen. Dies war ausschlaggebend für den Erfolg der
Beobachtungen von Sgr A*.
Die Beteiligung von ALMA an Millimeter-VLBI-Beobachtungen ist gleich aus zwei
Gründen wichtig: einmal wegen der Empfindlichkeit des Teleskops, aber auch wegen
seiner Lage auf der Südhalbkugel der Erde. Neben ALMA sind zwölf weitere
Radioteleskope an dem Projekt beteiligt, die alle auf der Nordhalbkugel der Erde
in Nordamerika und Europa liegen. Unter Einbeziehung von ALMA konnte die
Winkelauflösung verdoppelt werden, im Vergleich zu vorherigen Messungen bei
dieser Frequenz. Dies ermöglichte eine verbesserte und schärfere Kartierung von Sgr A*, mit deutlich reduziertem Einfluss interstellarer Streuung, also eines
Effekts, der durch Dichteschwankungen im ionisierten interstellaren Material
entlang der Sichtlinie vom galaktischen Zentrum bis zur Erde hervorgerufen wird.
Um ein Bild zu erhalten, das für die Auswirkung der interstellaren Streuung
korrigiert ist, nutzte das Team eine von Michael Johnson vom
Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics entwickelte Technik. "Obwohl
die Streuung das Radiobild von Sgr A* trübt und verzerrt, können wir mithilfe
der fantastischen Winkelauflösung der Beobachtungen die genauen Eigenschaften
der Streuung ableiten", sagt Johnson. "So wird es möglich, den Einfluss der
Streuung zu korrigieren und damit zu sehen, wie es in der Nähe des Schwarzen
Lochs tatsächlich ausschaut. Wir wissen damit auch, dass die interstellare
Streuung kein Hindernis für das Event-Horizon-Teleskop darstellen wird,
womit wir den erwarteten Schatten des Schwarzen Lochs bei 230 GHz zu erfassen
gedenken, wenn es diesen Schatten denn gibt. Das ist eine tolle Neuigkeit."
Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift The Astrophysical Journal erschienen ist.
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