Kugelsternhaufen NGC 2808 überrascht Astronomen
von Stefan Deiters astronews.com
10. Mai 2007
Kugelsternhaufen galten unter Astronomen lange Zeit als
ideales Laboratorium, um die Entwicklung von Sternen zu studieren. Hauptgrund
für diese exponierte Stellung unter den Sternhaufen war, dass Kugelsternhaufen
nach Ansicht der Wissenschaftler aus Sternen bestehen, die alle zur gleichen
Zeit geboren wurden. Nun entdeckten Astronomen in einem Kugelsternhaufen Sterne
aus drei verschiedenen Generationen - und sind erst einmal geschockt.
Astronomen fanden mit Hilfe des
Weltraumteleskops Hubble drei
Sternengenerationen im Kugelsternhaufen NGC
2808. Foto: NASA, ESA, A. Sarajedini (University of Florida) und G. Piotto (Universität Padua)
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"Wir hätten uns nie gedacht, dass so etwas einmal
passieren würde", sagte Giampaolo Piotto von der Universität im italienischen
Padua, der das Beobachterteam leitete. "Das ist ein kompletter Schock für uns."
Die Astronomen hatten mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble den
Kugelsternhaufen NGC 2808 beobachtet und festgestellt, dass es in dem
Sternhaufen drei deutlich unterscheidbare Sternentstehungsphasen gab. Statt einer Generation entdeckten die Astronomen somit drei
verschiedene Sternengenerationen.
Kugelsternhaufen sind Ansammlungen von mehreren 100.000 Sternen, die alle durch ihre gegenseitige Anziehungskraft zusammengehalten
werden. Sie entstanden zusammen mit unserer Milchstraße und gelten daher als die
ältesten Bestandteile unserer Heimatgalaxie. "Das Standardbild von
Kugelsternhaufen sieht so aus, dass alle Sterne des Haufens zum gleichen
Zeitpunkt aus dem gleichen Material entstanden sind und sich dann über
Milliarden Jahre nebeneinander entwickelt haben", erläutert Teammitglied Luigi
Bedin von ESA, ESO und Space Telescope Science Institute (STScI). "Dieser
Sachverhalt ist die Basis von vielen Studien von stellaren Populationen. Wir
waren daher sehr überrascht, als wir in NGC 2808 Sterne aus verschiedenen
Generationen fanden, die alle während der ersten 200 Millionen Jahre der
Existenz des Haufens geboren wurde." Die Astronomen schätzen das Alter von NGC
2808 auf etwa 12,5 Milliarden Jahre.
Die Astronomen sind vor allem deswegen so aus dem Häuschen, weil dieser Fund nicht
nur als gesichert geltendem Wissen über Kugelsternhaufen widerspricht, sondern
weil er Folgen für ganz andere Gebiete der Astronomie hat: "Wir müssen unser
Bestes tun, um dieses Mysterium zu lösen", so Piotto, "damit wir auch verstehen
können, wie sich Sterne in fernen Galaxien im jungen Universum gebildet
haben."
Die Astronomen nutzten Hubbles Advanced Camera for Surveys um die Helligkeit
und Farbe von Sternen in dem Kugelsternhaufen zu bestimmen. Farbe und Helligkeit
werden benutzt um in sogenannten Farben-Helligkeits-Diagrammen etwas über den
Entwicklungsphasen der Sterne eines Sternhaufens zu erfahren. Dank Hubbles
exzellentem Auflösungsvermögens gelang es den Forschern drei verschiedene
Populationen in NGC 2808 zu unterscheiden: Je jünger die jeweilige
Sternengeneration war, desto blauer waren die Sterne - ein Hinweis auf leicht
unterschiedliche chemische Zusammensetzung der fernen Sonnen.
"Eine Vermutung, für die wir allerdings noch keine Beweise haben, ist die,
dass sich die blauer werdende Farbe von Sternengeneration zu Sternengeneration
durch einen jeweils höheren Heliumanteil der Sterne erklärt", spekuliert Ivan
King von der University of Washington in Seattle. "Vielleicht können
sehr massereiche Sternhaufen wie NGC 2808 genug Gas halten, um kurz
hintereinander mehrere Sternengenerationen hervorzubringen." Die Phasen von
Sternentstehung würden durch Supernova-Explosionen der Vorgängergeneration
angeregt, deren Stoßwellen das Gas komprimieren. Durch das von massereichen
Sternen ins All geblasene Material würde sich das Gas zudem mehr und mehr mit
Helium anreichern.
Hauptgrund für die Annahme, dass es nur eine Sternengeneration in
Kugelsternhaufen geben kann ist, dass man bislang davon ausging, dass die
Strahlung der ersten Sterne des Haufens fast sämtliches Gas des Sternhaufens weggeblasen hat, so dass für eine weitere Generation kein Gas übrig war. Doch NGC
2808 ist mit über einer Millionen Sternen einer der massereichsten Sternhaufen,
so dass es ihm vielleicht möglich war, etwas Gas für weitere Sternengenerationen
zu halten.
Es gibt auch noch ein weitere Möglichkeit: NGC 2808 ist vielleicht gar kein
Kugelsternhaufen, sondern sieht nur so aus. Im Falle des Sternhaufen Omega Centauri, bei dem Piotto und sein Team auch mehrere Sternengenerationen fanden,
mutmaßen die Forscher inzwischen, dass es sich nicht um einen Kugelsternhaufen,
sondern um die Überreste einer Zwerggalaxie handelt. Vielleicht gilt ähnliches für NGC 2808.
Die Frage, die sich also stellt ist, ob mehrere Sternengenerationen in
Kugelsternhaufen die Ausnahme oder die Regel sind. "Niemand würde soweit gehen
und jetzt behaupten, dass alle bisherigen Arbeiten über Kugelsternhaufen
ungültig sind", so King. "Aber diese Beobachtungen zeigen, dass das Studium von
Sternenpopulationen in Kugelsternhaufen in eine neue Richtung geht." Das Team
will nun mit Hilfe des Very Large Telescope der ESO NGC 2808 auch
spektroskopisch beobachten und hat zudem zehn weitere massereiche Kugelsternhaufen
auf ihrer Hubble-Beobachtungsliste.
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