Die andere Seite der Milchstraße
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Institus für Radioastronomie astronews.com
16. Oktober 2017
Astronomen haben mit dem Very Long Baseline Array
die Entfernung zu einem Sternentstehungsgebiet vermessen, das sich jenseits des
galaktischen Zentrums auf der anderen Seite der Milchstraße befindet. Ihr
Messresultat bringt sie tief in den vergleichsweise unbekannten Bereich unserer
Galaxis und verdoppelt den bisherigen Rekordwert für eine Entfernungsbestimmung
innerhalb der Milchstraße.
Künstlerische Darstellung der Milchstraße mit
der Position der Sonne und der Maserquelle
G007.47+00.05, die in einem
Sternentstehungsgebiet im Scutum-Centaurus-Spiralarm
der Milchstraße liegt.
Bild: Bill Saxton, NRAO/AUI/NSF; Robert Hurt,
NASA [Großansicht] |
Entfernungsbestimmungen sind entscheidend für das Verständnis des
strukturellen Aufbaus der Milchstraße. Das meiste Material in unserer Galaxis,
die prinzipiell aus Sternen, Gas und Staub aufgebaut ist, befindet sich in einer
flachen Scheibe, in die auch unser Sonnensystem eingebettet ist. Da wir unsere
Milchstraße nicht von außerhalb betrachten können, kann ihre Struktur
einschließlich des Verlaufs ihrer Spiralarme nur durch die Bestimmung des
Abstands zu einzelnen Objekten an unterschiedlichen Positionen der Galaxis
vermessen werden.
Die Astronomen verwenden dafür die Messtechnik der trigonometrischen
Parallaxe, die Friedrich Wilhelm Bessel im Jahre 1838 erstmalig verwendet hat,
um die Entfernung zu dem Stern 61 Cygni im Sternbild Schwan zu bestimmen. Diese
Technik vermisst die scheinbare Verschiebung der Position eines astronomischen
Objektes am Himmel bei der Betrachtung von entgegengesetzten Positionen der
Erdbahn bei ihrem Lauf um die Sonne. Der Effekt kann dadurch veranschaulicht
werden, dass man einen Finger unmittelbar vor die Nase hält und abwechselnd
jeweils ein Auge schließt – der Finger scheint dabei von einer Position zur
anderen zu hüpfen.
Die Messung des Winkels der scheinbaren Positionsverschiebung eines
Himmelsobjekts ermöglicht den Forschern die Anwendung einfacher Trigonometrie,
um daraus direkt die Entfernung zu diesem Objekt abzuleiten. Je kleiner der
gemessene Winkel, desto größer die Entfernung. Im Rahmen des Bar and Spiral
Structure Legacy (BeSSeL) Projekts ist es nun möglich, Parallaxen in der
Milchstraße mit dem Very Long Baseline Array (VLBA), einem
kontinentalen Radioteleskop-Netzwerk mit zehn über Nordamerika, Hawaii und die
Karibik verteilten Einzelteleskopen 1000-mal genauer zu bestimmen als es für
Bessel möglich war. Im vorliegenden Fall entspricht der gemessene Wert dem
Winkeldurchmesser eines Fußballs auf der Oberfläche des Mondes.
"Mit dem VLBA können wir nun die gesamte Ausdehnung unserer Milchstraße genau
vermessen", sagt Alberto Sanna vom Bonner Max-Planck-Institut für
Radioastronomie (MPIfR). Die neuen VLBA-Beobachtungen aus den Jahren 2014 und
2015 ergeben eine Entfernung von mehr als 66.000 Lichtjahren für das
Sternentstehungsgebiet G007.47+00.05 auf der entgegengesetzten Seite der
Milchstraße, weit jenseits des Galaktischen Zentrums in einer Entfernung von
27.000 Lichtjahren. Der vorherige Rekord für eine Parallaxenmessung in der
Milchstraße lag bei rund 36.000 Lichtjahren.
"Die meisten Sterne und das meiste Gas in unserer Milchstraße liegen
innerhalb der mit der neuen Messung erzielten Reichweite. Mit dem VLBA haben wir
jetzt das Potential, eine genügende Anzahl von Entfernungen abzuleiten, um damit
Form und Verlauf der Spiralarme in unserer Galaxis zu bestimmen", erklärt Sanna.
Mit den VLBA-Beobachtungen wurde die Entfernung zu einem
Sternentstehungsgebiet in unserer Milchstraße bestimmt. Diese Gebiete umfassen
Bereiche, in denen Wasser- und Methanolmoleküle als natürliche Verstärker von
Radiosignalen wirken – diese sogenannten Maser sind in Radiowellen das
Äquivalent zu Lasern im Bereich des sichtbaren Lichts. Der Masereffekt führt zu
starken und leicht messbaren Signalen für die Beobachtung mit Radioteleskopen.
In der Milchstraße gibt es Hunderte solcher Sternentstehungsgebiete mit darin
enthaltenen Maserquellen. "Wir haben insgesamt eine Vielzahl von Meilensteinen
für unser Vermessungsprojekt. Aber dieses hier ist etwas ganz spezielles: ein
Blick quer durch die Milchstraße entlang ihres Zentrums bis weit hinaus auf die
andere Seite", sagt Karl Menten, ebenfalls vom MPIfR.
Das Ziel der Astronomen ist aufzuzeigen wie unsere Milchstraße genau aussehen
würde, wenn man sie von oben sehen und aus etwa einer Million Lichtjahre
Entfernung auf die gewaltige Spirale blicken könnte, statt sie aus der Scheibe
heraus untersuchen zu müssen. Diese Aufgabe wird noch eine Reihe von weiteren
Beobachtungen erfordern sowie eine Menge mühevoller Arbeit in der Datenanalyse.
Aber zumindest die Werkzeuge für das Projekt sollten, so die Astronomen, dafür
jetzt vorhanden sein. "Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollten wir ein
ziemlich komplettes Bild erhalten", hofft Mark Reid vom Harvard-Smithsonian
Center for Astrophysics.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der am
Freitag in der Zeitschrift Science erschienen ist.
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