Physik-Studierende haben in den vergangenen zwölf Monaten
ein Messinstrument für kosmische Strahlung gebaut. Der Detektor ist eines von
vier Experimenten, die Anfang Oktober an Bord eines Forschungsballons in die
Stratosphäre aufsteigen werden. Das Messverfahren ist auf der Erde erprobt, zur
Messung von kosmischer Strahlung in der Atmosphäre wurde es allerdings bislang
nicht eingesetzt.
Wie fühlt es sich an, bei einer Mission zur Grenze zwischen Erde und
Weltall mitzuarbeiten? "Ziemlich cool", sagt Hannes Ebeling. "Wir sind
schließlich eines von lediglich neun europäischen Teams, die diese Chance
bekommen haben. Das hat uns schon riesig gefreut." "Wir" - das ist ein
Grüppchen von zehn angehenden Physikerinnen und Physikern der Abteilung für
Extraterrestrische Physik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU),
das sich vor einem Jahr für die Teilnahme am sogenannten BEXUS-Projekt
beworben hat. Das Akronym steht für "Balloon Experiments for University
Students", und dieser Name ist Programm: Das Deutsche Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) und die schwedische Raumfahrtbehörde SNSA geben darin
Studierenden die Möglichkeit, ein wissenschaftliches Experiment an Bord
eines Ballons in die Stratosphäre zu schicken.
"Man reicht dazu zunächst seinen Vorschlag ein und stellt ihn ein paar
Wochen später bei einer Konferenz vor", sagt Ebeling, der das Projekt
zusammen mit seiner Kommilitonin Ava Pohley geleitet hat. "Wir wollten einen
Detektor bauen, mit dem sich kosmische Strahlung analysieren lässt. Diese
entsteht beispielsweise bei der Explosion von Sternen und kann Satelliten
oder Raumsonden schädigen; daher ist es wichtig, ihre Intensität und
Zusammensetzung zu kennen. Uns ist es gelungen, die Jurorinnen und Juroren
von unserem Vorhaben zu überzeugen."
Doch noch existierte die Idee lediglich auf dem Papier. Die Umsetzung in
die Praxis war ziemlich fordernd: In regelmäßigen Abständen musste das Team
sogenannte Reviews durchlaufen. Darin stellte es einem Gremium von
BEXUS-Expertinnen und -Experten den aktuellen Stand seines Experiments vor.
"Dabei kamen dann wie bei einem wirklichen Raumfahrt-Projekt immer wieder
Verbesserungsvorschläge, die wir umsetzen mussten", erklärt Pohley. Das
Ergebnis der vielen hundert Stunden Arbeit sieht auf den ersten Blick
unspektakulär aus: eine weiße Kiste, aus der einige Kabel heraushängen. Doch
die Box hat es im wahrsten Sinne des Wortes in sich: Sie enthält eine ganze
Reihe verschiedener Sensoren.
Kernstück ist aber der sogenannte Tscherenkow-Detektor. Er besteht aus
einem quaderförmigen Aerogel-Block. Das Aerogel ist transparent und besteht
zu mehr als 99 Prozent aus Luft. Es ist also unglaublich leicht und fragil.
Aerogel hilft, schwere von leichten Teilchen zu unterscheiden Die
Lichtgeschwindigkeit in diesem schwammartigen Feststoff liegt nicht wie in
Vakuum bei 300.000, sondern bei 286.000 Kilometern pro Sekunde. "Wir nutzen
diese Eigenschaft aus, um herauszufinden, aus welchen Teilchen die kosmische
Strahlung in der Stratosphäre besteht", sagt Pohley.
Grundlage dafür ist ein Effekt, der bereits 1934 vom russischen Physiker
Pawel Tscherenkow entdeckt wurde: Wenn geladene Teilchen sich in bestimmten
Medien schneller als das Licht fortbewegen, erzeugen sie dabei selbst Licht.
Die Vakuum-Lichtgeschwindigkeit lässt sich nicht überschreiten, die in einem
Aerogel dagegen schon. "Je leichter ein Teilchen ist, desto weniger Energie
benötigt es, um sich darin schneller als mit der dort gültigen
Lichtgeschwindigkeit fortzubewegen", erklärt Ebeling. Dieser Zusammenhang
lässt sich nutzen, um schwere Teilchen in der kosmischen Strahlung -
beispielsweise Protonen oder Helium-Kerne - von den deutlich leichteren
Elektronen zu unterscheiden. "Und das ist es, was wir mit unserem
Tscherenkow-Detektor tun", sagt der Sprecher der CAU-Gruppe, die ihr
Messinstrument auf den Namen "CHAOS" (Cherenkov Atmospheric Observation
System) getauft hat.
Ob sich die ganze Mühe gelohnt hat, wird sich Anfang Oktober im
schwedischen Kiruna zeigen. Am 1. Oktober oder den Tagen danach (der genaue
Zeitpunkt hängt vom Wetter ab) wird der Tscherenkow-Detektor made in Kiel
von dort an Bord eines Forschungs-Ballons in die Stratosphäre aufsteigen,
zusammen mit den Experimenten von drei anderen Gruppen (die restlichen fünf
Experimente werden bei einem zweiten Flug transportiert). Verläuft alles
nach Plan, hat der Ballon nach 1,5 Stunden seine Zielhöhe von rund 26
Kilometern erreicht.
Die Messungen werden mehrere Stunden dauern. Nach Landung des Ballons
werden die Experimente an Bord ausgewertet. Ein Teil des CAU-Teams reist
bereits am 27. September in die nördlichste Stadt Schwedens, um dort alles
vorzubereiten. Der Rest kommt am 1. Oktober nach. "Normalerweise werden
solche kompakten Tscherenkow-Detektoren nicht für die Messung kosmischer
Strahlung in der Atmosphäre eingesetzt", betont Pohley. "Wir wollen
demonstrieren, dass sich dieses Messprinzip sehr gut auch für diesen Zweck
nutzen lässt."