Auf der Spur der unsichtbaren Zwerggalaxien
von Stefan Deiters astronews.com
12. Juli 2012
Astronomen haben mit dem Weltraumteleskop Hubble
einige der masseärmsten und leuchtschwächsten Galaxien in unserer kosmischen
Nachbarschaft untersucht. Diese Zwerggalaxien gelten als Überreste aus der
Frühphase des Universums und dürften sich seit rund 13 Milliarden Jahren kaum
verändert haben. Ihr Studium könnte helfen, das seit längerem bestehende Problem
der fehlenden Zwerggalaxien zu lösen.

Blick auf die Himmelsregion, in der sich die
Zwerggalaxie Leo IV befindet. Sie ist rund
500.000 Lichtjahre von der Erde entfernt.
Bild: NASA, ESA und T. Brown (STScI) [Großansicht]

Enthüllung einer Zwerggalaxie: Die
Bildausschnitte zeigen die Hintergrundobjekte der
Region (Mitte) und die Sterne, die zu Leo IV
gehören (rechts).
Bild: NASA, ESA und T. Brown (STScI) [Großansicht] |
Eigentlich haben Astronomen eine recht gute Vorstellung davon, wie sich die
Galaxien im Universum gebildet haben. Nach und nach wurden durch Kollisionen und
Verschmelzungen aus vielen kleinen Objekten immer größere Gebilde und
schließlich die eindrucksvollen Systeme, die wir heute in unserer kosmischen
Nachbarschaft beobachten können.
Bei diesem Modell gibt es nur ein Problem: Simuliert man nämlich die Prozesse
mit einem Computer, erhält man tatsächlich Galaxien wie unsere Milchstraße.
Allerdings sollten um diese auch Tausende von kleinen Zwerggalaxien kreisen.
Gefunden hat man davon allerdings bislang lediglich einige Dutzend. In der
Astronomie ist dieser Sachverhalt als "Problem der fehlenden Zwerggalaxien"
bekannt. Neue Beobachtungen von drei solchen Zwerggalaxien mit dem
Weltraumteleskop Hubble könnten nun aber dazu beitragen, einer Lösung
des Problems etwas näher zu kommen.
In den vergangenen Jahren wurden rund um die Milchstraße mehrere extrem
leuchtschwache Zwerggalaxien entdeckt, die nur sehr wenig Sterne enthalten. Sie
sind nur schwer zu finden und wurden teils mit automatischen Suchverfahren
aufgespürt. Da sie sich fast gar nicht durch eine erhöhte Sternenkonzentration
verraten, heben sie sich auch kaum vom Hintergrund der anderen Sterne und
Galaxien ab. Diese Zwerggalaxien gelten als die kleinsten, ältesten und
ursprünglichsten Galaxien im Universum.
Mit dem Weltraumteleskop Hubble haben Astronomen nun drei dieser
Galaxien, nämlich die Zwerggalaxien Hercules, Leo IV und Ursa Major, gründlich
untersucht und dabei herausgefunden, dass die Sternentstehung in ihnen vor mehr
als 13 Milliarden Jahren eingesetzt hat und dann plötzlich zum Erliegen kam.
Dies alles spielte sich innerhalb von einer Milliarde Jahren nach dem Urknall ab.
Die Sterne, die sich in diesen Galaxien finden lassen, dürften also ein extremes
Alter haben.
"Diese Galaxien sind alle extrem alt und sie haben alle das gleiche Alter",
erklärt Tom Brown vom Space Telescope Science Institute im
amerikanischen Baltimore, der Leiter der Untersuchung. "Es ist so, als hätte
irgendetwas ganz plötzlich die Sternentstehung in all diesen Galaxien zum
gleichen Zeitpunkt abgewürgt, wie beim Fall einer Guillotine. Die
wahrscheinlichste Erklärung dafür ist eine Prozess, den man Reionisation nennt."
Die kleinen Galaxien dürften rund 100 Millionen Jahre vor einer Periode
entstanden sein, in der sich das junge Universum entscheidend verändert hat.
Damals sorgte die Strahlung der ersten Sterne dafür, dass das Universum für das
sichtbare Licht "durchsichtig" wurde. Das kalte Wasserstoffgas wurde ionisiert,
die Wasserstoffatome verloren also ihr Elektron. Man spricht von der Epoche der
Reionisation.
Die gleiche Strahlung aber, die für diese Reionisation verantwortlich war,
könnte auch die Sternentstehung in den nur rund 2.000 Lichtjahre durchmessenden
Galaxien abgewürgt haben. In diesen waren gerade erst wenige Sterne entstanden,
als die intensive ultraviolette Strahlung das gesamte verbleibende Gas der
Galaxien, also das Grundmaterial für die Bildung neuer Sterne, praktisch
weggeblasen hat. Größeren Galaxien hingegen gelang es, ihr Gas zu halten. In
diesen konnten somit weiter Sterne entstehen.
Die geringe Zahl von bislang entdeckten Zwerggalaxien rund um die Milchstraße
könnte sich also dadurch erklären lassen, dass in zahlreichen dieser Galaxien so
wenig Sterne entstanden sind, dass sie praktisch unsichtbar sind. Man hat auch
jüngst mehrere extrem leuchtschwache Zwerggalaxien aufgespürt, die etwa 100-mal
mehr Dunkle Materie enthalten als sichtbare Materie. In normalen Zwerggalaxien
findet sich nur etwa zehn Mal mehr Dunkle Materie als sichtbare Materie. Von
diesen leuchtschwachen Galaxien könnten sich noch unzählige weitere rund um die
Milchstraße befinden. In einigen könnte es praktisch gar keine Sterne geben.
"Durch die Messung der Sternentstehungsgeschichte in den beobachteten
Zwerggalaxien hat Hubble Beweise dafür geliefert, dass ein
theoretisches Modell zur Erklärung des beobachteten Mangels dieser Objekte
stimmen könnte", so Jason Tumlinson vom Space Telescope Science Institute.
"Die Sternentstehung in diesen Objekten wurde durch die Reionisation abgewürgt."
Die Astronomen berichteten über ihre Beobachtungen in einem Fachartikel in der
Zeitschrift The Astrophysical Journal Letters.
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