Ein Fossil aus der jungen Milchstraße
von Stefan Deiters astronews.com
8. September 2016
Der Kugelsternhaufen Terzan 5 ist offenbar nicht das, was er
auf den ersten Blick zu sein scheint: Eine neue Untersuchung ergab jetzt, dass
die Sterne des Haufens ein sehr unterschiedliches Alter haben und teilweise den
ersten Sternen gleichen, die in der Milchstraße entstanden sind. Terzan 5 könnte
also einiges über die Geschichte unserer Heimatgalaxie verraten.
Hubble-Aufnahme des Sternhaufens Terzan 5,
der sich von anderen Kugelsternhaufen deutlich
unterscheidet.
Bild: ESO / F. Ferraro [Großansicht] |
Terzan 5 gilt als Kugelsternhaufen und befindet sich rund 19.000 Lichtjahre von der
Erde entfernt im Sternbild Schütze. Das vor rund vier Jahrzehnten entdeckte
System liegt damit aus unserer Perspektive genau in Richtung des galaktischen
Zentrums. Ein Team von Astronomen hat nun Terzan 5 erneut detailliert unter die
Lupe genommen - mit dem Very Large Telescope der ESO, dem Weltraumteleskop
Hubble und dem Keck-Teleskop.
Kugelsternhaufen, so zumindest die bislang verbreitete Auffassung, bestehen
in der Regel aus einer sehr einheitlichen Sternenpopulation. Alle Sterne eines Haufens
sollten also zur gleichen Zeit und aus dem gleichen Material entstanden sein.
Deswegen gelten diese Haufen auch als ideale Laboratorien zum Studium der
Sternentwicklung.
Terzan 5 scheint sich allerdings dramatisch von diesem Standardbild zu
unterscheiden: Die Wissenschaftler stellten fest, dass es in dem Haufen zwei
ganz verschiedene Arten von Sternen gibt, die sich nicht nur durch ihre
chemische Zusammensetzung, sondern auch durch ihr Alter unterscheiden. Die
Altersdifferenz beträgt beachtliche sieben Milliarden Jahre. Offenbar wurde
die Sternentstehung in Terzan 5 also von zwei Sternentstehungsausbrüchen
dominiert.
"Damit das möglich ist, muss der Vorfahre von Terzan 5 große Mengen Gas für
eine zweite Generation von Sternen besessen haben und sehr massereich gewesen
sein. Mindestens 100 Millionen mal massereicher als die Sonne", erklärt Davide Massari vom
italienischen L’Istituto Nazionale di Astrofisica und der Universität Groningen in den
Niederlanden.
Diese ungewöhnlichen Eigenschaften machen Terzan 5 zu einer Art lebendigem
Fossil, das Auskunft über die frühe Phase in der Entwicklung unserer
Milchstraße geben kann. Aktuelle Theorien lassen vermuten, dass es damals zu
Wechselwirkungen zwischen gewaltigen Klumpen aus Gas und und Ansammlungen von
Sternen kam, die miteinander verschmolzen sind oder sich wieder aufgelöst haben.
Auf diese Weise entstand schließlich der erste sogenannte Bulge der Milchstraße,
die Sternkonzentration im Zentrum.
"Wir gehen davon aus, dass einige Überreste dieser gasförmigen Klumpen
vergleichsweise unbeschadet überleben konnten und in der Milchstraße
weiterexistieren", erklärt Francesco Ferraro von der Universität Bologna in
Italien. "Solche galaktischen Fossile ermöglichen es Astronomen, einen
bedeutenden Teil der Geschichte der Milchstraße zu rekonstruieren."
Die Eigenschaften der Sterne in Terzan 5 ähneln dann auch mehr denen der
Sterne, die man im Bulge unserer Galaxie findet. Daher könnte es sich bei dem
Sternhaufen tatsächlich um ein Fossil aus der Anfangsphase der Milchstraße und
um den Überrest der Bausteine handeln, aus denen sich unsere Heimatgalaxie einst
gebildet hat.
Auch die ursprüngliche Masse des Haufens, die nötig war, damit
sich überhaupt zwei unterschiedliche Populationen von Sternen bilden konnten,
dürfte der Masse entsprochen haben, die die gewaltigen Klumpen gehabt haben
müssen, aus denen sich vor vielleicht zwölf Milliarden Jahren der Bulge gebildet
hat.
"Manche Eigenschaften von Terzan 5 ähneln denen, die in den riesigen Klumpen
in Sternentstehungsgalaxien bei hoher Rotverschiebung beobachtet wurden, was
nahelegt, dass während der Epoche der Entstehung von Galaxien ähnliche Prozesse
im nahen und fernen Universum stattfanden", unterstreicht Ferraro. "Terzan 5
repräsentiert möglicherweise eine interessante Verbindung zwischen dem nahen und
dem fernen Universum, da es den Entstehungsprozess des Galaxienbulges miterlebt
hat."
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift The Astrophysical Journal erscheinen wird.
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