Im Rahmen eines neuen, an der Universität Stuttgart
angesiedelten Sonderforschungsbereichs sollen die technologischen Grundlagen
für eine nachhaltige Nutzung des Bereichs der sehr niedrigen Erdorbits
erarbeitet werden. Die dort vorhandene Restatmosphäre stellt für die Satelliten eine
große Herausforderung dar, der Bereich verspricht aber gleichzeitig großes Potenzial.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gibt grünes Licht für den neuen
Sonderforschungsbereich "Advancing Technologies of Very Low Altitude
Satellites" (SFB 1667 ATLAS). Unter Federführung der Universität Stuttgart
wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die technologischen
Grundlagen für eine nachhaltige Nutzung des Bereichs der sehr niedrigen
Erdorbits (VLEO, "Very Low Earth Orbit Regime") erarbeiten. Dieser Bereich
bietet große Potenziale, um wissenschaftliche und kommerzielle
Satellitenmissionen zu verbessern und zukunftsfähig zu gestalten.
"Der neue Sonderforschungsbereich ATLAS leistet einen grundlegenden,
wegweisenden und unverzichtbaren Beitrag für die Zukunft der Weltraumnutzung
und Pionierarbeit für die nachhaltige Satellitennutzung", erklärt Professor
Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart. "Sein interdisziplinäres
Team vereint exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die
gemeinsam daran arbeiten, den Stuttgarter Weg umzusetzen und intelligente
Systeme für eine zukunftsfähige Gesellschaft zu entwickeln."
Die Forschenden der Universität Stuttgart und des Deutschen Zentrums für
Luft- und Raumfahrt (DLR) wollen die Lebensdauer von Satelliten in diesem
Bereich von heute rund sechs Monaten auf mehrere Jahre erhöhen, ohne dass
große Mengen an Treibstoff von der Erde mitgeführt oder nachgeliefert werden
müssen. Eingesetzt werden sollen die kleinen, wirtschaftlichen und
nachhaltigen Satelliten der Zukunft in einer Höhe von circa 200 bis 450
Kilometern über der Erdoberfläche in einem bislang für sie nicht nutzbaren
Bereich, dem VLEO. "Wir wollen die hierfür notwendigen wissenschaftlichen
Grundlagen erarbeiten, um diese Potenziale zu erschließen, und so
unverzichtbare Satellitendienste zukunftsfähig machen, die unter anderem für
die Erdbeobachtung, die Kommunikation und insbesondere für die
Klimaforschung eine herausragende Bedeutung haben", sagt Professor Stefanos
Fasoulas, Sprecher des SFBs ATLAS und geschäftsführender Direktor des
Instituts für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart. I
Im VLEO können Erdbeobachtungsmissionen mit höherer Auflösung erfolgen
und Kommunikationsanwendungen mit geringeren Zeitverzögerungen arbeiten.
Dort eingesetzte Satellitensysteme könnten kleiner und leichter konstruiert
werden und, bedingt durch die Nähe zur Erde, mit geringeren Kosten in eine
Umlaufbahn gebracht werden. Der VLEO ist zudem ein Bereich, der neue
Forschungsmissionen ermöglicht, die auch den Schwerpunkt der im SFB ATLAS
untersuchten Anwendungsszenarien darstellen. Außerdem bleiben Satelliten in
diesem Bereich nach ihrer Lebenszeit nicht als Weltraumschrott zurück, da
diese so stark abgebremst werden, dass sie schnell an Höhe verlieren und
schlussendlich in die niedrigeren Schichten der Atmosphäre eintreten, wo sie
zeitnah verglühen.
Diese starke Abbremsung der Satelliten stellt für die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch auch die größte
Herausforderung dar, um einen dauerhaften und somit ökonomisch sinnvollen
Satellitenbetrieb in diesem Bereich zu ermöglichen. Aufgrund von komplexen
Wechselwirkungen zwischen der Solarstrahlung, dem Erdmagnetfeld und der
obersten Atmosphärenschicht, in welcher die Satelliten um die Erde kreisen,
verläuft der Abbremsungsprozess sehr dynamisch, ist bislang äußerst schwer
vorhersagbar und kaum erforscht. Neuartige Triebwerke, die im Rahmen des
SFBs erforscht werden, stellen ein mögliches Schlüsselelement dar, um dieser
Abbremsung kontinuierlich entgegenzuwirken und die Satelliten dauerhaft auf
ihren Bahnen zu halten.
"Wenn wir Satellitensysteme im VLEO einsetzen wollen, müssen wir diese
volatilen Randbedingungen verstehen, beherrschen und dann im gesamten
Missionsplan berücksichtigen", erläutert Fasoulas. Die Forschenden gehen
dabei der Frage nach, wie die vorherrschende Restatmosphäre, also die
verbleibenden Gaspartikel, genutzt werden können. In drei Projektbereichen
wollen sie im Rahmen von ATLAS die Rahmenbedingungen für künftige
wissenschaftliche Satellitenmissionen im VLEO analysieren, neue Lösungen für
Komponenten und Satelliten-Subsysteme, beispielsweise neuartige
Antriebssysteme oder eine effiziente Energieversorgung, entwickeln sowie die
Wechselwirkungen zwischen der sehr dünnen Restatmosphäre und Oberflächen
unter VLEO-Bedingungen untersuchen.
Ziel des neuen Sonderforschungsbereichs ist es, der internationalen
Raumfahrtgemeinschaft neue Methoden und Technologien zur Verfügung zu
stellen, die zuverlässige Studien und die Entwicklung konkreter
Missionsszenarien im VLEO ermöglichen. Dies könnte unter anderem neuen
quantentechnologischen Anwendungen den Weg bahnen, die etwa unsere
Echtzeit-Kommunikation sicherer oder Messinstrumente leistungsfähiger
machen. "Wir wollen dafür sorgen, dass das Thema weltweit aufgegriffen wird
und setzen in ATLAS eine Forschungsidee um, die langfristig tragen soll",
betont Fasoulas. Der Sonderforschungsbereich wird von der DFG zunächst für
vier Jahre gefördert. Die interdisziplinären Forschungen sind insgesamt auf
einen Zeitraum von zwölf Jahren ausgelegt.