Intergalaktische Irrläufer nach Kollision?
Redaktion /
idw / Universität Jena astronews.com
7. Juni 2007
Dass die Kollision zweier supermassereicher Schwarzer Löcher
ein äußerst spektakuläres Ereignis ist, war Astronomen schon länger bewusst.
Jetzt aber hat eine Forschergruppe auf ein noch dramatischeren Sachverhalt
hingewiesen: Durch eine Kollision könnte ein neues Schwarzes Loch entstehen, das
eine so hohe Geschwindigkeit hat, dass es seine Galaxie verlassen kann und
unaufhaltsam durchs All rast.
Zwei Schwarze Löcher aus verschiedenen räumlichen Perspektiven. Sie vollführen einen
"letzten Tanz" bevor sie verschmelzen und sich
in eine gemeinsame Richtung davon bewegen.
Bild: TPI /
FSU Jena [Großansicht] |
Wenn zwei Schwarze Löcher zusammenstoßen, dann bebt das All. Nicht
nur, dass sie zu einem einzigen, größeren Schwarzen Loch verschmelzen. Das neue
Schwarze Loch "kann sich gegenüber den Sternen in seiner Umgebung mit großer
Geschwindigkeit bewegen, als ob es bei der Kollision zusätzlich einen 'Tritt'
von der Relativitätstheorie erhalten hätte", erläutert Prof. Dr. Bernd Brügmann
von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Der Inhaber des Lehrstuhls für
Gravitationstheorie und sein internationales Forscherteam haben jetzt
herausgefunden, dass dieser extra "Kick" wesentlich größer ausfallen kann, als
bisher erwartet. Wie die Wissenschaftler in der aktuellen Ausgabe
der Fachzeitschrift Physical Review Letters berichten, kann der Kick
theoretisch sogar so groß sein, dass Schwarze Löcher aus einer Galaxie
herausgeschleudert werden.
Schwarze Löcher sind Ungetüme der Schwerkraft, die nicht einmal Licht aus ihrem
Bannkreis entkommen lassen. Bei ihrer Kollision werden enorme Energiemengen
frei, die Raum und Zeit in wilde Schwingungen versetzen. "Solche
Gravitationswellen breiten sich normalerweise in alle Richtungen aus", weiß Brügmann, der sich der Erforschung dieser Wellen - auch im Rahmen des
Sonderforschungsbereichs "Gravitationswellenastronomie" - verschrieben hat.
"Unter bestimmten Umständen kann es aber passieren, dass eine
Abstrahlungsrichtung bevorzugt wird." Die Kollisionswellen bewegen sich dann
bevorzugt in die eine, das entstandene Schwarze Loch in die entgegengesetzte
Richtung.
Wie groß der auf diese Weise entstehende Kick ist, hängt davon ab, wie
unterschiedlich die Massen der Schwarzen Löcher sind, und wie schnell sie sich
um ihre eigene Achse drehen. Bislang sind Kicks jedoch lediglich theoretisch
vorhersagbar, da sich Schwarze Löcher in der Praxis nur schwer beobachten
lassen. Erst seit kurzem können einige wenige Gruppen weltweit den gesamten
Verschmelzungsprozess von Schwarzen Löchern im Computer simulieren und so die
resultierende Kick-Geschwindigkeit berechnen.
Lange Zeit hatten sich Theoretiker hauptsächlich auf Systeme ohne eigene
Drehbewegung konzentriert, da sich diese besser berechnen lassen. "Die große
Überraschung ist, wie viel größer Kicks bei Schwarzen Löchern mit Eigendrehung
sein können", sagt Brügmann, der mit seinem Forschungsteam zeigt, dass Schwarze
Löcher bei der Kollision Kick-Geschwindigkeiten von 2.500 Kilometer pro Sekunde
erreichen. Dazu sei allerdings eine spezielle, in der Natur womöglich sehr
seltene Ausgangslage der Schwarzen Löcher erforderlich, bei der diese in
entgegengesetzter Richtung und senkrecht zur Umlaufachse rotieren. Frühere
Berechnungen ergaben lediglich Geschwindigkeiten von bis zu 500 Kilometern pro
Sekunde. Aufgrund der neuen Ergebnisse gibt es Vorhersagen eines amerikanischen
Forschungsteams, dass Kicks von bis zu 4.000 Kilometer pro Sekunde möglich sind.
Würde sich ein Schwarzes Loch mit einer solchen Geschwindigkeit durchs All
bewegen, hätte das dramatische Konsequenzen. Normalerweise sind Schwarze Löcher
in Sternenhaufen oder Galaxien durch die Schwerkraft gebunden. Je größer aber
der Kick des Schwarzen Loches ist, umso wahrscheinlicher wird es, dass es der
Anziehung seiner Galaxie entkommen kann. "Uns interessiert deshalb vor allem die
Frage, ob der Kick ein Schwarzes Loch aus einer Galaxie herauskatapultieren
kann", so Brügmann.
Ab einer Geschwindigkeit von rund 2.000 Kilometern pro Sekunde, so schätzen
die Forscher derzeit, könnten selbst supermassive Schwarze Löcher aus dem
Zentrum von großen Galaxien herausgeschleudert werden. "Nach unseren neuen
Erkenntnissen ist es also zumindest in extremen Ausnahmefällen denkbar, dass bei
der Kollision von Schwarzen Löchern Irrläufer entstehen, die wie eine Rakete
unaufhaltbar durchs Weltall rasen", erläutert Brügmann.
Die Kollision von supermassereichen Schwarze Löcher ist im All nicht so
selten, wie man vielleicht annehmen mag: Im Zentrum fast jeder Galaxie befindet
sich nämlich eine solche Schwerkraftfalle. Kollidieren zwei Galaxien - was heute hin und
wieder passiert, in der Frühzeit des Universums aber vermutlich deutlich
häufiger vorgekommen ist - sollten sich auch deren Schwarze Löcher irgendwann
"finden" und nach einem "letzten Tanz" verschmelzen. Auch unsere Milchstraße
wird in einigen Milliarden Jahren mit unser Nachbargalaxie Andromeda
verschmolzen sein.
|