Neuer Blick auf die großräumigen Strukturen im lokalen Universum
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) astronews.com
27. September 2024
Ein internationales Forschungsteam hat eine neuartige
kosmographische Darstellungsmethode entwickelt und durch Analyse der Bewegungen
von 56.000 Galaxien eine aktualisierte Karte des lokalen Universums erstellt.
Die Arbeit enthüllt beeindruckende kosmische Strukturen und liefert Indizien
dafür, dass "unser" Superhaufen Laniakea gar nicht existiert.
Das Bild ist eine Darstellung der Verteilung
der Materie im lokalen Universum und zeigt, wie
die Materie fließt, also entlang welcher Bahnen
(dünne Linien) sich die Galaxien bewegen. Die
Expansion des Universums ist hier nicht
berücksichtigt. Dichte Regionen zeigen das
Zusammentreffen einer Vielzahl von Materieströmen
an, dort befinden sich die kosmischen
Superhaufen. Dünne Regionen sind meist frei von
Materie. Bild: Darstellung des in sich
zusammenbrechenden Drahts: Ein starker Strom
hochenergetischer Elektronen (rosa) erhitzt die
Oberfläche blitzartig und erzeugt so Stoßwellen,
die den Draht strahlenförmig zusammendrücken.
Bild:
A. Valade et al. 2024 [Großansicht] |
Im Universum ist die Gravitation die dominierende Kraft: Sie hält den Mond um
die Erde, die Planeten auf ihren Umlaufbahnen um die Sonne und verbindet unsere
Milchstraße mit ihrer Nachbarschaft, der sogenannten Lokalen Gruppe. Selbst die
Lokale Gruppe ist nur ein kleiner Bestandteil des größeren Virgo-Galaxienhaufens,
der etwa 2000 Galaxien umfasst und von dem man bisher annahm, er sei Teil der
noch größeren Struktur Laniakea. Eine jetzt vorgestellte neue Studie lässt
Zweifel daran aufkommen, ob Laniakeia tatsächlich unser Superhaufen ist und ob
er überhaupt existiert.
Die Kartierung des Universums gehört seit jeher zu den herausforderndsten
Aufgaben der Astronomie. Ungenauigkeiten in den Beobachtungen, Messfehler und
unvollständige Daten machen diese Arbeit besonders schwierig. Zudem bilden die
beobachteten Galaxien nur einen kleinen Teil der gesamten Masse im Universum, da
ein Großteil der Materie in Form von nicht sichtbarer Dunkler Materie existiert.
Des Weiteren entstehen Galaxien nicht zwangsläufig so, dass sie die zugrunde
liegende Materie gut abbilden, was sie zu einem ungenauen Indikator für die
Materieverteilung im Universum macht.
Um dennoch eine Karte unserer kosmischen Umgebung zu erstellen, betrachten
Forschende zusätzlich die Bewegung von Galaxien. Einerseits bewegen sich die
Galaxien zwar durch die Expansion des Universums von uns weg, andererseits
ziehen sie sich aufgrund der Gravitation auch gegenseitig an. Diese Bewegungen
können kartiert werden und offenbaren die kosmischen Strömungen – die Flüsse im
Universum, auf denen sich die Galaxien bewegen. Weil diese Bewegungen durch die
Gravitation verursacht werden, wird somit das Unsichtbare sichtbar.
Ein Forschungsteam um den Kosmologen Aurelien Valade und Noam Libeskind,
Leiter der Kosmograhie-Gruppe am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP),
nutzte die Daten des Cosmic-Flows-4 Katalogs mit den Bewegungen von 56.000
Galaxien zur Kartierung des lokalen Universums. Da die Messungen der
Geschwindigkeiten von Galaxien jedoch fehlerbehaftet und ungenau sind, gibt es
verschiedene mögliche kosmographische Karten, die zu den Beobachtungsdaten
passen würden. Deshalb entwickelte das Team einen neuen Ansatz: eine "probabilistische",
wahrscheinlichkeitsbasierte Karte des Universums. Sie gibt an, wie
wahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Merkmal in der Karte, wie z. B. ein
"Anziehungsgebiet", tatsächlich existiert. Ein solches Anziehungsgebiet ist eine
Region, die ohne die kosmische Expansion zu einem einzigen Punkt zusammenfallen
würde.
Mit dieser neuen Methode erhielten die Forschenden ein zuverlässiges Bild der
großräumigen Materieverteilung und enthüllten erstaunliche Strukturen unserer
kosmischen Nachbarschaft. Laniakea, der Superhaufen, von dem man davon ausging,
dass unsere Galaxie zu ihm gehört, ist vermutlich lediglich ein Anhängsel des
weitaus größeren Shapley-Anziehungsgebiets. Laniakeia existiert möglicherweise
noch nicht einmal als eigenständige Struktur. Noch erstaunlicher ist die
Tatsache, dass die "Sloan Great Wall Region" – ein riesiger Wall aus
Hunderttausenden von Galaxien – mit etwa Tausend Billionen Billionen
Kubik-Lichtjahren die derzeit größte bekannte Struktur in diesem kosmischen
Netzwerk von Galaxien ist.
"Es dürfte kaum überraschen, dass sich bei einem tieferen Blick in den Kosmos
herausstellt, dass unser heimischer Superhaufen weitaus stärker vernetzt und
umfangreicher ist, als wir ursprünglich angenommen haben. Es ist aufregend, dass
wir mit großer Wahrscheinlichkeit Teil einer viel größeren Struktur sind. Im
Moment ist das nur ein Hinweis: Es müssen noch mehr Beobachtungen gemacht
werden, um die Größe unseres Heimat-Superhaufens zu bestätigen", erklärt
Libeskind. Die Arbeit wurde in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern der Universität von Hawaii, der Universität von Jerusalem und
der Universität Paris-Saclay mit Daten aus dem Cosmic Flows-4 Katalog
durchgeführt.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Nature Astronomy erschienen ist.
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