Restatmosphäre als Treibstoff
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Stuttgart astronews.com
13. April 2017
Die Restatmosphäre ist für Satelliten, die in einem
vergleichsweise niedrigen Orbit um die Erde kreisen, ein Problem. Ihr Widerstand
sorgt dafür, dass die Bahnhöhe des Satelliten ständig abnimmt. In Stuttgart wird
nun an einer neuen Technologie geforscht, mit deren Hilfe die eigentlich
störende Atmosphäre als Treibstoff genutzt werden kann.
Im Projekt DISCOVERER werden neue
Technologien für erdnahe Satelliten entwickelt,
wie es zum Beispiel der ESA-Satellit GOCE war.
Bild: ESA–AOES-Medialab[Großansicht] |
Wie auf der Erde der Luftwiderstand auf ein Fahrzeug wirkt, so bremst im
Weltall die Restatmosphäre Satelliten aus. Ein Forschungsteam am Institut für
Raumfahrtsysteme der Universität Stuttgart will das Problem lösen, indem es die
Atmosphäre, die den Widerstand verursacht, als Treibstoff verwendet. Dies ist
ein wichtiger Schritt zu kleineren, preiswerten Satelliten, die in geringerer
Höhe um die Erde kreisen und bessere Bilder liefern können.
Fast jeder hat es schon probiert: An einem sonnigen Tag öffnet man das
Autofenster, streckt die Hand heraus, um den Gegenwind zu spüren, und fühlt
sich, als könnte man fliegen. Was sich an der Hand gut anfühlt, ist jedoch für
das Auto eine Erschwernis. Ein ähnliches Problem hat man im All: In der
Erdumlaufbahn übt die Restatmosphäre einen Widerstand auf Flugkörper wie etwa
einen Satelliten aus. Dieser wird deswegen langsamer und langsamer, wodurch ihn
die Schwerkraft näher an die Erde ziehen kann und der Satellit schließlich in
der Atmosphäre verglüht.
Besonders gravierend ist dieses Problem im so genannten Very Low Earth
Orbit in 120 bis 250 Kilometern Höhe, denn in diesem erdnahen Bereich ist
die Atmosphäre dichter und der Luftwiderstand entsprechend höher als in ferneren
Regionen des Alls. Satelliten für eben diese niedrigen Flughöhen zu entwickeln
ist das Ziel des EU-Projekt DISCOVERER (DISruptive teChnOlogies for VERy low
Earth oRbit platforms), an dem unter Federführung der University of
Manchester auch die Universität Stuttgart beteiligt ist. Solche erdnahen Satelliten können kleiner und billiger gebaut werden und
schicken zudem Bilder mit besserer Qualität an die Erde. Voraussetzung ist
allerdings, dass man den "Gegenwind" in den Griff bekommt.
Als Teil von DISCOVERER arbeitet daher ein Team um Dr. Georg Herdrich am
Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart daran, das Problem
in eine Lösung umzuwandeln. Die Idee der Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler: Sie wollen die Atmosphäre, die den Luftwiderstand produziert,
als Treibstoff verwenden. Hierfür arbeitet das Team an einem Antriebssystem, das
sich von der heutigen Technologie fundamental unterscheidet. Es wird keine auf
dem Satelliten gelagerten Treibstoffe verwenden, sondern stattdessen elektrische
Antriebe, die luftatmend sind. Dies trägt nicht nur dazu bei, die Lebensdauer
der Satelliten zu verlängern, sondern mindert auch die Gefahren für All und
Erde, die von verglühenden Satelliten in Form von Weltraummüll ausgehen.
Das Projekt DISCOVERER startete Anfang 2017 und wird von der Europäischen
Union im Rahmen des Programms Horizon 2020 mit circa 5,7 Millionen Euro
auf 51 Monate gefördert. Partner sind neben den Universitäten Manchester und
Stuttgart auch das Satelliten-Kontrollzentrum Deimos Castilla La Mancha
in Spanien, das dänische Unternehmen GomSpace, die spanische Universitat
Politecnica de Catalunya, das University College London, die Firma
The TechToybox (USA), sowie die Beratungsunternehmen EuroConsult und concentris
research management.
DISCOVERER ist eines von sechs neuen Horizon 2020-Projekten, die von der EU
im Rahmen der Ausschreibung FET open (Future Emerging Technologies) gefördert
werden. Insgesamt hatten sich auf die FET-Ausschreibung 594 Konsortien beworben.
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