Der Antrieb für Neutronensternverschmelzungen
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut) astronews.com
15. Februar 2024
Die Verschmelzung und Kollision von Neutronensternen
verursacht gewaltige Kilonova-Explosionen und Gammastrahlenblitze. Schon lange
wird vermutet, dass ein ausgedehntes und extrem starkes Magnetfeld der Motor für
diese hochenergetischen Phänomene ist. Neue, detaillierte Computersimulationen
konnten nun den zugrunde liegenden Mechanismus aufklären.
Ausschnitt aus einem Video der
Visualisierung der Simulation: Etwa sechzig Millisekunden nach
der Verschmelzung zeigt die Simulation den Jet, der über den
Polen des entstandenen Magnetars ausgestoßen wird (oben und
unten in diesem Standbild). Das Bild zeigt den Neutronenanteil
des ausgestoßenen Materials. Blau steht für neutronenreiche
Materie, rot für Materie, die Neutronen und Protonen in etwa
gleichen Anteilen enthält. Der Maßstab zeigt eine Länge von
500 Kilometern.
Bild: Kota Hayashi (Max-Planck-Institut
für Gravitationsphysik) [Großansicht
mit weiteren Bildern] |
Neutronensterne sind kompakte Überbleibsel von Sternenexplosionen und
bestehen aus extrem dichter Materie. Bei einem Durchmesser von etwa 20
Kilometern sind sie bis zu doppelt so massereich wie unsere Sonne oder fast
700.000-mal massereicher als unsere Erde. Am 17. August 2017 beobachteten
Astronominnen und Astronomen zum ersten Mal sowohl Gravitationswellen als auch
Licht und Gammastrahlen von der Verschmelzung von zwei Neutronensternen. Dieses
Ereignis markiert den Beginn einer neuen Art von Multi-Messenger-Astronomie, die
Gravitationswellen- und elektromagnetische Beobachtungen kombiniert. Die
Beobachtung der während der Verschmelzung abgestrahlten Gravitationswellen und
des Gammastrahlenblitzes, ergab, dass zumindest ein Teil der kurzen
Gammastrahlenblitze und der schweren Elemente im Universum aus der Verschmelzung
von Neutronensternen stammt.
"Nur durch eine numerische Simulation, die alle grundlegenden physikalischen
Aspekte bei der Verschmelzung von Neutronensternen berücksichtigt, können wir
den gesamten Prozess und die zugrundeliegenden Mechanismen vollständig
verstehen", erklärt Masaru Shibata, Direktor der Abteilung Numerische und
Relativistische Astrophysik am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in
Potsdam. "Deshalb haben wir eine Verschmelzungssimulation durchgeführt, die alle
Auswirkungen der Einstein'schen Relativitätstheorie und alle anderen
physikalischen Grundlagen berücksichtigt. Und das mit der höchsten bislang
erreichten räumlichen Auflösung: mehr als zehnmal so hoch wie bei allen
bisherigen Simulationen."
Hochenergetische Phänomene wie Kilonova-Explosionen und Gammastrahlenblitze,
die während der Verschmelzung von Neutronensternen auftreten, werden
höchstwahrscheinlich durch magnetohydrodynamische Vorgänge angetrieben – dem
Zusammenspiel von Magnetfeldern und Flüssigkeiten. Das bedeutet, dass der
Überrest einer Neutronenstern-Verschmelzung über einen Dynamo-Mechanismus ein
starkes, großräumiges Magnetfeld erzeugt. "Zum ersten Mal konnten wir den
physikalischen Mechanismus identifizieren, der bei der Verschmelzung von zwei
Neutronensternen aus kleineren Magnetfeldern ein großräumiges Magnetfeld
erzeugt", sagt Kenta Kiuchi, Gruppenleiter in der Abteilung Numerische und
Relativistische Astrophysik. "Ein Teil dieses Mechanismus ist derselbe, der auch
das Magnetfeld unserer Sonne antreibt. Bei einer Neutronensternverschmelzung
entsteht das großräumige Magnetfeld aufgrund von Instabilitäten und Wirbeln an
der Oberfläche, wo die beiden Neutronensterne zusammenstoßen."
Das Magnetfeld wird durch zwei Mechanismen verstärkt: In einer ersten Phase
steigert die Kelvin-Helmholtz-Instabilität die Energie des Magnetfeldes
innerhalb weniger Millisekunden nach der Verschmelzung um einen Faktor von
mehreren Tausend. "Dieses verstärkte Magnetfeld ist jedoch noch ein
kleinräumiges Feld", erklärt Alexis Raboul-Salze, Postdoc in der Abteilung
Numerische und Relativistische Astrophysik. "Aber nach einigen Millisekunden
vergrößert eine andere Instabilität, die magnetische Rotationsinstabilität, das
Magnetfeld weiter. Diese Instabilität wirkt wie ein Dynamo auf das nun
großräumige Feld – das ist der gleiche Mechanismus wie bei der Sonne."
Der bei der Kollision entstehende hochmagnetisierte massereiche
Neutronenstern ist vermutlich ein Magnetar. Etwa 40 Millisekunden nach der
Verschmelzung treiben die Magnetfelder einen starken Teilchenwind an, der mit
relativistischen Geschwindigkeiten von den Polen des Magnetars ausgeht. Dieser
Wind bildet einen Jet, der mit den beobachteten hochenergetischen Phänomenen in
Zusammenhang steht. Die Forschungsgruppe zeigt zum ersten Mal, dass diese
Hypothese plausibel ist. "Unsere Simulation legt nahe, dass der Magnetar-Motor
sehr helle Kilonova-Strahlung erzeugt. Wir können unsere Vorhersage in naher
Zukunft durch Multi-Messenger-Beobachtungen testen", so Shibata.
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in
Nature Astronomy erschienen ist.
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