Herkules-Zwerggalaxie überrascht Astronomen
Redaktion / MPG-Pressemitteilung astronews.com
14. September 2007
Eine der ersten wissenschaftlichen Beobachtungen mit dem neuen
Large Binocular Telescope in Arizona lieferte ein verblüffendes
Ergebnis: Eine winzige, erst kürzlich entdeckte Zwerggalaxie unserer Milchstraße
ist so langgestreckt, dass ihr Aussehen eher an eine Zigarre als an eine Galaxie
erinnert. Nun rätseln die Astronomen, wie es zu dieser ungewöhnlichen Form
kommen konnte. Ist etwa unser Milchstraße Schuld?

Das sehr flache und langgezogene
Erscheinungsbild der Herkules-Zwerggalaxie wird
deutlich, wenn man die Verteilung der schwachen
Sterne auf der Aufnahme im Computer
"verschmiert".
Bild: LBT Corporation
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Das Large Binocular Telescope.
Foto: LBT Corporation |
Durch einige der ersten wissenschaftlichen Beobachtungen mit dem neuen
Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona ist es einem internationalen Team von Astronomen gelungen, bei einem erst kürzlich entdeckten winzigen Begleiter unseres Milchstraßensystems, der sogenannten Herkules-Zwerggalaxie, außergewöhnliche Eigenschaften zu entdecken: Während nahezu alle Objekte in der Familie der kleinsten Zwerggalaxien rund sind, hat diese über 430.000 Lichtjahre entfernte Galaxie ein sehr flaches Erscheinungsbild in Form einer Scheibe oder Zigarre.
Wie bei unserem Milchstraßensystem, verteilen sich die Sterne in vielen großen Galaxien in einer scheibenartigen Struktur. In kleineren Galaxien wie der Herkules-Zwerggalaxie, welche trotz ihres Namens nur ein zehn Millionstel der Sternenzahl unserer Galaxis enthält, wurde nie zuvor eine scheibenartige Struktur beobachtet. Unter den Millionen gut untersuchten Galaxien fand sich bisher keine mit einer zigarrenartigen Form.
Eine mögliche Erklärung für die außergewöhnliche Morphologie dieser Galaxie ist, dass sie durch die gravitativen Kräfte unseres Milchstraßensystems verformt wurde. Dieser Effekt ist definitiv bei einer anderen Satellitengalaxie unseres Milchstraßensystems, der Sagittarius-Zwerggalaxie, zu beobachten. Jedoch ist dieses Objekt dem Zentrum unserer Galaxis zehnmal näher als die Herkules-Zwerggalaxie und deshalb den
"zerstörerischen" Schwerkräften des Milchstraßensystems viel stärker ausgesetzt.
Die Herkules-Zwerggalaxie kann daher nur ein ähnliches Schicksal ereilt haben, wenn sie aufgrund ihrer Umlaufbahn dem Zentrum unseres Milchstraßensystems außergewöhnlich nahe gekommen ist.
"Die Herkules-Zwerggalaxie ist deshalb entweder völlig anders als irgendeine der Millionen anderen bislang studierten Galaxien, oder sie umkreist unsere Galaxis auf einem extremen, nahezu in das Zentrum
'eintauchenden' Orbit: in jedem Fall ist sie ein besonderes, ja einzigartiges Objekt", so Matthew Coleman vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, der diese Studie leitet.
Die Schlussfolgerungen der Forscher wurden durch die sehr tiefen Aufnahmen ermöglicht, die mit dem neuen
Large Binocular Telescope (LBT) gewonnen wurden. Das LBT ist das größte Einzelteleskop der Welt und befindet sich auf dem 3.190 Meter hohen Mount Graham in Arizona. Zwei riesige Spiegel mit 8,4 Metern Durchmesser befinden sich gemeinsam auf einer Montierung und machen das Teleskop zu einem gigantischen Fernglas.
Das Bild der Herkules Zwerggalaxie wurde unter Verwendung der High-tech Large Binocular Camera (LBC Blue) gewonnen, welche sich im Primärfokus eines der beiden 8,4 Meter Spiegel befindet.
LBC Blue und sein zukünftiger Zwilling für den roten Spektralbereich,
LBC Red, wurden von den italienischen Partnern des Projekts entwickelt.
Dieses Instrument und das Teleskop arbeiten zusammen wie eine riesige Digitalkamera, mit deren Hilfe Bilder extrem lichtschwacher Objekte in einem Gesichtsfeld von der Größe des Vollmondes gewonnen werden können.
"Ich bin erfreut zu sehen, dass den Astronomen mit der neuen Kamera solche beeindruckenden Bilder zur Verfügung gestellt werden können", sagt der Erbauer der Kamera, Emanuele Giallongo, vom
Istituto Nazionale di Astrofisica (INAF) in Rom.
"Wir haben unseren Astronomen erste Beobachtungszeit zur Demonstration der wissenschaftlichen Einsatzfähigkeit des LBT zur Verfügung
gestellt, damit sie zeigen können, was mit diesem neuen Instrument geleistet werden kann", so der Direktor des LBT Observatoriums, Richard Green.
"Dies ist nur das erste Ergebnis, viele weitere werden folgen".
Durch die Kombination der Strahlengänge beider Einzelspiegel wird das LBT in seiner endgültigen Konfiguration so viel Licht sammeln, wie ein Teleskop mit einem einzigen Hauptspiegel von 11,8 Metern Durchmesser. Damit wird die Lichtsammelleistung des 2,4 Meter-Spiegels des
Hubble-Weltraumteleskops um einen Faktor 24 übertroffen. Noch bedeutender ist, dass das LBT dann die Auflösung eines 22,8 Meter-Teleskops haben wird, denn es wird über die modernste Adaptive Optik verfügen und die Bilder der Einzelspiegel interferometrisch zu einem Gesamtbild überlagern.
Die Astronomen sind damit in der Lage, die durch die Luftunruhe verursachte Unschärfe erdgebundener Aufnahmen zu kompensieren. Mit dieser Leistungsfähigkeit wird das LBT völlig neue Möglichkeiten zur Erforschung von Planeten außerhalb des Sonnensystems und zur Untersuchung der schwächsten und am weitesten entfernten Galaxien bieten.
Die LBC Kamera ist das erste einer ganzen Reihe von High-Tech-Instrumenten, mit denen das LBT in der Zukunft ausgestattet sein wird.
Diese zusätzlichen Instrumente schließen sowohl Spektrographen mit unterschiedlichen Auflösungen und spektralen Empfindlichkeiten ein, als auch komplexe Instrumente zur Kombination der Strahlengänge der beiden Hauptspiegel. Sowohl das Teleskop als auch die Instrumente werden in internationaler Zusammenarbeit von Instituten in den USA, Italien und Deutschland gebaut.
Aufgrund der eindrucksvollen ersten Bilder und Ergebnisse sind die Astronomen nun sehr zuversichtlich, dass das 120 Millionen Dollar-Projekt auf einem guten Weg ist.
Die Partner in der LBT Corporation (LBTC) sind: University of Arizona, USA;
Istituto Nazionale di Astrofisica, Italien; LBT Beteiligungsgesellschaft (LBTB), Deutschland; Max-Planck-Gesellschaft, Astrophysikalisches Institut Potsdam, Universität Heidelberg;
Ohio State University, USA; The Research Corporation, USA (University of Notre Dame,
University of Minnesota and University of Virginia)
Die deutschen Partner unter der Koordination des Max-Planck-Instituts für Astronomie
in Heidelberg, sind mit 25 Prozent Beobachtungszeit am LBT-Projekt beteiligt.
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