Treibstoff aus der Restatmosphäre
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Stuttgart astronews.com
8. Mai 2020
Aus einem niedrigen Orbit lassen sich interessante
Erdbeobachtungen durchführen. Leider gibt es in diesen Höhen noch immer eine
Restatmosphäre, die die Satelliten abbremst. Um dies zu verhindern und
langlebigere Satelliten zu ermöglichen, hat man an der Universität Stuttgart ein
neues Triebwerk entwickelt, das den Luftwiderstand ausgleicht und die Atmosphäre
als Treibstoff nutzt.
Plasmastrom des Induktiven Plasmatriebwerks
im Betrieb mit Stickstoff.
Foto: Universität Stuttgart/IRS [Großansicht] |
Erdbeobachtungssatelliten für niedrige Flughöhen, kleiner, leichter und
billiger als herkömmliche Modelle - das sind die Ziele des EU- Projekts
"DISCOVERER", an dem neun Partner aus Europa und den USA beteiligt sind. Am
Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart wurde nun erstmals
ein neuartiges induktives Plasmatriebwerk gezündet, das eines der wesentlichen
Probleme der Mission lösen soll: Es eliminiert den Luftwiderstand im unteren
Orbit und erhöht dadurch die Lebensdauer der Satelliten. Das System basiert auf
Heliconwellen und ist mit einer Antenne aus dem medizinischen Bereich
ausgestattet.
Satellitenmissionen im sogenannten "Very Low Earth Orbit", also in geringen
Höhen bis zu 400 Kilometern, ermöglichen neuartige Erdbeobachtungen wie zum
Beispiel die dauerhafte Vermessung des Erdschwerefeldes mit kleinen und
preisgünstigen Satelliten. Allerdings herrscht in diesen Höhen durch die
Restatmosphäre noch ein relativ hoher Luftwiderstand. Dieser macht einen
Satelliten langsamer und langsamer, wodurch ihn die Schwerkraft näher zur Erde
ziehen kann, bis er in die Erdatmosphäre eintritt und verglüht. Demnach wäre die
Mission, je nach Höhe, schon innerhalb eines Zeitraums von Tagen bis wenigen
Monaten beendet.
Um das Lebensdauer-Problem zu lösen und neuartige beziehungsweise signifikant
verbesserte Möglichkeiten der Erdbeobachtung zu eröffnen, entwickelt eine
Arbeitsgruppe am IRS der Universität Stuttgart bereits seit 2014 einen
"atmosphärenatmenden" elektrischen Raumfahrtantrieb, der den Luftwiderstand
kompensiert. Das System nimmt die bremsenden Atmosphärenpartikel aus der
Restatmosphäre um den Satelliten auf und nutzt diese als Treibstoff. Dies hat
den Vorteil, dass der Satellit keinen Treibstofftank mit sich führen muss, er
versorgt sich aus den Gaspartikeln der Hochatmosphäre und photovoltaischer
Elektrizität.
Dabei führt die elektrische Energie den Treibstoff in Plasma über, das
beschleunigt wird, um Schub zu generieren. Bisherige Systeme benötigten hierfür
Elektroden beziehungsweise Gitter, die aber empfindlich auf den aggressiven
Sauerstoff reagieren. Andere arbeiten mit einem ebenso empfindlichen
Neutralisator, der verhindert, dass der Satellit sich elektrisch auflädt und die
Ionen dadurch wieder zurückgezogen werden, was den Schub zunichtemachen würde.
Das IRS der Universität Stuttgart entwickelte nun erstmals ein
atmosphärenatmendes elektrisches Triebwerk (ABEP), das ohne diese "Hilfsmittel"
auskommt. Das ABEP-System besteht aus einem Massenkollektor sowie einem
Radiofrequenz-Antrieb, dem Induktiven Plasmatriebwerk (IPT). Dieses basiert auf
sogenannten Heliconwellen, also niederfrequenzelektromagnetischen Wellen. Bei
diesem fortschrittlichen physikalischen Prinzip wird das Plasma durch eine
Antenne gezündet und beschleunigt, um Schub zu generieren.
Der IPT des IRS nutzt dabei erstmals eine sogenannte zylindrische Birdcage-Antenne,
die ihren Ursprung in der Magnetresonanztomographie hat. Diese stellt
elektromagnetische Mechanismen zur Verfügung, die sowohl die Ionen als auch die
Elektronen simultan beschleunigen. Dadurch weist die Antenne einen besonders
hohen Wirkungsgrad auf, was der Plasmajet in ersten Tests bewiesen hat.
Die Inbetriebnahme des induktiven Plasmatriebwerks ist ein Durchbruch, der
gleich mehrere Vorteile mit sich bringt: Das Triebwerk kann mit variablen
Treibstoff-Massenströmen und -Kompositionen umgehen und wird damit dem Umstand
gerecht, dass in der Atmosphäre keine einheitlichen Bedingungen herrschen. Zudem
kann es auch mit dem aggressivem Treibstoff der Thermosphäre, zum Beispiel mit
atomarem Sauerstoff, problemlos betrieben werden. Ionen und Elektronen werden
gemeinsam mit hoher Geschwindigkeit zur Schub-Generierung beschleunigt; ein
Neutralisator ist daher nicht erforderlich.
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