Rätselhafte Verteilung der Dunklen Materie
von Stefan Deiters astronews.com
18. Oktober 2011
Dunkle Materie sorgt dafür, dass Galaxien überhaupt in der
Form existieren können, in der wir sie heute beobachten. Ohne ihren Einfluss
wären nämlich viele Sterne nicht mehr an ihre Galaxie gebunden. Trotzdem weiß man über
die Natur der Dunklen Materie kaum etwas. Auch eine neue Untersuchung
von zwei Zwerggalaxie hat daran nichts geändert. Sie gibt
sogar neue Rätsel auf.

Blick auf eine Zwerggalaxie von der Oberfläche
eines hypothetischen extrasolaren Planeten.
Bild: David A.
Aguilar (CfA) [Großansicht]
|
"Nach Abschluss dieser Studie wissen wir weniger über Dunkle
Materie als vorher", fasst Matt Walker vom Harvard-Smithsonian Center for
Astrophysics die Ergebnisse der Untersuchung zusammen, die in Kürze in der
Fachzeitschrift The Astrophysical Journal erscheinen wird. Zusammen mit seinem
Kollege Jorge Peñarrubia von der Universität im englischen Cambridge hat Walker
die Verteilung der Dunklen Materie in zwei Zwerggalaxien bestimmt und dabei
festgestellt, dass die rätselhafte Substanz darin relativ gleichmäßig verteilt
ist.
Dies widerspricht allerdings dem, was die Astronomen bislang über Dunkle
Materie zu wissen glaubten. Im Standardmodell der Kosmologen, das von Dunkler
Energie und Dunkler Materie dominiert wird, besteht Dunkle Materie
aus exotischen "kalten", also sich langsam bewegenden, Partikeln, die sich gegenseitig
anziehen und dann verklumpen. Mit der Zeit binden sie auch normale Materie an sich,
bis schließlich ganze Galaxien entstehen. In umfangreichen Computersimulationen
können die Forscher diese Prozesse nachbilden. Danach sollte sich die Dunkle
Materie besonders in den Zentren der Galaxien konzentrieren - im Gegensatz zum
Befund von Walker und Peñarrubia.
"Unsere Messungen widersprechen den grundsätzlichen Vorhersagen über kalte
Dunkle Materie in Zwerggalaxien", so Walker. "Bis die Theoretiker nicht diese
Vorhersage anpassen können, stimmt das Modell mit kalter Dunkler Materie nicht
mit unseren Beobachtungen überein." Zwerggalaxien bestehen zu 99 Prozent aus
Dunkler Materie und nur zu einem Prozent aus normaler Materie wie Sternen. Das
macht sie zu idealen Studienobjekten für alle Wissenschaftler, die an Dunkler
Materie interessiert sind.
Die Astronomen hatten für ihre Studie zwei Zwerggalaxien der Milchstraße
untersucht, die Fornax- und Sculptor-Zwerggalaxie. Beide Galaxien bestehen nur
aus etwa zehn Millionen Sternen - unsere Milchstraße verfügt über mehrere 100
Milliarden. Die Forscher haben nun Ort, Geschwindigkeit und die chemische
Zusammensetzung von jeweils über 1.000 Sternen der beiden Galaxien bestimmt, um mit deren
Hilfe auf die Masseverteilung in den Galaxien schließen zu können. "Sterne
in Zwerggalaxien verhalten sich mehr wie Bienen, die um einen Bienenstock
herumschwirren und kreisen nicht auf gleichmäßigen, kreisförmigen Bahnen wie in
Spiralgalaxien", so Peñarrubia. "Das macht es deutlich schwieriger, die
Verteilung der Dunklen Materie zu bestimmen."
Die Auswertungen ergaben nun, dass bei beiden Zwerggalaxien die Dunkle
Materie relativ gleichmäßig über mehrere Hundert Lichtjahre verteilt ist. Nach
den Vorhersagen sollte aber in
Richtung des Zentrums der Galaxien ein deutlicher Anstieg der Dichte der Dunklen
Materie festzustellen sein. "Wenn die Zwerggalaxie ein Pfirsich wäre, sagt das
kosmologische Standardmodell voraus, dass man einen Dunkelmaterie-Kern im
Zentrum finden sollte", vergleicht Peñarrubia. "Stattdessen sehen die beiden
Zwerggalaxien, die wir untersucht haben, wie kernlose Pfirsiche aus."
Einige Wissenschaftler haben vorgeschlagen, dass Wechselwirkungen zwischen
normaler und Dunkler Materie für eine gleichmäßigere Verteilung der Dunklen
Materie sorgen könnten. Aktuelle Simulationen deuten aber darauf hin, dass dies
in Zwerggalaxien nicht passiert. Ihre Ergebnisse würden, so die Forscher,
entweder bedeuten, dass normale Materie die Dunkle Materie deutlich mehr
beeinflusst als angenommen oder aber, dass die Dunkle Materie nicht "kalt" ist.
Die Astronomen planen nun weitere Zwerggalaxien zu untersuchen, insbesondere
auch Systeme mit einem noch höheren Dunkelmaterie-Anteil.
|