Cadmiumisotope in der Falle
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Greifswald astronews.com
14. Dezember 2015
Einem Wissenschaftlerteam ist es erstmals gelungen, die
Bindungsenergien der Atomkerne von drei exotischen Cadmiumisotopen
massenspektrometrisch zu bestimmen. Die Resultate sind von großer Bedeutung für
Simulationsrechnungen zum Verständnis der Herkunft der chemischen Elemente im
Bereich von Zinn bis Barium, die im Sonnensystem vergleichsweise häufig
auftreten.

Die Doktoranden Dinko Atanasov
(Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg,
rechts) und Frank Wienholtz (Uni Greifswald) auf
der obersten Plattform der dreistöckigen
ISOLTRAP-Apparatur in der
ISOLDE-Experimentierhalle am CERN.
Foto: Universität Greifswald /
Maxime Mougeot [Großansicht] |
Wir sind Sternenstaub - nur Wasserstoff und Helium waren schon kurz nach dem
Urknall vorhanden; alle anderen Elemente entstanden und entstehen noch immer in
den Sternen. Bis etwa zum Eisen können die Atomkerne im Innern der Sterne
heranwachsen. Darüber wird es komplizierter, da beim Aufbau schwererer Kerne
nicht etwa Energie freigesetzt, sondern in die Ausgangskerne hineingesteckt
werden muss.
Explosive, das heißt sehr energiereiche Sternprozesse, wie zum Beispiel
Supernovae oder das Zusammentreffen von Neutronensternen und Schwarzen Löchern,
können die benötigten Energien zur Verfügung stellen. Dabei werden Neutronen an
den Ausgangskernen angelagert. Der so erzeugte Neutronenüberschuss führt im
Allgemeinen zum Betazerfall, das heißt eine Kernumwandlung mit Erhöhung der
chemischen Ordnungszahl bei gleichzeitiger Aussendung eines Elektrons.
Wo und wie diese Prozesse stattfinden, ist allerdings noch unklar und Gegenstand
aktueller Forschung der nuklearen Astrophysik. In diesem Zusammenhang sind
experimentelle Daten über die involvierten, zum Teil extrem kurzlebigen Kerne
von großem Interesse.
Nun ist es Forschern der ISOLTRAP-Kollaboration mit
Mitgliedern des CERN, des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg, des Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung in Darmstadt sowie von Universitäten
in Dresden, Greifswald, Istanbul, Manchester und Paris-Sud gelungen, wichtige
experimentelle Bausteine für die Simulationen möglicher Szenarien der
Nukleosynthese beizusteuern. Diese Eingangsdaten wurden daraufhin von
Theoretikern des Instituts für Astronomie und Astrophysik der Freien Universität
Brüssel und des Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching für solche
Simulationen der Kernreaktionen aufgegriffen.
Ähnlich wie die Elektronen in der Atomhülle befinden sich auch die Protonen und
Neutronen, aus denen der Atomkern besteht, auf bestimmten energetischen Schalen.
Immer dann, wenn eine solche Schale gerade vollständig aufgefüllt ist, ist der
Atomkern besonders stabil. In diesem Zusammenhang spricht man von magischen
Protonen oder Neutronenzahlen. Eine solche magischen Neutronenzahl ist auch
N=82. Da Cadmiumkerne per Definition Z=48 Protonen haben, findet man für dieses
Element also bei der Massenzahl A=Z+N=130 eine besondere Konfiguration der
Neutronen.
Aufgrund der erhöhten Stabilität der Kerne mit magischen Zahlen werden gerade
sie in den explosionsartigen Sternphasen besonders oft gebildet, sodass ihr
Vorkommen trotz der ständigen Umwandlungsprozesse erhöht ist. Man nennt sie
aufgrund ihres erhöhten Vorkommens auch Wartepunkt-Kerne. Später, das heißt nach
dem Abklingen der Stern-explosion, wandeln sich die Wartepunkt-Kerne über
Betazerfälle in den oben genannten Bereich des periodischen Systems der Elemente
um – mit dem gehäuften Auftreten bei Massenzahlen um A=130.
Bisher kannte man lediglich die Kernmasse von 130Cd, wobei diese
jedoch auch nur indirekt aus Kernreaktionswerten abgeleitet war. Die Massen der
Nachbarisotope 129Cd und 131Cd waren noch gar nicht
gemessen. Der ISOLTRAP-Kollaboration gelang dies nun mit Hilfe des an der
Universität Greifswald gebauten Multireflexions-Flugzeitmassenspektrometers. Es
wurde dafür in zwei unterschiedlichen Anwendungsmodi betrieben, die schon vor
kurzem bei anderen Experimenten erfolgreich eingesetzt werden konnten.
Für die Isotope 129Cd und 130Cd, die nicht nur länger
leben, sondern auch mit Raten von über tausend Teilchen pro Sekunde hergestellt
werden konnten, wurde das Flugzeitmassenspektrometer zur Selektion der
Cadmiumisotope aus dem Gemisch der häufiger erzeugten Isobaren eingesetzt.
Darunter versteht man Atomkerne mit fast gleicher Masse. Sie haben die gleiche
Gesamtnukleonenzahl A=Z+N, unterscheiden sich aber im jeweiligen Anteil der Z
Protonen und N Neutronen.
Das Multireflexions-Flugzeitmassenspektrometers von ISOLTRAP konnte die
gewünschten 129Cd- und 130Cd-Kerne aus dem Isobarengemisch
herausfischen und damit für die Massenspektrometrie in einer Penningionenfalle
vorbereiten. Beim Isotop 131Cd war die Produktionsrate allerdings
etwa eine Größenordnung kleiner und reichte daher in der gegebenen
Experimentierzeit für die Penningfallen-Untersuchung nicht aus.
Hier kam das Multireflexions-Flugzeitmassenspektrometer selbst bei der
Massenbestimmung zum Zuge. Es ist zwar mit "nur" etwas besser als ein
Millionstel an Unsicherheit nicht ganz so genau wie die Penningfalle, dafür kann
die Messung aber schneller und mit weniger Teilchen durchgeführt werden. Nur so
konnte die magische Neutronenzahl dann auch überschritten werden.
Dies ist insofern von großer Bedeutung, da erst damit der energetische Abstand
zwischen der gefüllten und der darauf folgenden Neutronenschale bestimmt werden
konnte, in der ja nun ein erstes Neutron eingelagert wurde. Mit anderen Worten,
man kennt nun also die Energie, die notwendig ist, um das zusätzliche Neutron
vom 131Cd zu entfernen und so wieder zu dem stabileren 130Cd
zu gelangen.
Wie erwartet zeigte sich, dass der energetische Schalenabstand beim Cadmium
kleiner ausfällt als beim schon bekannten Zinn. Dieses Element hat nämlich
zusätzlich auch eine magische Protonenzahl (Z=50), während beim Cadmium (Z=48)
die Protonenschale noch nicht abgeschlossen ist. Der erhöhte
Neutronenschalen-Energieabstand beim Zinn ist eine Folge davon, dass sich die N-
bzw. Z-Schaleneffekte gegenseitig verstärken – wie von der
ISOLTRAP-Kollaboration erst kürzlich auch beim Element Calcium bei einer
kleineren magischen Neutronenzahl beobachtet.
Über die Messergebnisse und begleitende Berechnungen berichtete das Team zu
Monatsbeginn im Fachmagazin Physical Review Letters.
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