Kosmische Neutrinos aus der Milchstraße identifiziert
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Technischen Universität Dortmund astronews.com
4. Juli 2023
Die Herkunft eines energiereichen Regens relativistischer
Teilchen, der beständig auch auf unsere Erdatmosphäre einprasselt, ist eines der
größten Rätsel der modernen Astroteilchenphysik. Ein internationales
Forschungsteam ist diesem Rätsel auf der Spur. Mit dem IceCube-Detektor am
Südpol konnten sie jetzt erstmals Neutrinos aus unserer Milchstraße nachweisen.
Wenn ein Neutrino mit Molekülen im klaren antarktischen
Eis wechselwirkt, erzeugt es Sekundärteilchen,
die auf ihrem Weg durch den IceCube-Detektor eine
Spur von blauem Licht hinterlassen.
Bild: Nicolle R.
Fuller, IceCube/NSF [Großansicht] |
Der Anblick unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße, im Sommer von einem
dunklen Standort aus, gehört für viele Menschen zu den beeindruckendsten
Naturerlebnissen überhaupt. Schon mit dem bloßen Auge vermittelt das sich über
den Himmel erstreckende, schwach leuchtende und von Dunkelwolken durchsetzte
Sternenband einen Eindruck der vielen Milliarden Sterne, die unsere kosmische
Heimat bevölkern. Auch wenn die Menschheit erst in der Neuzeit die Struktur
unserer Galaxie enträtseln konnte, so ist doch der Anblick der Milchstraße im
sichtbaren Licht seit dem Altertum ein Teil unseres Naturerbes.
Mit dem IceCube-Neutrino-Observatorium konnte nun zum ersten Mal ein Bild der
Milchstraße mithilfe von Neutrinos – sehr durchdringenden Elementarteilchen, die
Zeugnis von extrem energiereichen Vorgängen ablegen – erstellt werden.
"Faszinierend ist, dass – ganz anders als im elektromagnetischen Spektrum, also
bei Licht verschiedener Wellenlängen – im Regime der Neutrinos das ferne
Universum unsere unmittelbare kosmische Nachbarschaft weit überstrahlt. Um
unsere eigene Galaxie zu entdecken, war daher die Zusammenarbeit vieler
herausragender Forscherpersönlichkeiten über alle Grenzen hinweg notwendig",
sagt Prof. Francis Halzen, Professor an der US-amerikanischen University of
Wisconsin in Madison und Principal Investigator von IceCube. Die
Energie der nun von IceCube nachgewiesenen Neutrinos ist Millionen bis
Milliarden mal größer als die Energie des stetigen Stroms solcher Teilchen, der
die Erde aus Kernfusionsreaktionen im Kern unserer Sonne erreicht. Die Neutrinos
eröffnen einen Blick auf extrem energiereiche Teilchen – die sogenannte
kosmische Strahlung, die den Raum zwischen den Sternen durchdringt, und auch
beständig auf die Atmosphäre der Erde einprasselt.
Von der Amundsen-Scott-Südpolstation aus betrieben, umfasst der IceCube-Detektor
einen Kubikkilometer antarktisches Eis, in das über 5000 lichtempfindliche
Sensoren eingebracht wurden. Zwar durchdringen beinahe alle Neutrinos die
Materie um uns herum fast ungehindert, aber ab und an wechselwirkt dann doch ein
solches kosmisches Neutrino nach seiner langen Reise durch das Universum im
instrumentierten Eisvolumen oder in dessen Nachbarschaft. Dann können geladene
Elementarteilchen, zum Beispiel Elektronen, entstehen, die kurze Lichtblitze im
hochtransparenten Eis auslösen, und so das Neutrino und seine ungefähre Herkunft
verraten. Aufgrund von Beobachtungen der kosmischen Strahlung und auch extrem
energiereicher Photonen – der Gammastrahlung – aus der Milchstraße wurde bereits
vorhergesagt, dass sich aus dem Band der Milchstraße auch Neutrinos nachweisen
lassen sollten, denn sowohl Gammastrahlung als auch Neutrinos entstehen bei der
Wechselwirkung energiereicher Protonen und anderer Atomkerne zum Beispiel mit
dem Gas und Staub im Raum zwischen den Sternen.
Allerdings stellte sich auch heraus, dass die Milchstraße keine extrem starke
Neutrinoquelle ist, sondern dass es viele große Hürden gab, bevor das schwache
Signal aus dem allgemeinen Rauschen herausgeschält werden konnte. Um diese
Hürden zu überwinden, begann das Team der US-amerikanischen Drexel
University Analysen zu entwickeln, die speziell auf sogenannte
"Kaskaden"-Ereignisse im Eis abzielen, bei denen die Energie des ursprünglichen
Neutrinos in einer relativ kompakten und annähernd kugelförmigen Region im
Detektor deponiert wird. Dieser Ansatz führte bereits zu einer effektiv höheren
Empfindlichkeit für die begehrten Milchstraßen-Neutrinos.
Das allein war allerdings noch nicht ausreichend für den ersten
Neutrino-Blick der Menschheit auf unsere eigene Heimatgalaxie. Der endgültige
Durchbruch gelang erst durch die Anwendung von Methoden des maschinellen
Lernens, die an der TU Dortmund entwickelt wurden, und die die Identifizierung
der von Neutrinos erzeugten Kaskaden sowie die Rekonstruktion ihrer Richtung und
Energie deutlich verbesserten. "Die Entwicklung neuer Methoden ermöglichte es
uns, mehr Neutrino-Ereignisse zu erhalten, und diese auch noch mit besserer
Rekonstruktion ihrer Herkunftsrichtung, was im Endeffekt dazu führte, dass wir
die Empfindlichkeit von IceCube um einen Faktor drei im Vergleich zu
früheren Suchen steigern konnten", sagt IceCube-Mitglied Mirco Hünnefeld, der
einer der leitenden Analysatoren für diesen Datensatz war und an der TU Dortmund
promoviert.
Der in der Studie verwendete Datensatz umfasste ca. 60.000 Neutrinos aus zehn
Jahren IceCube-Beobachtungen. Das sind rund 30-mal so viele Ereignisse wie in
der Auswahl, die in einer früheren Analyse der galaktischen Ebene unter
Verwendung von Kaskaden-Ereignissen herangezogen wurde. Die nun nachgewiesenen
Neutrino-Ereignisse wurden mit zuvor veröffentlichten Vorhersagekarten von
Regionen am Himmel verglichen, aus denen man besonders viele galaktische
Neutrinos erwartete. "Der wirklich überzeugende Nachweis der Milchstraße als
Quelle hochenergetischer Neutrinos hat die strengen internen Tests der
Kollaboration überstanden", sagt Prof. Ignacio Taboada, Professor am Georgia
Institute of Technology in den USA und IceCube-Sprecher. "Der nächste
Schritt besteht nun darin, einzelne Neutrino-Quellen innerhalb der Milchstraße
direkt zu identifizieren."
Diese und andere Fragen werden in bereits geplanten Nachfolge-Analysen von
der IceCube-Kollaboration untersucht. Schon jetzt ist aber klar, dass der
erstmalige Nachweis hochenergetischer Neutrinos aus der Milchstraße völlig neue
Möglichkeiten zum Studium der energiereichsten Teilchen in unserer kosmischen
Umgebung eröffnet, und einen bedeutenden Schritt hin zum Verständnis der
Herkunft der galaktischen kosmischen Strahlung darstellt. Die enorme
Leistungsfähigkeit moderner Methoden des maschinellen Lernens bietet ein großes
Zukunftspotenzial, das weitere Durchbrüche in greifbare Nähe rücken lässt.
Dieser bedeutende Schritt für die Astronomie und Astroteilchenphysik wurde
erst durch die Zusammenarbeit von verschiedenen Instituten möglich. In
Deutschland umfasst diese Kooperation zehn Universitäten und die
Helmholtz-Forschungszentren DESY und KIT. Der weitere Ausbau des IceCube-Detektors
und die wissenschaftliche Auswertung der gewonnenen Daten werden maßgeblich
durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und durch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft gefördert. "Dieser lang erwartete Nachweis von
Wechselwirkungen der kosmischen Strahlung in der Milchstraße ist auch ein
wunderbares Beispiel dafür, was wir erreichen können, wenn wir die Anwendung von
modernen Methoden des maschinellen Lernens in der Grundlagenforschung weiter
konsequent vorantreiben", sagt Prof. Wolfgang Rhode, Professor für
Astroteilchenphysik an der TU Dortmund, IceCube-Mitglied, und Betreuer der
Doktorarbeit von Hünnefeld.
Über die Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der jetzt in der
Zeitschrift Science erschienen ist.
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