Auf der Spur des Gravitationswellen-Hintergrunds
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut) astronews.com
27. Oktober 2021
Seit Jahren fahnden Forschende nach einem
Gravitationswellen-Hintergrund bei sehr niedrigen Frequenzen, der durch sich
umkreisende massereiche Schwarze Löcher entstehen sollte. Durch die Verwendung
von gleichmäßig rotierenden Pulsaren als Detektoren für Gravitationswellen ist
ein Team nun auf ein Signal gestoßen, bei dem es sich um das gesuchte Rauschen
handeln könnte.

Künstlerische Darstellung des
EPTA-Experiments: Ein Netzwerk europäischer
Radioteleskope beobachtet eine Reihe über den
Himmel verteilter Pulsare. Anhand der gemessenen
Schwankungen der Ankunftszeit der ausgesandten
Impulse auf der Erde können winzige Veränderungen
in der Raumzeit untersucht werden. Diese
Veränderungen sind Gravitationswellen, die sich
im Universum ausbreiten. Sie stammen aus einer
fernen Vergangenheit, als Galaxien verschmolzen,
und sie entstanden, als die extrem massereichen
Schwarzen Löcher in ihrem Zentrum einander mit
einer Periode von einigen Jahren umkreisten.
Bild: M. Kramer (Max-Planck-Institut für
Radioastronomie) [Großansicht] |
Das European Pulsar Timing Array (EPTA) ist eine wissenschaftliche
Kollaboration, die Teams von Astronominnen und Astronomen an den größten
europäischen Radioteleskopen sowie Forschungsgruppen, die auf die Datenanalyse
und Modellierung von Gravitationswellensignalen spezialisiert sind,
zusammenbringt. EPTA hat jetzt die detaillierte Analyse eines möglichen Signals
von dem seit Langem gesuchten Gravitationswellen-Hintergrund veröffentlicht.
Dieser Hintergrund ist auf Doppelsysteme einander umkreisender extrem
massereicher Schwarzer Löcher zurückzuführen.
Obwohl ein eindeutiger Nachweis damit noch nicht gelungen ist, ist die jetzt
vorgestellte Studie ein weiterer wichtiger Schritt in dem Unterfangen, endlich
Gravitationswellen bei sehr niedrigen Frequenzen in der Größenordnung von einem
Milliardstel Hertz aufzuspüren. Der Signalkandidat ist das Ergebnis einer
beispiellos detaillierten Analyse, bei der zwei unabhängige Methoden angewandt
wurden. Darüber hinaus ähnelt das Signal denen, die bei den Analysen anderer
Teams gefunden wurden.
Die Ergebnisse wurden durch Daten ermöglicht, die über 24 Jahre hinweg mit
fünf großen europäischen Radioteleskopen gesammelt wurden. Dazu gehören das
100-Meter-Radioteleskop des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie bei
Effelsberg in Deutschland, das 76-Meter-Lovell-Teleskop in Cheshire in
Großbritannien, das 94-Meter-Radioteleskop für Dezimeterwellen in Nançay in
Frankreich, das 64-Meter-Radioteleskop in Italien auf Sardinien bei Pranu
Sanguni und die 16 Antennen des Westerbork Synthese Radio Telescoop in den
Niederlanden. Im Beobachtungsmodus des Large European Array for Pulsars
(LEAP) sind die EPTA-Teleskope miteinander verbunden und bilden zusammen eine
vollständig steuerbares virtuelles Teleskop mit 200 Meter Öffnung, das die
Empfindlichkeit des EPTA für Gravitationswellen erheblich verbessert.
Die von den Magnetpolen der Pulsare ausgehenden Strahlenkegel kreisen um die
Rotationsachsen der Neutronensterne. Wenn sie unsere Sichtlinie passieren,
beobachten wir sie als Pulse – wie das Licht eines fernen Leuchtturms.
Pulsar Timing Arrays (PTAs) sind Netzwerke von sehr gleichmäßig rotierenden
Pulsaren, die als Gravitationswellen-Detektoren im galaktischen Maßstab genutzt
werden. Sie sind besonders empfindlich für sehr niederfrequente
Gravitationswellen im Milliardstel-Hertz-Bereich. Dies wird das
Gravitationswellen-Beobachtungsfenster von den hohen Frequenzen (Hunderte von
Hertz) erweitern, die die bodengestützten Detektoren LIGO, Virgo und KAGRA
derzeit beobachten.
Während diese Detektoren kurzzeitige Kollisionen von stellaren Schwarzen
Löchern und Neutronensternen untersuchen, können Pulsar Timing Arrays
Gravitationswellen untersuchen, wie sie von Systemen sich langsam umkreisender
extrem massereicher Schwarzer Löcher in den Zentren von Galaxien abgestrahlt
werden. Die Summe der Gravitationswellen, die von einer kosmischen Population
dieser Doppelsysteme abgegeben werden, bildet einen
Gravitationswellen-Hintergrund.
"Bei der Analyse der Pulsankunftszeiten von Pulsaren suchen wir nach einem
gemeinsamen roten Rauschen in den Daten aller Pulsare, das durch einen
Gravitationswellen-Hintergrund verursacht wird", erklärt Dr. Jonathan Gair,
Gruppenleiter in der Abteilung "Astrophysikalische und Kosmologische
Relativitätstheorie" am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
(Albert-Einstein-Institut/AEI) in Potsdam. "Die Tatsache, dass wir ein solches
rotes Rauschen sehen, ist sehr spannend, aber wir können noch nicht sicher
sagen, dass es durch Gravitationswellen verursacht wird. Die astrophysikalischen
Konsequenzen der Entdeckung eines Gravitationswellen-Hintergrunds aus einer
Population extrem massereicher Schwarzer Löcher wären tiefgreifend. Die
Amplitude und die Eigenschaften dieses Hintergrunds werden durch den Prozess
beeinflusst, durch den sich Galaxien vereinen und massereiche Doppelsternsysteme
entstehen und verschmelzen."
Die Amplitude dieses Rauschens ist jedoch unglaublich klein (schätzungsweise
zehn bis einige hundert Milliardstel Sekunden), und im Prinzip könnten viele
andere Effekte dieses Rauschen auf jeden einzelnen Pulsar im Pulsar Timing
Array übertragen. Zur Validierung der Ergebnisse wurden mehrere unabhängige
Codes mit unterschiedlichen statistischen Rahmenbedingungen verwendet, um
alternative Rauschquellen auszuschließen und nach dem
Gravitationswellen-Hintergrund zu suchen. Wichtig ist, dass zwei unabhängige
Ende-zu-Ende-Verfahren in der Analyse verwendet wurden, um eine gegenseitige
Übereinstimmung zu gewährleisten.
Zusätzlich wurden drei unabhängige Methoden verwendet, um mögliche
systematische Fehler in den Planetenparametern des Sonnensystems zu erkennen.
Diese Parameter werden in den Modellen zur Vorhersage der Pulsankunftszeiten
verwendet; Fehler in ihnen sind ein Hauptkandidat für falsch-positive
Gravitationswellen-Signale. Die EPTA-Analyse mit beiden Verfahren ergab einen
klaren Signalkandidaten für einen Gravitationswellen-Hintergrund. Seine
spektralen Eigenschaften (d. h. wie die Amplitude des beobachteten Rauschens von
seiner Frequenz abhängt) bleiben innerhalb der theoretischen Erwartungen für das
bei einem Gravitationswellen-Hintergrund erwartete Rauschen.
"Das EPTA hat bereits im 2015 veröffentlichten Datensatz erstmals Hinweise
auf dieses Signal gefunden, aber da die Ergebnisse mit größeren statistischen
Unsicherheiten behaftet waren, wurden sie nur streng als Obergrenzen
diskutiert", so Dr. Nicolas Caballero, Forscher am Kavli-Institut für
Astronomie und Astrophysik in Peking und einer der Hauptautoren der Studie.
"Unsere neuen Daten bestätigen nun eindeutig das Vorhandensein dieses Signals
und machen es zu einem Kandidaten für einen Gravitationswellen-Hintergrund."
Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagt eine ganz bestimmte Beziehung
zwischen den Verzerrungen der Raumzeit voraus, welcher die Radiosignale von
Pulsaren, die sich in verschiedenen Himmelsrichtungen befinden, gehorchen. Die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nennen dies die räumliche Korrelation
des Signals oder Hellings- und Downs-Kurve. Ihr Nachweis kann das beobachtete
Rauschen als eindeutig von einem Gravitationswellen-Hintergrund verursacht
identifizieren.
"Im Moment erlauben es uns die statistischen Unsicherheiten in unseren
Messungen noch nicht, die für das Gravitationswellensignal erwartete räumliche
Korrelation zu erkennen", erläutert Dr. Siyuan Chen, Forscher am Laboratoire
de Physique et de Chimie de l'Environnement et de l'Espace des CNRS in
Orleans und ebenfalls Hauptautor der Studie. "Für eine weitere Bestätigung
müssen wir mehr Pulsardaten in die Analyse einbeziehen – aber die derzeitigen
Ergebnisse sind schon sehr ermutigend."
EPTA ist ein Gründungsmitglied des International Pulsar Timing Array
(IPTA). Da die Analysen unabhängiger Daten, die von den anderen IPTA-Partnern
(d. h. den NANOGrav- und PPTA-Experimenten) durchgeführt wurden, ebenfalls auf
ähnliche gemeinsame Signale hinwiesen, ist es von entscheidender Bedeutung,
mehrere Analysealgorithmen anzuwenden, um das Vertrauen in eine mögliche
zukünftige Entdeckung eines Gravitationswellen-Hintergrunds zu erhöhen.
Die IPTA-Mitglieder kooperieren und vergleichen ihre Daten und Analysen, um
sich besser auf die nächsten Schritte vorzubereiten. "Da das gesuchte Signal vom
Zufall abhängig ist, kann man es leicht mit anderen Zufallsprozessen
verwechseln, die in den Pulsaren oder in den Instrumenten, mit denen sie
beobachtet werden, auftreten", sagt Lorenzo Speri, Doktorand in der Abteilung
"Astrophysikalische und Kosmologische Relativitätstheorie" und Mitautor der
Studie. "Um das gemeinsame rote Rauschen – unser Signal – von den
unterschiedlichen Störgeräuschen zu trennen, ist eine gründliche statistische
Analyse erforderlich."
"Die statistischen Verfahren wurden in den letzten zehn Jahren sorgfältig
entwickelt, und es ist erfreulich, dass sie nun endlich vielversprechende
wissenschaftliche Ergebnisse liefern", freut sich Gair. Ihre Ergebnisse stellt das Team in einem Fachartikel vor, der in der
Zeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society erschienen ist.
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