Die rätselhafte Emission von Eisenionen
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik astronews.com
2. Juni 2020
Seit Jahrzehnten rätselt die Astrophysik über zwei markante
Röntgen-Emissionslinien von hochgeladenem Eisen: ihr gemessenes
Helligkeitsverhältnis stimmt nicht mit dem berechneten überein. Das
beeinträchtigt die Bestimmung der Temperatur und Dichte von Plasmen, wie sie
sich an vielen Stellen im Universum befinden. Neue Untersuchungen haben das
Problem nun noch größer gemacht.
Eine Wolke gespeicherter Eisenionen in
Wechselwirkung mit den intensiven Röntgenstrahlen
eines Synchrotrons (künstlerische Darstellung).
Bild: S. Bernitt, Helmholtz-Institut Jena [Großansicht] |
Heiße astrophysikalische Plasmen erfüllen den intergalaktischen Raum und
leuchten hell in Sternatmosphären, aktiven Galaxienkernen und
Supernova-Überresten. Sie enthalten geladene Atome (Ionen), die Röntgenstrahlen
emittieren; diese ist mit Satelliteninstrumenten beobachtbar. Astrophysiker
verwenden ihre Spektrallinien, um daraus beispielsweise Plasmatemperaturen oder
Elementhäufigkeiten abzuleiten.
Zwei der hellsten Röntgenlinien stammen von Eisenatomen, die 16 ihrer 26
Elektronen verloren haben, Fe16+-Ionen – in der Astrophysik auch als Fe XVII
bezeichnet. Eisen ist im Universum recht häufig; es sorgt dafür, dass Sterne wie
unsere Sonne ihren Wasserstoffvorrat nur langsam, in Milliarden von Jahren,
verbrennen, indem es den Strahlungstransport von Energie aus dem glühenden
Fusionskern zu der vergleichsweise nur mäßig heißen Sternoberfläche weitgehend
unterdrückt.
Seit mehr als vierzig Jahren schlagen sich Röntgenastronomen mit einem
ernsthaften Problem bei den beiden wichtigen Fe16+-Linien herum: das gemessene
Verhältnis ihrer Intensitäten weicht deutlich von theoretischen Vorhersagen ab.
Das gilt auch für Labormessungen, aber bisher waren die experimentellen und
theoretischen Unsicherheiten zu groß, um die Angelegenheit zu klären. Ein
internationales Team aus 32 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter
Führung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) und des NASA Goddard
Space Flight Center hat nun erneut versucht, diese Diskrepanz zu
beseitigen. Dazu hat das Team sowohl die bisher höchstaufgelösten Messungen als
auch mehrere quantentheoretische Rechnungen mit neuester Methodik durchgeführt.
Steffen Kühn, Doktorand am MPIK und verantwortlich für die Apparatur,
beschreibt den Aufwand: "Um hochgeladene Eisenionen resonant anzuregen, stellen
wir sie kontinuierlich in unserer kompakten mobilen Elektronenstrahl-Ionenfalle
(EBIT) her und bestrahlen sie mit Röntgenlicht des Synchrotrons PETRA III am
DESY. Die Resonanz mit den Linien finden wir, indem wir die Energie des
Synchrotrons über den Bereich durchstimmen, in dem sie erscheinen sollten, und
die Helligkeit des Fluoreszenzlichts messen. Am DESY arbeitende Kollegen von 19
Institutionen haben über ein Jahr lang geholfen, die enorme Datenmenge zu
bewältigen, akribisch auszuwerten und die Ergebnisse zu überprüfen."
Damit alles widerspruchsfrei ist, haben die Forscher drei verschiedene
Messmethoden angewandt, um das Intensitätsverhältnis der beiden Fe16+-Linien,
genannt 3C und 3D, zu bestimmen. Zuerst ergaben Scans über den gesamten Bereich
Linienpositionen, -breiten und -intensitäten. Zweitens haben die
Experimentatoren die Energie der Röntgenphotonen auf maximale Helligkeit des
Fluoreszenzlichts eingestellt, und dabei den Röntgenstrahl zyklisch ab- und
wieder angeschaltet, um den starken Untergrund loszuwerden. Drittens haben sie
die Linien erneut gescannt, dabei aber gleichzeitig den An-Aus-Trick angewandt,
um instrumentelle Effekte zu unterdrücken.
"Auf diese Weise gelang es uns, den derzeit genauesten Wert des
Helligkeitsverhältnisses zu bestimmen, und zwar bei einer zehnmal so hohen
spektralen Auflösung wie in früheren Arbeiten", konstatiert Chintan Shah,
Postdoc-Stipendiat bei der NASA. "Und die Eigenschaften des Strahls von PETRA
III haben mögliche nichtlineare, vom Fluss der Synchrotronstrahlung abhängige
Effekte vermieden, die frühere Messungen gestört haben könnten", ergänzt Sven
Bernitt vom Helmholtz-Institut Jena. Bemerkenswerterweise bestätigt das
erhaltene Intensitätsverhältnis frühere astrophysikalische und Labormessungen
bei deutlich verringerter Unsicherheit.
Theorieteams um Natalia Oreshkina am MPIK, aus Australien, den USA und
Russland haben drei unabhängige, sehr umfangreiche, relativistische
quantentheoretische Methoden eingesetzt und damit Cluster aus Hunderten von
Prozessoren wochenlang "heißlaufen" lassen. Dieser Computer-Marathon ergab
übereinstimmende Ergebnisse mit hoher numerischer Präzision. Während allerdings
die berechnete Energiedifferenz zwischen den Linien mit dem gemessenen Wert
übereinstimmt, weicht das Intensitätsverhältnis klar vom experimentellen
Ergebnis ab.
"Es sind keine weiteren quantenmechanischen Effekte oder numerische
Unsicherheiten bekannt, die wir in unseren Ansätzen berücksichtigen könnten",
betont Marianna Safronova, Professorin an der University of Delaware.
Die Ursache der Diskrepanz zwischen den experimentellen und theoretischen
Intensitätsverhältnissen der 3C- und 3D-Linien von Fe16+ bleibt also weiterhin
rätselhaft, da auch alle möglicherweise die Messungen störenden Effekte
weitestgehend unterdrückt und die restlichen Unsicherheiten verstanden sind.
Folglich sind aus Intensitäten von Röntgenlinien abgeleitete
astrophysikalische Parameter zu einem gewissen Grad unsicher. Auch wenn es
unbefriedigend ist, "kann man das neue, genaue Messresultat unmittelbar zur
Korrektur astrophysikalischer Modelle verwenden", empfiehlt Maurice Leutenegger,
ebenfalls NASA-Forscher. "Kommende Weltraummissionen, beispielweise das
Athena-Röntgenteleskop der ESA, mit verbesserter Röntgeninstrumentierung
werden bald einen unglaublichen Strom hochaufgelöster Daten zur Erde senden, und
wir müssen uns darauf vorbereiten ihn zu verstehen, um aus diesen
Milliarden-Dollar-Investitionen den größtmöglichen Ertrag zu ziehen."
Die Ergebnisse wurden jetzt in einem Fachartikel in der Zeitschrift
Physical Review Letters veröffentlicht.
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