Kombination von Daten erlaubt neue Erkenntnisse
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik astronews.com
17. Juni 2022
Erstmals wurden jetzt Daten aus kernphysikalischen
Experimenten, Gravitationswellenmessungen und anderen astronomischen
Beobachtungen mit theoretischen Erkenntnissen kombiniert, um das Verhalten der
dichten Materie im Inneren von Neutronensternen besser zu verstehen. Die Methode
lässt sich leicht für neue Daten anpassen.
Künstlerische Darstellung einer
numerisch-relativistischen Simulation der
Verschmelzung zweier Neutronensterne mit einem
Bild der bei einer Goldionen-Kollision
entstandenen Teilchen. Die
Neutronensternverschmelzung ähnelt dem
Gravitationswellensignal GW170817 mit zwei nicht
rotierenden Neutronensternen und einer Chirp-Masse
von 1,188 Sonnenmassen. Die Goldionen-Kollision
mit einer relativistischen kinetischen Energie
von 1,5 GeV pro Nukleon wird durch das
Nachweisbild eines solchen Ereignisses im
FOPI-Detektor der GSI gezeigt.
Bild: T. Dietrich (Universität Potsdam &
Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), A.
Le Fevre (GSI Helmholtzzentrum für
Schwerionenforschung GmbH), K. Huyser (NIKHEF);
Hintergrund: ESA/Hubble, Sloan Digital Sky Survey [Großansicht] |
Neutronensterne entstehen in Supernova-Explosionen am Ende des Lebens
massereicher Sterne. Manchmal befinden sich Neutronensterne in Doppelsystemen
und kollidieren schließlich miteinander. Diese hochenergetischen,
astrophysikalischen Phänomene weisen so extreme Bedingungen auf, dass sie die
meisten schweren Elemente – wie beispielsweise Silber und Gold – hervorbringen.
Daher stellen Neutronensterne und ihre Kollisionen ein einzigartiges Labor dar,
um die Eigenschaften von Materie bei Dichten weit über der von Atomkernen zu
untersuchen.
Teilchenbeschleuniger-Experimente mit Schwerionen-Kollisionen sind eine
andere Möglichkeit, Materie bei hohen Dichten und unter extremen Bedingungen zu
erzeugen und zu untersuchen "Die Kombination von Erkenntnissen aus der
theoretischen und experimentellen Kernphysik und astrophysikalischen
Beobachtungen ist unerlässlich, um die Eigenschaften neutronenreicher Materie
über den gesamten Dichtebereich, der in Neutronensternen vorkommt, zu
verstehen", sagt Sabrina Huth von der Technischen Universität Darmstadt. "Wir
stellen fest, dass die Teilchenbeschleuniger-Daten von Goldionen-Kollisionen
eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit astrophysikalischen Beobachtungen
aufweisen, obwohl sie mit völlig anderen Methoden gewonnen wurden", ergänzt
Peter T. H. Pang vom Institut für Gravitations- und subatomare Physik (GRASP)
der Universität Utrecht.
"In den letzten Jahren haben wir genaue Modelle entwickelt, die es uns
ermöglichen, die Eigenschaften der Neutronensterne aus den beobachteten
Gravitationswellendaten zu extrahieren. Dies ist ein Schlüsselaspekt für eine
zuverlässige Interpretation der Multi-Messenger-Ergebnisse", erklärt Tim
Dietrich, Professor an der Universität Potsdam und Leiter einer
Max-Planck-Fellow-Gruppe am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut). Die jüngsten Fortschritte in der
Multi-Messenger-Astronomie haben es dem internationalen Forschungsteam, an dem
Forschende aus Deutschland, den Niederlanden, den USA und Schweden beteiligt
sind, ermöglicht, ein neues Feld zu erschließen, um das fundamentale Verständnis
von Kernkräften zu verbessern und zu vervollständigen.
In einer interdisziplinären Studie haben die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler Informationen aus Schwerionenkollisionen mit astronomischen
Beobachtungen elektromagnetischer Signale, Messungen von Gravitationswellen,
hochleistungsfähigen astrophysikalischen Kalkulationen und theoretischen
kernphysikalischen Berechnungen kombiniert. In ihrer systematischen Untersuchung
werden zum ersten Mal alle diese einzelnen Disziplinen gemeinsam betrachtet. Die
Autorinnen und Autoren haben die Informationen aus
Goldionen-Kollisionsexperimenten, die an der GSI in Darmstadt sowie am
Brookhaven National Laboratory und am Lawrence Berkeley National
Laboratory in den USA durchgeführt wurden, in ihr mehrstufiges Verfahren
einfließen lassen, das Messdaten aus der theoretischen Kernphysik und
astrophysikalischen Beobachtungen analysiert.
Dazu gehören Messungen der Masse von Neutronensternen durch
Radiobeobachtungen, Informationen über schnell rotierende Neutronensterne, die
im Rahmen der Mission Neutron Star Interior Composition Explorer
(NICER) auf der Internationalen Raumstation ISS gewonnen wurden, sowie
Multi-Messenger-Beobachtungen von Verschmelzungen zweier Neutronensterne. Die
Methode lässt sich leicht an neue Informationen aus Laborexperimenten,
astronomischen Beobachtungen oder der Theorie anpassen, um so das Verständnis
von dichter Materie in den kommenden Jahren weiter zu verbessern. Neue
Gravitationswellenbeobachtungen werden ab Ende 2022 mit dem nächsten
Beobachtungslauf des internationalen Detektornetzwerks möglich sein.
"Wir leben in aufregenden Zeiten, in denen es möglich wird, Berechnungen und
Experimente der Kernphysik direkt mit astrophysikalischen Modellen und
Beobachtungen zu vergleichen. Ende diesen Jahres werden die
Gravitationswellen-Detektoren ihre nächsten Beobachtungsläufe starten, und wir
können auf einige weitere Multi-Messenger-Beobachtungen verschmelzender
Neutronensternen hoffen. Diese Daten werden uns den Weg zu einem besseren
Verständnis der extrem dichten Materie ebnen und es uns ermöglichen,
interdisziplinäre Studien mit noch nie dagewesener Genauigkeit durchzuführen",
blickt Dietrich voraus.
Die Studie des Teams ist jetzt in der
Zeitschrift Nature erschienen ist.
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