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Rätsel um Entstehung gelöst
Redaktion / MPG
astronews.com
12. Juni 2006
Das Rätsel, wie der Krebsnebel vor 952 Jahren entstanden
ist, haben jetzt Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in
Garching gelöst. Mit ausgefeilten Computersimulationen konnten die Forscher
nachweisen, dass es sich bei diesem Gasnebel um die auseinander fliegende
Trümmerwolke eines Sterns mit etwa der zehnfachen Sonnenmasse handelt und es
eigentlich eine vergleichsweise schwache Explosion war.
Der Krebsnebel mit dem Krebs-Pulsar, der gasförmige und kompakte
Überrest einer Supernova-Explosion aus dem Jahr 1054 nach
Christus. Sehr schnelle Teilchen, die der Pulsar beschleunigt,
bringen das Gas selbst 950 Jahre nach der Explosion zum
Leuchten. Die äußeren Filamente des Nebels bestehen
hauptsächlich aus dem Wasserstoff und Helium des zersprengten
Sterns. Foto: NASA, ESA, J. Hester und A. Loll (Arizona
State University) [mehr
über dieses Bild]
Beginn der Explosion eines Sterns mit acht- bis zehnfacher Masse
der Sonne. Die Bilder sind Momentaufnahmen einer
zweidimensionalen Computersimulation, die das expandierende Gas
0,08, 0,1, 0,15 und 0,25 Sekunden nach Bildung der
Explosionswelle zeigen (im Uhrzeigersinn, links oben beginnend).
Blasen von Materie, die durch Neutrinos aufgeheizt wird, steigen
auf, getrennt von schmalen Strömen schwererer, kalter Materie.
Die Blasen dehnen sich konzentrisch vom zentralen Neutronenstern
aus und schieben die Explosion des Sterns an. Die radiale Skala
gibt den Abstand vom Zentrum in Kilometern an und vergrößert
sich um einen Faktor 20 zwischen dem Bild links oben und dem
Bild rechts unten. Die sichtbaren Anisotropien sind die
Saatkeime für die Asymmetrie des Krebsnebels 950 Jahre nach der
Supernova-Explosion. Bild: Max-Planck-Institut für
Astrophysik |
Als chinesische und arabische Astronomen im Frühling des Jahres 1054 nach
Christus den Himmel beobachteten, fiel ihnen ein neuer Stern im Sternbild Stier
auf, der so hell war wie die Venus. Ihren historischen Überlieferungen zufolge
wurde dieser "Gaststern" innerhalb von Wochen zunehmend heller und konnte im
Juli dann für 23 Tage sogar am Taghimmel gesehen werden. Seine Beobachtung mit
bloßen Augen war über zwei Jahre hinweg möglich.
Heute wissen wir, dass diese Beobachtungen mit der Geburt des Krebsnebels in
einer gigantischen Supernova-Explosion zusammenfallen. Nach Millionen von Jahren
ruhiger Entwicklung hatte ein massereicher Stern seinen nuklearen Brennstoff
aufgebraucht. Damit war die Energiequelle in seinem Zentrum erloschen, die ihn
gegen die gewaltigen Kräfte seiner eigenen Gravitation stabilisiert hatte.
Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde stürzte daraufhin sein Kern zu einem
Neutronenstern zusammen. Ein solches kompaktes Objekt hat mehr Masse als die
Sonne, dabei aber nur einen Durchmesser von etwa 20 Kilometern. Dieser
Neutronenstern ist heute als Pulsar im Krebsnebel sichtbar. Er dreht sich 33 mal
pro Sekunde um die eigene Achse und sendet dabei periodische Strahlungspulse
aus.
Der größte Teil des Sterns wurde jedoch in einer ungeheuren Explosion mit
einer Energie auseinandergesprengt, die aller Strahlung gleichkommt, welche die
Sonne innerhalb von fünf Milliarden Jahren abgegeben hat. Die heißen
Sterntrümmer leuchteten dann als jener neue Stern auf, von dem chinesische und
arabische Astronomen berichteten. Heute sieht man an dieser Himmelstelle die
filigrane Gas- und Staubwolke des Krebsnebels, die mittlerweile eine Ausdehnung
von rund sechs Lichtjahren hat und sich immer noch mit 1.500 Kilometern in der
Sekunde ausdehnt.
Sie enthält neben den chemischen Elementen, die der Stern in einer Folge
nuklearer Brennphasen aufgebaut hat, also zuerst Helium aus Wasserstoff, dann
Kohlenstoff aus Helium und schließlich Neon, Magnesium und Sauerstoff aus
Kohlenstoff, auch radioaktive Atomkerne, etwa Nickel, die während der Explosion
selbst entstanden sind. Der hohe Anteil von Helium und die relative geringe
Häufigkeit von Kohlenstoff und Sauerstoff im Krebsnebel wurden als Hinweise
darauf interpretiert, dass der explodierende Stern nur die acht- bis zehnfache
Masse der Sonne hatte, also gerade noch genug, um sein Leben in einer
Supernova-Explosion zu beenden.
Doch warum ist der Stern explodiert? Was war der Grund für dieses
spektakuläre Ereignis? Die Forschergruppe am Max-Planck-Institut für Astrophysik
in Garching ist überzeugt, nun die Antwort auf dieses lang ungeklärte Rätsel
gefunden zu haben und haben ihre Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift
Astronomy & Astrophysics veröffentlicht. Ihre ausgeklügelten
Computermodelle belegen, dass Neutrinos die treibende Kraft hinter dieser
Explosion sind. Diese Elementarteilchen entstehen in riesiger Zahl im sehr
heißen und extrem dichten Innern eines neu entstehenden Neutronensterns, vor
allem durch Reaktionen von Elektronen und Positronen mit Protonen und Neutronen,
den Bausteinen von Atomkernen.
Nachdem die Neutrinos ihren Weg zur Oberfläche des Neutronensterns gefunden
haben, verlassen die meisten davon den Stern und tragen auf diese Art 99 Prozent
der Energie fort, die während der Bildung des Neutronensterns freigesetzt wird.
Weniger als ein Prozent der Neutrinos wird aber in dem stellaren Gas, das den
Neutronenstern umgibt, absorbiert, bevor sie entweichen können. Die dadurch
übertragene Energie heizt das Sterngas und bringt es zum Brodeln wie Suppe in
einem Dampfkochtopf. Der sich aufbauende Druck beschleunigt schließlich die
äußeren Sternschichten und zersprengt den Stern in einer Supernova-Explosion.
Obwohl diese Theorie für den Beginn der Explosion schon 25 Jahre alt ist,
stellte sich heraus, dass ihre Gültigkeit nur sehr schwer mit Computermodellen
zu belegen ist. Nun konnten die Modelle der Garchinger Forscher die
theoretischen Ideen zumindest für Sterne im unteren Massenbereich von
Supernova-Vorläufersternen stützen. "Mit unserer detaillierten und genauen
Beschreibung, wie Neutrinos in der Materie im Supernova-Zentrum entstehen und
wechselwirken, können wir bestätigen, dass das Neutrino-Heizen Sternexplosionen
auslösen kann wie diejenige, die zur Entstehung des Krebsnebels geführt hat",
sagt Francisco Kitaura, der die Computersimulationen durchgeführt hat.
Die neuen Berechnungen stimmen sehr gut mit Beobachtungen überein, nach denen
die Energie dieser Explosion nur rund ein Zehntel der einer typischen Supernova
war. Anders als frühere Simulationen sagen sie auch nur geringe Mengen
Kohlenstoff, Sauerstoff und Nickel im ausgeschleuderten Sterngas voraus.
Außerdem fehlt die starke Anreicherung der chemischen Zusammensetzung des
Supernova-Überrests mit exotischen, seltenen Elementen, die sich in früheren
Modellen ergab und die in krassem Widerspruch zu den beobachteten
Elementhäufigkeiten in unserer Milchstraße stand.
Wegen der relativ geringen
Masse von ausgeschleudertem Sterngas, der niedrigen Explosionsenergie und der
kleinen Menge von radioaktivem Material sollten andere Supernovae des
Krebs-Typus eine verhältnismäßig schwache Leuchtkraft haben und damit nur schwer
bei großen Entfernungen zu entdecken sein, obwohl ein Drittel aller
Sternexplosionen von dieser Art sein könnte.
"Unsere Computermodelle legen nahe, dass die Krebs-Supernova nur deshalb ein
so ungeheuer helles Ereignis war, weil sie sich in nur 6.300 Lichtjahren Abstand
von der Erde ereignet hat", erklärt Wolfgang Hillebrandt, der Leiter der
Forschergruppe. "Verglichen mit anderen Supernovae war es eigentlich ein relativ
schwaches und unspektakuläres Ereignis. Unsere Computermodelle werden uns sagen,
wonach wir künftig Ausschau halten müssen, um weitere solche Fälle aufspüren zu
können."
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