Ganz nahe am Schwarzen Loch
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik astronews.com
2. November 2018
Mithilfe aller vier Teleskope des Very Large Telescope
der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile haben Astronomen eine Gaswolke
beobachtet, die sich mit rund 30 Prozent der Lichtgeschwindigkeit um das Zentrum
unsere Milchstraße bewegt. Die Daten bestätigen erneut, dass sich dort wohl ein
supermassereiches Schwarzes Loch befindet.
Simulation einer Gaswolke, die um das
zentrale Schwarze Loch der Milchstraße kreist.
Bild: ESO / Gravity Consortium/L. Calçada [Großansicht] |
Einem Team von Forschern sind erstaunliche Einblicke in das galaktische
Zentrum gelungen: Die Astronomen beobachteten Gaswolken, die mit einem Tempo von
etwa 30 Prozent der Lichtgeschwindigkeit um das im Herzen der Milchstraße
vermutete Schwarze Loch herumwirbeln. Das Gas bewegte sich dabei auf einem
kreisförmigen Orbit außerhalb der innersten stabilen Umlaufbahn und offenbarte
sich durch Strahlungsausbrüche im Infrarotbereich. Gelungen ist diese Entdeckung
mit dem Instrument Gravity, welches das Licht aller vier
Acht-Meter-Spiegel des Very Large Telescope der europäischen
Südsternwarte vereint. Dank dieser Interferometrie genannten Technik erzeugt
Gravity die Leistung eines virtuellen Fernrohrs mit einem effektiven
Durchmesser von 130 Metern.
Inmitten der Milchstraße sitzt ein außergewöhnlich kompaktes Objekt, das
Radiostrahlung abgibt und von den Astronomen Sagittarius A* genannt wird. Mit
hoher Wahrscheinlichkeit verbirgt sich dahinter ein Schwarzes Loch mit ungefähr
vier Millionen Sonnenmassen. Doch sicher ist das nicht, und so denken sich die
Wissenschaftler stets neue Tests für ihre These aus. Mit dem Instrument
Gravity haben die Forscher nun gleichsam den Rand des vermeintlichen
Schwarzen Lochs ins Visier genommen.
Der Theorie nach müssten die Elektronen des Gases, das sich diesem
Ereignishorizont nähert, beschleunigt werden und dadurch die Helligkeit
zunehmen. In der nur wenige Lichtstunden kleinen Region um das Schwarze Loch
herrschen chaotische Verhältnisse ähnlich wie in irdischen Gewittern oder
Strahlungsausbrüchen auf der Sonne. Dabei spielen auch noch starke Magnetfelder
eine Rolle, denn das Gas ist elektrisch leitend, also ein Plasma. Dieses sollte
sich schließlich als flackernder "heißer Fleck" zeigen, der das Schwarze Loch
auf der letzten stabilen Bahn umkreist.
Tatsächlich registrierten die Astronomen solche Strahlungsausbrüche aus der
sogenannten Akkretionsscheibe – einem Ring aus Gas mit einem Durchmesser von nur
etwa zehn Lichtminuten, der sich mit extrem hoher Geschwindigkeit um das
galaktische Zentrum dreht. Die Materie kann dabei gefahrlos kreisen, solange sie
dem Schwarzen Loch nicht zu nahe kommt; Materie innerhalb des Ereignishorizonts
gelingt es aber nicht mehr, der enormen Schwerkraft zu entfliehen. Die jetzt
beobachteten Strahlungsausbrüche ("Flares") stammen von Materie, die sich in
einem Orbit nahe dieses Ereignishorizonts befindet.
"Wir sahen gleich drei solcher Flares. Alle hatten sie dieselben Bahnradien
und dieselben Umlaufperioden", sagt Reinhard Genzel, Direktor am
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching und Leiter der
Studie. Die Bewegung dieser drei heißen Flecken im galaktischen Zentrum lässt
sich durch ein einfaches Orbitmodell erklären, dessen Radius drei- bis fünfmal
größer ist als jener des Ereignishorizonts. Zudem bestätigen die Messungen exakt
die theoretischen Vorhersagen für Gas, das nahe der innersten stabilen
Umlaufbahn kreist.
"Nimmt man all unsere Beobachtungen zusammen, dann haben wir einen deutlichen
Beleg dafür, dass sich hier tatsächlich Materie auf einer Umlaufbahn nahe dem
Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs mit vier Millionen Sonnenmassen
befindet," sagt Jason Dexter vom Garchinger Max-Planck-Institut. Und Dexters
Kollege Oliver Pfuhl ergänzt: "Gravity und seine enorme Empfindlichkeit
erlaubten es uns, die Akkretionsprozesse in Echtzeit zu beobachten – und zwar
mit nie da gewesener Detailschärfe."
Die sehr hohe Winkelauflösung und Messgenauigkeit von Gravity sowie
die Präzisionsspektroskopie mit der Integralfeldkamera Sinfoni am
Very Large Telescope hatten es demselben Team bereits Anfang des Jahres
erlaubt, den Vorbeiflug des Sterns S2 nahe am galaktischen Schwarzen Loch zu
messen. Dabei zeigte sich eine Gravitations-Rotverschiebung, wie sie von der
allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt wird.
"Diese Beobachtungen waren für uns schon immer ein Traum. Aber wir wagten
nicht zu hoffen, dass sie tatsächlich so schnell Realität werden würden – mit so
eindeutigen Ergebnissen", sagt Genzel. Steckt also hinter Sagittarius A*
tatsächlich ein supermassereiches Schwarzes Loch? "Unser Ergebnis jedenfalls ist
eine überwältigende Bestätigung dieser Annahme."
Über ihre Beobachtungen berichten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler in einem Fachartikel, der in der Zeitschrift Astronomy &
Astrophysics erschienen ist.
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