Höhenkrank für die Wissenschaft
Redaktion
/ Pressemitteilung des DLR astronews.com
22. August 2016
In den Walliser Alpen werden gerade zehn Probanden sechs
Tage lang dabei beobachtet, wie sie freiwillig unter der Höhenkrankheit leiden. Die Daten
sollen helfen, die medizinischen Folgen eines Aufenthalts auf der Oberfläche des
Mars besser einschätzen zu können. Hier würden Astronauten nämlich vermutlich
unter ganz ähnlichen Bedingungen leben müssen.
Forschen in über 4500 Metern Höhe: Die Hütte
Regina Margherita, Europas höchstgelegenes
Gebäude, wird vom DLR für eine Studie zur
Ödembildung genutzt.
Bild: Rifugi Monte Rosa / Giorgio
Tiraboschi [Großansicht] |
Kopfschmerzen, Übelkeit oder auch angeschwollene Hände und Füße - das alles
kommt auf die Probanden zu, die derzeit zügig zu Europas höchstgelegenem Gebäude
aufsteigen, um freiwillig unter der Höhenkrankheit zu leiden. Auf der
italienischen Schutzhütte Regina Margherita in den Walliser Alpen werden zehn
Probanden für sechs Tage genau untersucht, wenn ihr Körper auf 4554 Metern Höhe
über dem Meeresspiegel auf Sauerstoffmangel und geringen Luftdruck reagiert.
"Wenn in Zukunft Astronauten in einem Habitat auf dem Mars stationiert sind,
werden sie sehr wahrscheinlich in einer ähnlichen Druckatmosphäre leben und
arbeiten", erläutert der ärztliche Leiter der Studie, Dr. Ulrich Limper vom
Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. "Wir können aber bisher nicht
vorhersagen, bei welchen Personen die Höhenkrankheit auftritt und was ihre
Ursachen sind." Eine mögliche Erklärung: "Der Sauerstoffmangel in der Höhe
schädigt die Gefäßbarriere - Flüssigkeit und Eiweiße wandern daher ins
Bindegewebe, und es entstehen zum Teil gefährliche Ödeme im Körper, besonders in
der Lunge und dem Gehirn."
Täglich werden die Teilnehmer der Studie "Ödembildung durch Aufenthalt in den
Hochalpen" - fünf Männer und fünf Frauen - daher ärztlich untersucht, um Daten
zu gewinnen, aber auch um eine Gefährdung ihrer Gesundheit auszuschließen. Sie
werden jeden Tag Blut, Urin und Speichel abgeben, ihren Blutdruck und ihre
Herzfrequenz messen und in einem "Tagebuch" exakt erfassen, welche Symptome der
Höhenkrankheit in welchem Ausmaß spürbar sind. Leichter, mäßiger oder sogar
schwerer Schwindel? Normaler Appetit, leichte Übelkeit, Erbrechen oder schwerste
Übelkeit? Zu großen Teilen wirkt sich die Höhenkrankheit auf die Befindlichkeit
aus, die jeder Proband möglichst genau für sich einschätzen muss.
Tägliche Ultraschallaufnahmen von Lunge, Stirn, Händen und Füßen zeigen
hingegen ganz objektiv, ob sich im Gewebe der Probanden Flüssigkeit einlagert,
weil die Gefäße durchlässiger werden. Bruchstücke der Gefäßwand oder
Eiweiß-Moleküle im Blut würden die Hypothese belegen, dass tatsächlich die
Gefäßbarrieren durch den Aufenthalt in der Höhe für kurze Zeit geschädigt werden
- und somit Auslöser für die gefährlichen Wassereinlagerungen unter anderem in
Lunge und Gehirn sein könnten.
"Wir stehen mit unseren Untersuchungen noch am Anfang", sagt DLR-Arzt Limper,
"aber die Ergebnisse der Studie werden uns zeigen, an welchem Mechanismus wir
ansetzen müssen, um effektive Gegenmaßnahmen zu treffen." Da die Probanden über
einen Zeitraum von sechs Tagen den Bedingungen in der Höhe ausgesetzt sind, kann
auch erforscht werden, ob sich die zerstörten Kapillarwände nach einigen Tagen
wieder regenerieren und der Körper sich an die Höhe anpasst. Atmosphärenwechsel
auf dem Mars
Bei einer Weltraummission zum Mars wäre dieses Wissen für den Astronauten und
seine Arbeit vor Ort wichtig: Um häufige Ausstiege aus dem Habitat möglichst
unkompliziert und mit kurzer Vorbereitungszeit umzusetzen, würden die
Astronauten unter einer Atmosphäre mit geringerem Druck und geringerem
Sauerstoffpartialdruck im Vergleich zur Erde leben. Dadurch wäre der Körper
besser auf die veränderte Atmosphäre im Raumanzug während der Ausstiege
vorbereitet. "Allerdings kann zurzeit noch überhaupt nicht abgeschätzt werden,
wie groß dabei das Risiko ist, dass die Astronauten unter Symptomen der
Höhenkrankheit leiden würden."
In der Internationalen Raumstation ISS leben die Astronauten hingegen in
einer nahezu irdischen Atmosphäre - Druck und Sauerstoffgehalt unterscheiden
sich kaum von den Bedingungen auf der Erde. Daher besteht dort auch nicht das
Risiko, dass der Körper mit Symptomen der Höhenkrankheit reagiert.
Während der Körper der Astronauten bei einer zukünftigen Marsmission durch
die Isolation, die Strahlung oder auch die psychologische Herausforderung unter
Stress gesetzt wird, erleben die Probanden der Studie ebenfalls Stressfaktoren
wie die körperliche Erschöpfung durch den Aufstieg, kühle Temperaturen und auch
eine psychologische Anspannung. "Wir bewegen uns in einer ungewohnten und
komplexen Umgebung, die für die Probanden ähnlich explorativ ist, wie der Mars
für die Astronauten", sagt Limper.
Da erste körperliche Einschränkungen bereits ab 1500 Metern Höhe auftreten
können, steigen die Probanden mit zwei Zwischenübernachtungen in 2500 sowie 3647
Metern Höhe auf. Treten auf dem Weg zum internationalen Zentrum für
höhenphysiologische Forschung in der Berghütte Regina Margherita
schwerwiegendere Probleme wie große Atemnot, Leistungseinbruch oder auch
Rasselgeräusche in der Lunge bei einem Studien-Teilnehmer auf, kehrt dieser von
einem Bergführer begleitet ins Tal zurück.
Von der Studie profitieren könnten auch irdische Patienten, die bei
Blutvergiftung oder schweren Traumata wie Verbrennung häufig mit Ödemen
reagieren, die eine schnelle Gesundung erschweren. "Wenn wir herausfinden, wie
man diese gefährliche Einlagerung von Flüssigkeit vermeiden könnte, könnte man
diese Erkenntnis auch für solche Patienten in Krankenhäusern einsetzen",
unterstreicht Limper.
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