Elemententstehung um Neutronensterne
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung
GmbH astronews.com
16. November 2021
Die schwersten Elemente im Universum entstehen bei extremen
Prozessen, wie etwa der Kollision von Neutronensternen oder in
Supernova-Explosionen. Wie genau dabei aber Elemente wie Gold oder Uran
entstehen, ist noch nicht verstanden. Neue Simulationen zeigen nun, dass
Akkretionsscheiben um kollidierende Neutronensterne eine wichtige Rolle spielen
könnten.
Künstlerische Darstellung einer heißen und
dichten Akkretionsscheibe um ein Schwarzes Loch,
die eine reichhaltige Produktionsstätte an
schweren Elementen sein kann.
Bild: National Radio Astronomy
Observatory [Großansicht] |
Wie werden chemische Elemente in unserem Universum produziert? Woher kommen
insbesondere schwere Elemente wie Gold oder Uran? Mithilfe von
Computersimulationen zeigte ein Forschungsteam des GSI Helmholtzzentrums für
Schwerionenforschung in Darmstadt nun gemeinsam mit Kollegen aus Belgien und
Japan, dass die Synthese von schweren Elementen typisch ist für bestimmte
sogenannte Akkretionsscheiben – das sind scheibenförmige Materieansammlungen,
die Schwarze Löcher umkreisen. Die vorhergesagte Häufigkeitsverteilung der
gebildeten Elemente gibt Aufschluss darüber, welche schweren Elemente in
zukünftigen Labors wie der im Bau befindlichen Facility for Antiproton and
Ion Research (FAIR) untersucht werden müssen, um den Ursprung der schweren
Elemente zu enträtseln.
Alle heute auf der Erde existierenden schweren Elemente wurden unter extremen
Bedingungen in astrophysikalischen Umgebungen gebildet: im Inneren von Sternen,
in Sternexplosionen, sowie während der Kollision von Neutronensternen.
Forschende beschäftigt die Frage, in welchem dieser astrophysikalischen
Ereignisse die geeigneten Bedingungen zur Bildung der schwersten Elemente wie
Gold oder Uran vorhanden sind.
Die spektakuläre erste Beobachtung von Gravitationswellen und
elektromagnetischer Strahlung einer Neutronensternverschmelzung im Jahr 2017
deutete darauf hin, dass viele schwere Elemente in diesen kosmischen Kollisionen
erzeugt und freigesetzt werden können. Offen bleibt jedoch die Frage, wann und
warum das Material herausgeschleudert wird und ob es womöglich noch andere
Ereignisse gibt, in denen schwere Elemente produziert werden können.
Aussichtsreiche Kandidaten für die Produktion von schweren Elementen sind
Schwarze Löcher, die von einer Akkretionsscheibe aus dichter und heißer Materie
umkreist werden. Ein solches System entsteht sowohl nach der Verschmelzung
zweier massiver Neutronensterne als auch während eines sogenannten Kollapsars,
dem Kollaps und der anschließenden Explosion eines rotierenden Sternes. Die
interne Zusammensetzung solcher Akkretionsscheiben war bisher weitestgehend
unverstanden, insbesondere was die Bedingungen angeht, unter denen sich ein
Überschuss an Neutronen bildet. Eine hohe Anzahl an Neutronen ist eine
Grundvoraussetzung für die Synthese schwerer Elemente, da sie den schnellen
Neutroneneinfang (rapid neutron-capture process bzw. r-Prozess) ermöglicht.
Eine Schlüsselrolle spielen dabei die nahezu masselosen Neutrinos, da sie
eine Umwandlung zwischen Protonen und Neutronen ermöglichen: "Wir haben in
unserer Studie erstmals mittels aufwändiger Computersimulationen systematisch
die Umwandlungsraten von Neutronen und Protonen für eine große Zahl an
Scheibenkonfigurationen untersucht und dabei gefunden, dass die Scheiben sehr
reich an Neutronen sind, solange bestimmte Bedingungen erfüllt sind", erklärt
Dr. Oliver Just aus der Gruppe "Relativistische Astrophysik" der
GSI-Forschungsabteilung "Theorie".
"Maßgeblich ist die Gesamtmasse der Scheibe. Je massereicher die Scheibe,
desto öfter werden Neutronen aus Protonen durch Einfang von Elektronen und unter
Abstrahlung von Neutrinos gebildet und stehen somit zur Synthese schwerer
Elemente mittels r-Prozess zur Verfügung. Bei zu hohen Scheibenmassen spielt die
entgegengesetzte Reaktion eine erhöhte Rolle, das heißt, es werden wieder mehr
Neutrinos von Neutronen eingefangen, bevor sie die Scheibe verlassen. Diese
Neutronen wandeln sich zurück in Protonen um, was den r-Prozess behindert," so
Just weiter.
Wie die Studie zeigt, liegt die optimale Scheibenmasse für eine ergiebige
Produktion an schweren Elementen bei etwa 0,01 bis 0,1 Sonnenmassen. Das
Ergebnis liefert ein starkes Indiz, dass Neutronensternverschmelzungen, die
Akkretionsscheiben mit genau diesen Massen erzeugen, der Ursprungsort eines
großen Anteils der schweren Elemente sein könnten. Ob und wie häufig
entsprechende Akkretionsscheiben in Kollapsar-Systemen vorkommen, ist allerdings
derzeit noch unklar.
Neben den möglichen Prozessen des Massenauswurfs werden in der
Forschungsgruppe rund um Privatdozent Dr. Andreas Bauswein auch die von der
ausgestoßenen Materie erzeugten Lichtsignale erforscht, mithilfe derer man in
zukünftigen Beobachtungen kollidierender Neutronensterne auf die Masse und
Zusammensetzung der ausgestoßenen Materie rückschließen möchte. Ein wichtiger
Baustein für das korrekte Auslesen dieser Lichtsignale ist die genaue Kenntnis
der Massen und anderer Eigenschaften der neu gebildeten Elemente.
"Diese Daten sind derzeit nur unzureichend vorhanden. Aber mit der nächsten
Generation von Beschleunigern, beispielsweise mit FAIR, werden sie in Zukunft
mit bisher unerreichter Genauigkeit gemessen werden können. Das gut koordinierte
Zusammenspiel von theoretischen Modellen, Experimenten und astronomischen
Beobachtungen wird uns Forschenden in den nächsten Jahren ermöglichen,
Neutronensternverschmelzungen als Ursprung der r-Prozess-Elemente zu testen",
prognostiziert Bauswein.
Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Monthly
Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlicht.
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