Energiereiche Neutrinos aus dem Zentrum von Messier 77
Redaktion
/ Pressemitteilung der Technischen Universität München astronews.com
8. November 2022
Seit mehr als zehn Jahren detektiert das IceCube-Observatorium
in der Antarktis Leuchtspuren extragalaktischer Neutrinos. Ein internationales
Forschungsteam hat nun bei der Auswertung der Daten in der aktiven Galaxie
Messier 77 eine Quelle hochenergetischer Neutrino-Strahlung entdeckt - sie ist ein
gewaltiger Teilchenbeschleuniger im All.
Die Galaxie Messier 77 in einer Aufnahme des
Weltraumteleskops Hubble.
Bild:
NASA, ESA & A. van der Hoeven [Großansicht] |
Das Universum ist voller Geheimnisse. Eines davon sind aktive Galaxien, in
deren Zentrum sich gigantische Schwarze Löcher befinden. "Wir wissen bis heute
nicht genau, welche Prozesse sich dort abspielen", erklärt Elisa Resconi,
Professorin für "Experimental Physics with Cosmic Particles" an der Technischen
Universität München (TUM). Ihr Team ist der Auflösung dieses Rätsels jetzt einen
großen Schritt nähergekommen: In der Spiralgalaxie NGC 1068 haben die
Astrophysikerinnen und Astrophysiker eine Quelle hochenergetischer Neutrinos
aufgespürt.
Mit Teleskopen, die Licht, Gamma- oder Röntgenstrahlen aus dem All auffangen,
ist es sehr schwierig, die aktiven Zentren von Galaxien zu erforschen, weil
Wolken aus kosmischem Staub und heißem Plasma die Strahlung absorbieren. Dem
Inferno am Rande Schwarzer Löcher entkommen nur Neutrinos, die so gut wie keine
Masse und auch keine elektrische Ladung haben. Sie durchdringen den Raum, ohne
durch elektromagnetische Felder abgelenkt oder absorbiert zu werden. Deshalb
sind sie auch so schwer nachzuweisen. Die größte Hürde bei der
Neutrino-Astronomie war bisher die Trennung des sehr schwachen Signals von dem
starken Hintergrundrauschen durch Teilcheneinschläge aus der Erdatmosphäre. Erst
die langjährigen Messungen des IceCube Neutrino Observatory und neue
statistische Methoden ermöglichten Resconi und ihrem Team genügend
Neutrino-Ereignisse für ihre Entdeckung.
Das IceCube-Teleskop, das sich im Eis der Antarktis befindet, detektiert seit
2011 Leuchtspuren einfallender Neutrinos. "Aus ihrer Energie und ihrem
Einfallswinkel können wir rekonstruieren, woher sie kommen", erklärt
TUM-Wissenschaftler Dr. Theo Glauch. "Die statistische Auswertung zeigt eine
hochsignifikante Häufung von Neutrino-Einschlägen aus der Richtung, in der sich
die aktive Galaxie NGC 1068 befindet. Damit können wir mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die hochenergetische
Neutrino-Strahlung aus dieser Galaxie kommt."
Die Spiralgalaxie, 47 Millionen Lichtjahre entfernt, wurde bereits im 18.
Jahrhundert entdeckt. NGC 1068 – auch bekannt unter dem Namen Messier 77 – ist
in Form und Größe unserer Galaxie ähnlich, hat aber ein leuchtend helles
Zentrum, das heller strahlt als die gesamte Milchstraße, obwohl es nur in etwa
so groß ist wie unser Sonnensystem. In diesem Zentrum befindet sich ein "aktiver
Kern": ein gigantisches Schwarzes Loch von etwa 100 Millionen Sonnenmassen, das
große Mengen von Materie aufsaugt.
Doch wo und wie entstehen dort Neutrinos? "Wir haben ein klares Szenario",
beschreibt Resconi. "Wir denken, dass die hochenergetischen Neutrinos das
Ergebnis einer extremen Beschleunigung sind, die Materie in der Umgebung des
Schwarzen Lochs erfährt und dadurch auf sehr hohe Energien beschleunigt wird.
Aus Experimenten in Teilchenbeschleunigern wissen wir, dass hochenergetische
Protonen Neutrinos erzeugen, wenn sie mit anderen Teilchen zusammenstoßen. Mit
anderen Worten: Wir haben einen kosmischen Beschleuniger gefunden."
NGC 1068 ist die statistisch signifikanteste Quelle hochenergetischer
Neutrinos, die bisher entdeckt wurde. Um auch schwächere und weiter entfernte
Neutrino-Quellen lokalisieren und erforschen zu können, seien mehr Daten
erforderlich, betont Resconi. Die Forscherin hat unlängst eine internationale
Initiative für den Bau eines mehrere Kubikkilometer großen Neutrino-Teleskops im
nordöstlichen Pazifik gestartet, das Pacific Ocean Neutrino Experiment, P-ONE.
Es soll zusammen mit dem geplanten IceCube-Observatorium der zweiten Generation
– IceCube-Gen2 – die Daten für eine künftige Neutrino-Astronomie liefern.
Über ihre Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Science erschienen ist.
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