Helga und Zohar fliegen zum Mond
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
20. November 2018
Eine der größten Gefahren für die Gesundheit von
Astronautinnen und Astronauten während eines Aufenthalts im All stellt die
kosmische Strahlung dar. Während des ersten, noch unbemannten Testflugs des
neuen NASA-Raumschiffs Orion werden daher zwei besondere Passagiere an
Bord sein: weibliche Puppen mit denen die Strahlenbelastung während des
Flugs gemessen werden soll.
Helga soll im Jahr 2020 zum Mond fliegen und
Daten über die Strahlenbelastung von Menschen im
All liefern.
Foto: DLR (CC-BY 3.0). [Großansicht] |
Für den Menschen im Weltraum stellt die Weltraumstrahlung ein großes
gesundheitliches Risiko dar. Deren Auswirkungen auf den menschlichen Körper sind
ein entscheidender und möglicherweise limitierender Faktor für geplante
zukünftige Langzeitaufenthalte des Menschen im freien Weltraum. Um dieses
Strahlenrisiko genauer bestimmen und mögliche Maßnahmen zum Schutz entwickeln zu
können, wird das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mehr als 50
Jahre nach der ersten Mondlandung im Jahr 2020 das Experiment MARE (Matroshka
AstroRad Radiation Experiment) mit der NASA Exploration Mission 1 (NASA
EM-1) zum Mond schicken. Mit MARE werden erstmals zwei weibliche Phantome,
ausgestattet mit Strahlungsdetektoren und eine der beiden mit einer
Strahlenschutzweste, einen Raumflug antreten.
Anfang November ist nun das europäische Servicemodul (ESM) für das
amerikanische NASA-Raumschiff Orion in den USA angekommen. Die beiden
Phantome Helga und Zohar - ausgestattet vom DLR - werden bei Orions
erstem Flug zum Mond 2020 im Rahmen der NASA EM-1 Mission in seinen
Passagiersitzen mitfliegen. Die beiden aus jeweils 38 Scheiben bestehenden
Phantome fliegen stellvertretend für zwei Astronautinnen - in ihrem Inneren
haben sie über 5600 passive Detektoren sowie 16 aktive Detektoren, die die
Strahlung während des Flugs messen werden.
Die beiden "Zwillinge" werden sich lediglich in einem unterscheiden: Zohar
trägt eine Strahlenschutzweste (AstroRad), Helga nicht. Das DLR, welches MARE
zusammen mit der israelischen Raumfahrtagentur ISA, dem israelischen
Industriepartner StemRad sowie Lockheed Martin und der NASA durchführt, rüstet
die beide Phantome derzeit in Köln mit Sensoren aus. "Wir werden erstmals
messen, welche Strahlenbelastung bei einem bemannten Flug zum Mond für die
Astronautinnen und Astronauten entsteht", erläutert Dr. Thomas Berger vom
DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, der wissenschaftliche Leiter des
MARE Experiments.
95 Zentimeter groß sind die Phantome, die im Rahmen der NASA EM-1 Mission mit
auf den unbemannten Flug zum Mond gehen. In ihrem Inneren finden sich Organe und
Knochen aus Kunststoff unterschiedlicher Dichte. "Mit Helga und Zohar wird ein
Frauenkörper inklusive Fortpflanzungsorgane und Brüste simuliert", erläutert
DLR-Wissenschaftler Thomas Berger. "Die Anzahl der Astronautinnen wird immer
größer, daher haben wir uns für ein weibliches Phantom für unser Experiment
entschieden."
Erfahrungen mit der Messung von Strahlung im All haben er und sein Team
bereits unter anderem durch das Matroshka-Experiment, einem männlichen Phantom,
welches in den Jahren 2004 bis 2011 sowohl im Inneren als auch an der Außenseite
der Internationalen Raumstation ISS der Strahlung ausgesetzt wurde. Auch
innerhalb des europäischen Forschungslabors Columbus misst das DLR
derzeit mit dem Experiment DOSIS 3D, welche Strahlungsbelastung dort herrscht.
"Die Risiken im Weltraum liegen für Astronauten in den Auswirkungen der
Schwerelosigkeit, den psychologischen Aspekten und vor allem in den möglichen
Langzeitschäden durch die galaktische kosmische Strahlung sowie den
Kurzzeitstrahlungseffekten durch ein solares Teilchenereignis," so Berger.
Am DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin werden die beiden "Passagiere"
nun für das MARE-Experiment vorbereitet. Zum einen werden 1400 Sensorplätze mit
kleinen passiven aus Kristallen bestehenden Strahlungsdetektoren bestückt, zum
anderen werden die Sensoren der aktiven Detektoren an den
strahlenempfindlichsten Organen des Körpers - Lunge, Magen, Gebärmutter und
Knochenmark - integriert. Während die passiven Detektoren vom Start bis zur
Rückkehr zur Erde kontinuierlich messen werden und die Gesamtbelastung erfassen
sollen, werden die aktiven, batteriebetriebenen Detektoren während des Startes
eingeschaltet und speichern dann zeitlich aufgelöst die Strahlenbelastung auf.
"So können wir nach der Rückkehr die verschiedenen Detektoren auslesen und Daten
über die Reise zum Mond auswerten."
Die gewonnenen Daten der "schutzlosen" Helga dienen außerdem dazu, die
Wirksamkeit der neu entwickelten Strahlenschutzweste (AstroRad) des von der
israelischen Raumfahrtagentur ISA geförderten Industriepartners StemRad zu
bestimmen. Diese wird den Oberkörper, aber auch die Gebärmutter und die
blutbildenden Organe abdecken. Tragen wird sie das israelische Phantom Zohar
während des gesamten Flugs. Im Vergleich lässt sich dann ermitteln, in welchem
Ausmaß die Weste eine Astronautin vor schädlicher Strahlenbelastung schützen
würde.
Bevor der bis zu 42 Tage dauernde Flug zum Mond und die Rückkehr zur Erde
beginnen können, kommen auf Helga und Zohar noch einige Tests zu. In einem
ersten Test am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in Bremen wurde Helga bereits
den Vibrationen ausgesetzt, die sie beim Start mit dem von der NASA derzeit
entwickelten Space Launch System (SLS) erfahren wird. Ein erster
Fit-Check, wie sich Helga und Zohar auf den Passagiersitzen der Orion-Kapsel
befestigen lassen, wird im Frühling des kommenden Jahres in den USA
durchgeführt. Dabei wird getestet, wie Helga und Zohar auf ihren am DLR gebauten
und für sie angepassten Sitzen in der Orion-Kapsel Platz finden werden.
MARE stellt in seiner Komplexität und in seiner internationalen
Zusammenarbeit mit zahlreichen Universitäten und Forschungseinrichtungen in
Österreich, Belgien, Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Griechenland,
der Schweiz, Japan und den USA das größte Experiment zur Bestimmung der
Strahlenbelastung für Astronauten dar, das jemals den erdnahen Orbit verlassen
hat. Es liefert grundlegende Daten zur Abschätzung des Strahlenrisikos für die
kommenden bemannten Flüge zum Mond.
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