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Mit Anleihen bei Geckos und Holzwespen gegen
Weltraumschrott
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Technischen Universität Berlin astronews.com
25. Juli 2025
Ein internationales Forschungskonsortium will einen
Mechanismus für Satelliten bauen, der andere beschädigte Satelliten und
ausgediente Raketenteile aus ihrer Erdumlaufbahn holt. Dazu soll er die
Hafteigenschaften der Füße von Geckos nutzen. Auch spezielle Seile sowie eine
Bohreinrichtung, die sich die Forschenden von der Holzwespe abgeschaut haben,
sollen zum Einsatz kommen.

Geckos können sich, dank feinster Härchen an
den Füßen, durch Van-der-Waals-Kräfte problemlos
auf glatten Oberfläche und auch an Wänden und
Decken bewegen.
Foto: Bjørn
Christian Tørrissen (CC
BY-SA 3.0) [Großansicht] |
Tausende Tonnen Schrott rasen über unseren Köpfen dahin – mit
Geschwindigkeiten von mehreren zehntausend Kilometern pro Stunde.
Weltraumschrott entsteht, wenn zwei Satelliten zusammenprallen, etwa über den
Polen, wo sich viele Umlaufbahnen überschneiden. Oder es sind Reste alter
Raketen. Das Problem: Durch die Restatmosphäre oder gravitative Störungen
entlang der Umlaufbahn geraten die Schrottteile in eine gefährliche
Taumelbewegung. "Roboterarme könnten hier zum Beispiel zerbrechen, wenn sie
versuchen würden, ein solches Objekt einzufangen", erklärt Prof. Dr. Enrico
Stoll, Leiter des Fachgebiets Raumfahrttechnik an der Technischen Universität
Berlin. Trotzdem müssten die Orbits um unseren Planeten in absehbarer Zeit
entmüllt werden, da der zunehmende Weltraumschrott eine ernste Gefahr darstellt
– nicht nur für viele Millionen Euro teure Satelliten, sondern auch für die
Besatzung der internationalen Raumstation ISS.
Stoll arbeitet deshalb seit bereits zehn Jahren an einem Haftprinzip, das er
sich von der Natur abgeschaut hat: Geckos, kleine bis mittelgroße Echsen,
besitzen Milliarden feinster Härchen an ihren Füßen, um die sogenannten
Van-der-Waals-Kräfte zu nutzen. So können sie sich an vielen glatten Oberflächen
entlangbewegen, auch an Wänden und Decken. Enrico Stoll nutzt kleine
Pilzköpfchen, im Durchmesser etwa einen halben Millimeter groß, die in
Zusammenarbeit mit Materialwissenschaftlern entwickelt wurden. Mit ihnen soll
sich sein Gecko-Satellit etwa an den Solarzellen eines havarierten Satelliten
über die Van-der-Waals-Kräfte anheften. Diese schwachen Kräfte wirken zwischen
vielen Atomen oder Molekülen, auch wenn diese nicht geladen sind – sie müssen
sich nur nahe genug sein.
Die Pilzköpfe aus Polyurethan oder anderen Kunststoffen können sich bis zu
einem gewissen Grad so verbiegen, dass die Verbindung zwischen ihnen und dem
Zielobjekt nicht sofort abreißt, wenn etwa die Geschwindigkeiten von
Gecko-Satellit und Weltraumschrott noch nicht völlig gleich sind oder eine
unvorhergesehene Richtungsänderung eintritt. "Erst diese Eigenschaft ermöglicht
es, dass wir uns mit einer realistischen Chance an solch ein Objekt andocken
können", so Stoll. Dabei helfen sollen auch Fangleinen, die vom Gecko-Satelliten
ausgeworfen werden können und ebenfalls Haftelemente für die Ausnutzung der
Van-der-Waals-Kräfte besitzen.
Zusätzlich enthält das Konzept noch einen besonderen Clou: Der Gecko-Satellit
soll sich auch des Stroms bedienen können, die die Solarpaneele des havarierten
Satelliten vielleicht immer noch erzeugen. "Effizienz ist im Weltraum besonders
wichtig, denn wir haben nicht viele Ressourcen im Erdorbit", erklärt Stoll. Für
das Abzapfen des Stroms kommt wieder ein Vorbild aus der Natur zum Einsatz: Um
sich noch sicherer mit dem havarierten Satelliten zu verbinden und dabei im
Idealfall eine stromführende Stelle zu treffen, soll der Gecko-Satellit eine
Bohrtechnik der Holzwespe anwenden, das Pendelhubprinzip.
Weil die Natur vollständige Rotationen in ihren Bauplänen nicht vorsieht,
bohrt die Wespe die Löcher für ihre Eiablage mit mehreren Raspeln, die versetzt
eingesetzt werden. Während die eine sich im Holz verhakt, "bohrt" die andere
durch eine Auf- und Abbewegung einen Teil des Lochs, dann wird gewechselt. "Für
den Weltraum ist diese Prinzip ideal, denn wir müssten für einen normalen Bohrer
ja einen Gegendruck aufbauen, also unser Zielobjekt gleichzeitig an uns
heranziehen. Das wäre sehr schwierig zu realisieren", sagt Stoll. Den so
angezapften und gesicherten Weltraumschrott soll der Gecko-Satellit dann langsam
in eine tiefergelegene Umlaufbahn ziehen, bis er schließlich in der
Erdatmosphäre verglüht.
Für ihren aufwendigen Entwurf haben die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler bereits etliche Vorexperimente durchgeführt. So haben sie einige
der geplanten Verfahren mit sogenannten Astrobees durchgeführt – das sind
würfelförmige, freischwebende Roboter, die die Besatzung der Internationalen
Raumstation ISS bei ihren alltäglichen Aufgaben unterstützen. Ein Rendezvous
zwischen zwei Satelliten üben bereits die zwei Kleinstsatelliten der Mission
NanoFF, die die TU Berlin entwickelt und im Dezember 2023 mit einer
Falcon-9-Rakete der Firma SpaceX ins All geschossen hat. Das nun gestartete
Projekt wird – wenn alles gut geht – einen kleinen Demonstrator mit allen
genannten Funktionen bauen, der im Labor auf der Erde auf einem Luftkissentisch
schwebt und zusammen mit einem Modell eines havarierten Satelliten Manöver
ausführt.
Das Forschungsvorhaben, an dem noch andere Einrichtungen beteiligt sind, wird
vom Programm "EIC-Pathfinder" der Europäischen Union mit vier Millionen Euro
über die nächsten drei Jahre gefördert, ein Drittel der Summe entfällt dabei auf
die TU Berlin, wo das Projekt koordiniert wird.
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