Ein taumelnder Neutronenstern
Redaktion / MPG
astronews.com
21. April 2006
Neutronensterne oder Pulsare, so nahmen Astronomen bislang
an, drehen sich nahezu perfekt um ihre eigene Achse, sind also sehr stabile
Kreisel. Vielleicht ist dies ein Irrtum: Wissenschaftler entdeckten jetzt mithilfe des europäischen Röntgenteleskops XMM-Newton einen offensichtlich
taumelnden Neutronenstern.

Auf der Röntgen-Aufnahme, die XMM-Newton gemacht hat,
erscheint der Neutronenstern RX J0720.4-3125 als helles rötlich
leuchtendes Objekt in der Mitte. Foto:
Frank Haberl / Max-Planck-Institut für extraterrestrische
Physik |
Einen Kreisel halten viele für ein Spielzeug für Kinder, doch jeder
Physikstudent weiß, wie kompliziert die Berechnung eines Kreisels sein kann. Und
kaum einem gelingt es, einen Kreisel sich sauber um seine Achse drehen zu
lassen. Meistens taumelt er über Tisch oder Boden, weil er einen Schubs zur
Seite bekommen hat. Frank Haberl vom Max- Planck-Institut für extraterrestrische
Physik hat mit einem internationalen Team von Wissenschaftlern jetzt einen
Neutronenstern beobachtet, der vermutlich ebenfalls einen solchen Drall erfahren
hat, als er bei einer Supernova entstand. Die Forscher veröffentlichen ihren
Fund in einer kommenden Ausgabe der europäischen Fachzeitschrift Astronomy &
Astrophysics.
Die Forscher haben nämlich über wenige Jahre hinweg Schwankungen in
Röntgenspektrum von RX J0720.4-3125 beobachtet. Diese Veränderungen ergeben
sich, wenn die Temperatur auf der Oberfläche des Neutronensterns variiert. Die
Wissenschaftler schließen daraus, dass der Pulsar leicht durch den Raum taumelt,
seine Achse also präzediert. Daher wende er uns mal heißere und mal kühlere
Flecken seiner Oberfläche zu. Bislang galten Neutronensterne oder Pulsare als
sehr stabile Kreisel.
Astrophysiker wissen über Neutronensterne oder Pulsare schon eine ganze
Menge. Demnach präsentieren sich die Überbleibsel einer Supernova als
Himmelskörper der Extreme: Die Masse der Sonne konzentrieren sie in einer Kugel,
deren Durchmesser nicht größer als der Münchens ist. Ihre Dichte ist mit rund
einer Milliarde Tonnen pro Kubikzentimeter größer als die eines Atomkerns. Auf
ihrer Oberfläche herrschen Temperaturen von rund einer Million Grad Celsius und
ihr Magnetfeld ist mehrere Billionen mal stärker als das der Erde.
Bei ihrer
Geburt drehen sie sich rund 100 Mal pro Sekunde um sich selbst - das Magnetfeld
bremst die Pulsare jedoch langsam ab. Wie es allerdings in ihrem Inneren
aussieht, haben Astrophysiker noch nicht geklärt. Es könnte zum Beispiel sein,
dass sich ihre harte Schale um einen supraflüssigen Kern dreht. "Unsere Arbeit
könnte helfen, dieses Rätsel zu lösen", sagt Frank Haberl vom
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik.
Zusammen mit einem internationalen Wissenschaftler-Team wertete Haberl
Messungen des ESA-Satelliten XMM-Newton aus - unter anderem die Signale,
die der Neutronenstern RX J0720.4-3125 sendete. Der Pulsar mit dem sperrigen
Namen dreht sich rund 1.000 Lichtjahre entfernt im Sternbild des Großen Hundes.
Sein optisches Licht ist allerdings so schwach, dass es nur mit den stärksten
Teleskopen zu beobachten ist. Als Röntgenquelle strahlt RX J0720.4-3125
allerdings recht kräftig.
Frank Haberl und seine Kollegen, unter anderem von der Universität Padua, dem
niederländischen Institute for Space Research und dem Mullard Space
Science Laboratory am University College in London haben, seine
Röntgenspektren aus verschiedenen Jahren nun genauer inspiziert. Dabei stellten
die Astrophysiker fest, dass sich die Spektren des Neutronensterns im Laufe
weniger Jahre veränderten: Zwischen Mai 2000 und Mai 2004 wuchs der Anteil
härteren Röntgenlichts in ihren Messungen. Das heißt, der Pulsar strahlte im
Schnitt Röntgenlicht von höherer Energie aus. Anschließend sank dieser Anteil
energiereicher Strahlung wieder.
Das könnte bedeuten, dass auch die Oberflächentemperatur von RX J0720.4-3125
schwankt - und zwar fast um 100.000 Grad Celsius, also etwa ein Zehntel: Von der
Temperatur, die auf der Oberfläche eines Himmelskörpers herrscht, hängt ab, wie
stark ein Himmelskörper in einem bestimmten Ausschnitt des elektromagnetischen
Spektrums strahlt. "Wir halten es aber für sehr unwahrscheinlich, dass die
Oberflächentemperatur des Neutronensterns in wenigen Jahren so stark schwankt",
so Haberl.
Er und seine Kollegen vermuten vielmehr, dass die Achse von RX J0720.4-3125
eine Kreisbewegung beschreibt und nicht stabil im Raum ruht. Dieses Taumeln
nennen Physiker die Präzession eines Kreisels. Auf diese Weise rückt mal der
eine Pol und mal der andere stärker ins Blickfeld von XMM-Newton. Da die Pole
unterschiedlich heiß sind, strahlen sie auch verschieden hohe Anteile an hartem
Röntgenlicht ab.
Warum der eine Pol deutlich heißer ist als der andere, wissen
die Wissenschaftler bislang jedoch noch nicht genau. "Möglicherweise ist das
Magnetfeld nicht symmetrisch", sagt Haberl: Die Stärke des Magnetfelds ändert
sich über die Oberfläche des Neutronensterns und beeinflusst, wie viel Wärme aus
dem Inneren des Pulsars transportiert wird.
Ähnliche Schwankungen, wie sie die Astrophysiker nun über einige Jahre
beobachtet haben, kennen sie bereits - jedoch über die Spanne weniger Sekunden:
RX J0720.4-3125 sendet im Takt weniger Sekunden Röntgenlicht mit
unterschiedlichem Energieprofil aus. In diesem Tempo rotiert der Himmelskörper
und präsentiert sich so regelmäßig von unterschiedlich heißen Seiten.
Darüber, wie der kosmische Kreisel RX J0720.4-3125 ins Taumeln geraten ist,
können Haberl und seine Mitarbeiter bislang auch nur spekulieren. Vermutlich hat
sich der Stern ein bisschen abgeflacht, als er kurz nach seiner Geburt 100 mal
pro Sekunde um die eigene Achse rotierte. "Der Effekt wäre aber viel kleiner als
bei der Erde, weil seine Dichte so groß ist", sagt Haberl. Er könnte aber
immerhin ausreichen, um ihn zum Taumeln zu bringen - vorausgesetzt, die
Supernova, die ihn hervorgebracht hat, hat ihm einen kleinen Schubs gegeben.
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