Blutgefäßzellen in Schwerelosigkeit
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
22. April 2016
Der menschliche Körper ist bei längeren Aufenthalten im All
erheblichen Belastungen ausgesetzt. Dies betrifft nicht nur die Muskulatur,
sondern auch das Herz-Kreislauf-System. Magdeburger Wissenschaftler erforschen
zur Zeit auf der Internationalen Raumstation ISS wie sich Blutgefäßzellen in
Schwerelosigkeit verhalten. Die Daten könnten auch für irdische Patienten von
Bedeutung sein.
Menschliche Endothelzellen werden in acht
Experimentkammern der Schwerelosigkeit
ausgesetzt. Auf dem Bild ist die
SPHEROIDS-Hardware mit den Probenkammern zu
erkennen.
Foto: Universität Magdeburg [Großansicht] |
In dem vor zwei Wochen zur Internationalen Raumstation ISS gestarteten
Dragon-Raumfrachter befand sich auch das deutsches Experiment SPHEROIDS.
Mit dem Experiment, das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
gefördert wird und mit einem "Ticket" der Europäischen Weltraumorganisation ESA
zur ISS fliegt, wollen Wissenschaftler der Universität Magdeburg die
Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf menschliche Blutgefäßzellen
(Endothelzellen) untersuchen.
Diese Zellen bilden die innerste Schicht der menschlichen Blutgefäße. Sie
kleiden jedes unserer Blutgefäße aus, steuern ganz wesentlich die
Funktionsfähigkeit unserer Gefäßwände und spielen eine wichtige Rolle bei der
Regulierung des Blutdrucks, beim Wachstum von Muskelzellen sowie bei Gerinnungs-
und Entzündungsprozessen.
"Bei SPHEROIDS geht es in erster Linie darum, herauszufinden, wie
Endothelzellen ohne Schwerkraft wachsen und sich zu komplexeren Strukturen und
Geweben, sogenannten dreidimensionalen Sphäroiden, entwickeln. Dahinter stehen
grundsätzliche medizinische Fragen, etwa nach der genetischen Programmierung
dieser Zellen und den Schlüsselmolekülen solcher Entwicklungsprozesse im
menschlichen Körper", erklärt Dr. Markus Braun, SPHEROIDS-Projektleiter im DLR
Raumfahrtmanagement in Bonn.
Langzeitaufenthalte im Weltraum sind nämlich eine Herausforderung für die
Skelettmuskulatur, das Immunsystem und das Herz-Kreislaufsystem von Astronauten.
Die gesundheitlichen Probleme, die nach längeren Phasen in der Schwerelosigkeit
auftreten können, entstehen unter anderem durch Veränderungen der
Endothelzellen. "Wenn es uns gelingt, die Mechanismen und die Funktion der
Endothelzellen unter Mikrogravitation zu verstehen sowie die Wachstumsprozesse
dieser Zellen zu bestimmen, wäre das ein großer Erfolg", verdeutlicht Daniela
Grimm, Professorin für Gravitationsbiologie und Translationale Regenerative
Medizin der Universität Magdeburg, und ergänzt: "Mithilfe dieser Erkenntnisse
könnten Mediziner völlig neue Behandlungsmöglichkeiten für Kreislauferkrankungen
entwickeln."
Die Forscher hoffen, mit den Resultaten aus dem SPHEROIDS-Experiment kleinste
Blutgefäße im Reagenzglas züchten zu können. Diese winzigen Adern könnten für
Transplantationen eingesetzt werden. "Auch Tests mit pharmazeutischen Substanzen
wären damit möglich, wodurch die Zahl der Tierversuche gesenkt werden könnte",
sagt Grimm.
Während des zweitägigen Fluges der Dragon-Kapsel zur ISS befanden
sich die Endothelzellen in acht Experimentkammern. Auf der Raumstation
angekommen, wurden die Kammern von den Astronauten in einen Inkubator im
europäischen Columbus-Forschungslabor eingesetzt. Rund eine Woche lang
wuchsen und vermehrten sich die Zellen dann in Schwerelosigkeit. Ein Teil der
Zellen wurde am siebten Tag automatisch chemisch fixiert. Ein anderer Teil wurde
mit einer Nährlösung versorgt und darf für weitere sieben Tage auf der ISS
wachsen, bevor auch diese Zellen fixiert werden.
Diese Prozedur stellt sicher, dass sich die Präparate bis zum Zeitpunkt der
Untersuchung im Labor der Universität Magdeburg nicht mehr verändern können. Bei
ähnlichen Versuchen konnten bereits innerhalb sehr kurzer Zeit erste
3D-Strukturen beobachtet werden. Schon nach wenigen Tagen hatten sich die ersten
winzigen Sphäroide - kugelförmige Zellhaufen - mit einem Umfang von etwa 0,3
Millimetern gebildet. Nach fünf Tagen hatte ein Großteil der Proben Sphäroide
geformt - einige der Präparate wuchsen sogar zu aderähnlichen Strukturen heran.
Nach rund 30 Tagen im All treten die Endothelzellen gekühlt ihre Rückreise in
der Dragon-Kapsel an und werden ins Heimatlabor nach Magdeburg
zurückgebracht, wo die molekulare und biochemische Untersuchung beginnt. Die
Dragon-Raumfrachter bieten die Möglichkeit Experimente auch wieder zur Erde
zurückzubringen, da sie - anders als etwa die russischen Progress-Kapseln
oder die Cygnus-Raumfrachter - nicht in der Erdatmosphäre verglühen,
sondern vor der amerikanischen Westküste im Pazifik wassern.
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