Erdnächsten Neutronenstern entdeckt?
von Stefan Deiters astronews.com
21. August 2007
Mithilfe des NASA-Satelliten Swift haben Astronomen
vielleicht den erdnächsten Neutronenstern aufgespürt. Der kompakte Stern im
Sternbild Kleiner Bär liegt zwischen 250 und 1.000 Lichtjahren von der Erde
entfernt und ist erst der achte isolierte Neutronenstern, der überhaupt entdeckt
wurde. Von den Wissenschaftlern bekam er den Spitznamen Calvera.

So stellt sich ein Künstler einen isolierten
Neutronenstern vor.
Bild: Casey Reed / Penn State University |
Der jetzt entdeckte Neutronenstern bekam von den Forschern intern
den Spitznamen "Calvera" verpasst - nach dem Schurken aus dem Western "Die
glorreichen Sieben". Bestätigt sich die Entdeckung, wäre "Calvera" erst der
achte isolierte Neutronenstern, den man überhaupt entdeckt hat. Das bedeutet,
dass das Objekt beispielsweise über keinen Begleitstern verfügt und man auch
keinerlei Überreste der Supernova ausmachen kann, durch die der Stern einmal
entstanden ist. "Die sieben bislang bekannten isolierten Neutronensterne waren
unter der Bezeichnung 'Die glorreichen Sieben' bekannt. Der Name Calvera für
diesen Stern ist damit ein kleiner Insider-Witz", erklärt Mitentdecker Derek Fox
von der Penn State University.
Aufmerksam auf den Neutronenstern war zuerst Robert Rutledge von der McGill
University geworden, als er einen Katalog mit 18.000 Röntgenquellen der
deutsch-amerikanischen ROSAT-Mission mit Katalogen mit Objekten im Sichtbaren,
Infraroten und im Radiobereich verglich. Der Röntgensatellit ROSAT arbeitete
zwischen 1990 und 1999. Rutledge fiel bei seiner Durchsicht auf, dass sich für das ROSAT-Objekt
mit der Bezeichnung 1RXS J141256.0+792294 keinerlei Entsprechung in den anderen
Katalogen finden lies.
Zusammen mit Kollegen nahm Rutledge nun das Objekt im August 2006 mit dem
NASA-Satelliten Swift ins Visier. Das Röntgenteleskop an Bord von Swift zeigte
bald, dass 1RXS J141256.0+792294 immer noch vorhanden war und in etwa die selbe
Menge an Röntgenstrahlung aussandte, wie zur Zeit der ROSAT-Beobachtungen. Dank
der neuen Beobachtungen konnten die Wissenschaftler zudem die Position des
Objektes genauer bestimmen und so bestätigen, dass es an dieser Stelle
tatsächlich kein anderes bekanntes Objekt gibt.
"Die Swift-Beobachtungen dieser Quelle haben den Stein ins Rollen gebracht",
erinnert sich Penn State University-Student Andrew Shevchuk, der auch an den
Beobachtungen beteiligt war. "Sobald ich die Daten sah, war mir klar, dass
Calvera ein vielversprechender Kandidat für einen Neutronenstern war."
Als nächstes nahmen die Astronomen "Calvera" mit dem 8,1 Meter Gemini North
Telescope auf Hawaii unter die Lupe. Diese Beobachtungen - zusammen mit
einem kurzen Blick mit dem NASA-Röntgenteleskop Chandra - zeigten, dass
es zu "Calvera" im sichtbaren Bereich des Lichtes tatsächlich keine Entsprechung
gibt. Chandra sah das Objekt als punktförmige Quelle, wie es für einen
Neutronenstern zu erwarten ist.
Um diese Beobachtungsbefunde zu erklären gibt es, so Rutledge, keine anderen,
allgemein akzeptierten Theorien, außer der, dass es sich um einen Neutronenstern
handelt. Doch um was für einen Typ weiß der Astronom nicht: "Entweder ist Calvera ein ungewöhnliches
Beispiel für einen bekannten Neutronenstern-Typ oder aber ein ganz neuer Typ
und damit der erste dieser Art, der entdeckt wurde."
"Calvera" liegt außerhalb der Milchstraßenebene, was die Astronomen vor ein
weiteres Rätsel stellt. Sie vermuten, dass das Objekt als normaler Stern in der
galaktischen Scheibe existiert hat, bevor es als Supernova explodierte. Um seine
heutige Position zu erreichen, muss es dann aus der Milchstraßenscheibe hinaus
gewandert sein. "Am wahrscheinlichsten dürfte es sein, dass sich der Stern immer
noch in relativer Nähe zu seinem Geburtsort befindet und damit auch relativ nah
an der Erde", so Rutledge. Stimmt die Einschätzung des Astronomen, ist "Calvera"
zwischen 250 und 1.000 Lichtjahre von uns entfernt und wäre damit einer der
nächstgelegenen Neutronensternen - wenn nicht sogar der nächste.
"Weil 1RXS J141256.0+792294 so hell und vermutlich der Erde recht nahe ist,
ist das Objekt ein vielversprechendes Ziel für eine ganze Reihe von
Beobachtungen", macht Fox die Bedeutung der Entdeckung deutlich. Die Astronomen
wollen nun weitere und längere Beobachtungen mit Chandra machen, um mehr über
die Natur des Objektes zu erfahren. Auch im Radiobereich sind weitere
Untersuchungen geplant. "Calvera" könnte nach Ansicht der Forscher nur die Spitze
des Eisbergs sein, so dass sich noch Dutzende unentdeckte isolierte
Neutronensterne da draußen befinden könnten.
Vor sieben Jahren wurde mit RX J1856.5-3754 schon einmal ein Neutronenstern
entdeckt, der das Prädikat "erdnächster Neutronenstern" erhielt (astronews.com
berichtete). Spätere Untersuchungen zeigten jedoch, dass das Objekt vermutlich
nicht 170 Lichtjahre von der Erde entfernt ist, sondern rund 450 Lichtjahre.
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