Rätsel um kosmische Röntgenstrahlung gelöst
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
8. Dezember 2022
Ein internationales Team hat mit einem hochpräzisen
Experiment ein Jahrzehnte währendes Problem der Astrophysik gelöst: Die im Labor
gemessenen Intensitätsverhältnisse wichtiger Strahlungslinien von Eisen wichen
bislang von den berechneten ab, was die Interpretation von Röntgenspektren etwa
der Korona der Sonne oder der Umgebung Schwarzer Löcher schwierig machte.
Gemessenes Röntgen-Fluoreszenz-Spektrum mit
den Emissionslinien 3C und 3D von Fe-XVII, sowie
B and C von Fe XVI. Hintergrundbild: Die Sonne im
Röntgenlicht, aufgenommen vom Weltraumteleskop
NuSTAR.
Bild: NASA, NuSTAR, SDO [Großansicht] |
Nahezu alles, was wir über ferne Sterne, Gasnebel und Galaxien wissen, beruht
auf der Analyse des Lichts, das wir von ihnen empfangen. Genauer gesagt, der
elektromagnetischen Wellen, denn mittlerweile steht Astronomen deren gesamtes
Spektrum zur Verfügung. In welchem Spektralbereich ein Körper oder ein Gas
besonders hell leuchtet, hängt vor allem von seiner Temperatur ab: Je heißer,
desto energiereicher die Strahlung.
Im Weltraum befindet sich mehr als 99 Prozent der gesamten sichtbaren Materie
im Plasmazustand; es ist so heiß, dass die Atome ein oder mehrere Elektronen
verloren haben und als positiv geladene Ionen vorliegen. Extrem heiße Plasmen
mit Temperaturen von mehr als eine Million Grad gibt es zum Beispiel in der
während einer totalen Sonnenfinsternis sichtbaren Korona der Sonne. Darüber
hinaus findet man sie in der Umgebung von Schwarzen Löchern oder als
intergalaktisches Gas zwischen den Galaxien. Die von solchen Plasmen ausgesandte
Röntgenstrahlung weist die Fingerabdrücke der in ihnen befindlichen chemischen
Elemente auf.
Sehr prominent sind Strahlungslinien (Emissionslinien) von mehrfach
ionisiertem Eisen, insbesondere Fe XVII, das von seinen ursprünglichen 26
Elektronen 16 verloren hat. Der Grund: Eisen ist unter den schweren Elementen
häufig und Fe XVII über einen breiten Temperaturbereich vertreten. Bei der
Analyse eines Röntgenspektrums vergleicht man neben den Energien der
Emissionslinien unter anderem die Intensitätsverhältnisse charakteristischer
Linien. Um daraus auf die Eigenschaften des kosmischen Plasmas schließen zu
können, muss man diese Intensitätsverhältnisse gut kennen. Das ist möglich,
indem man sie theoretisch berechnet und im Labor experimentell überprüft.
Und genau das war bislang das Problem: Quantenmechanische Rechnungen und
Laborergebnisse des Intensitätsverhältnisses von zwei starken Linien namens 3C
und 3D wichen um etwa 20 Prozent voneinander ab und stellten unser Verständnis
atomarer Struktur und das Vertrauen in die genutzten Modelle in Frage. Das war
nicht nur ein Problem für die Astronomen, sondern auch für die Physiker, denn wo
lag der Fehler, in der Theorie oder dem Experiment?
Vor zwei Jahren hatte das Team um Doktorand Steffen Kühn vom Heidelberger
Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) das bis dahin genauestes Experiment
durchgeführt, und auch damals blieb eine unerklärbare Diskrepanz bestehen. Das
MPIK-Theorieteam um Natalia Oreshkina und Zoltan Harman, sowie Marianna
Safronova und Charles Cheung in den USA und Julian Berengut in Australien hatten
Supercomputer heißlaufen lassen, um die Emissionslinien 3C und 3D von Fe XVII
mit höchster Präzision erneut zu berechnen: Die Diskrepanz sowie die
Fragestellung blieben: Wer hatte Recht?
"Wir waren überzeugt alle damals bekannten systematische Effekte bei der
Messung im Griff zu haben", erinnert sich Kühn. Doch in einem letzten Anlauf
wollte er und das Forscherteam geleitet von José Crespo der Sache auf den Grund
gehen: Anstelle des Intensitätsverhältnisses der beiden Linien versuchte man die
absolute Stärke der einzelnen Übergänge, auch Oszillatorstärke genannt, zu
vermessen. Doch um diese individuellen Linienstärken zu vermessen und den
Übeltäter der beiden Linien in der theoretischen Betrachtung zu identifizieren,
musste die Qualität der Messdaten erheblich verbessert werden.
Für diese knifflige Messung hat Kühn im Rahmen seiner Doktorarbeit eine "Electron
Beam Ion Trap"-Apparatur (PolarX-EBIT) verwendet, die im Rahmen eines Projekts
von Postdoc Sonja Bernitt am MPIK gebaut worden war. In ihr werden Eisen-Ionen
durch einen Elektronenstrahl produziert und in einem Magnetfeld gefangen. Dabei
entfernt der Elektronenstrahl die äußeren Elektronen der Eisen-Ionen, bis das
gewünschte Fe XVII vorliegt. Dann werden die gefangenen Eisen-Ionen mit
Röntgenlicht geeigneter Energie bestrahlt, sodass sie leuchten. Dafür muss die
eingestrahlte Energie der Röntgenphotonen variiert werden, bis die gesuchten
Linien exakt getroffen werden.
Da handelsübliche Quellen die benötigte Röntgenstrahlung nicht produzieren
können, musste die PolarX-EBIT zum DESY nach Hamburg transportiert werden. Dort
erzeugt das Synchrotron PETRA III einen Röntgenstrahl, dessen Energie sich über
einen bestimmten Energiebereich durchstimmen lässt. Auf diese Weise regt man die
Eisen-Ionen zur Emission von Röntgenstrahlung an, die dann in Abhängigkeit von
der eingestrahlten Photonenenergie spektral analysiert wird. Mit trickreichen
Verbesserungen an der Apparatur und am Messschema gelang es Kühn mit seinen
Kollegen Moto Togawa, René Steinbrügge und Chintan Shah, in langen Tagen und
kurzen Nächten an der PETRAIII-Strahlröhre die Auflösung der Spektren im
Vergleich zu ihrer vorherigen Messung noch einmal zu verdoppeln und den
störenden Untergrund, wie er bei jeder Messung auftritt, um einen Faktor tausend
zu unterdrücken.
Die enorm verbesserte Datenqualität brachte den Durchbruch: Erstmals konnten
die zu untersuchenden Emissionslinien vollständig von benachbarten Linien
getrennt werden. Außerdem ließen sich die Linien 3C und 3D nun bis zum äußersten
Rand vermessen. "In den bisherigen Messungen waren die Flügel dieser Linien im
Untergrund versteckt, was zu einer fehlerhaften Interpretation der Intensitäten
geführt hatte", erklärt Kühn. Damit ist auch Maurice Leutenegger vom Goddard
Space Flight Center der NASA hochzufrieden, der als Experte für
Röntgenastrophysik am Experiment mitbeteiligt war: Das Endergebnis stimmt nun
hervorragend mit den theoretischen Vorhersagen überein. Das freut auch die
Theoretiker.
"Damit ist das Vertrauen in die quantenmechanischen Rechnungen gestärkt, mit
denen astrophysikalische Spektren analysiert werden. Dies gilt besonders für
Linien, für die es keine experimentellen Vergleichswerte gibt", verdeutlicht
Kühn die Bedeutung des neuen Resultats. Und die Spektren der Weltraumteleskope
können nun mit höherer Genauigkeit ausgewertet werden. Das betrifft auch zwei
große Röntgenobservatorien, die demnächst ins All gelangen sollen: Das unter
japanischer Leitung gebaute X-Ray Imaging Spectroscopy Mission (XRISM,
Start im Mai 2023) und das Athena X-Ray Observatory der Europäischen
Weltraumorganisation ESA (Start in den frühen 2030er Jahren).
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in den
Physical Review Letters erschienen ist.
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