Röntgenpulse helfen bei Erforschung des Inneren von Planeten
Redaktion
/ Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf astronews.com
7. Oktober 2021
In den Zentren von Planeten herrschen extreme
Temperaturen und ein Druck, der millionenfach größer als der Atmosphärendruck
ist. Um solche Bedingungen zu erforschen, versucht man entsprechende
Extremverhältnisse mit aufwendigen Experimenten nachzustellen. Ein etabliertes
Messverfahren wurde dazu nun erfolgreich an diese Extrembedingungen angepasst.
Hochauflösende Spektroskopie wird
einzigartige Einblicke in die Chemie des tiefen
Inneren von Planeten ermöglichen.
Bild: HZDR / U. Lehmann [Großansicht] |
Die Hitze ist unvorstellbar, der Druck ist enorm: Die Bedingungen im Inneren
von Jupiter oder Saturn sorgen dafür, dass die Materie dort in einem
ungewöhnlichen Zustand vorliegt: Sie ist dicht wie ein Metall, zugleich aber
elektrisch geladen wie bei einem Plasma. "Wir bezeichnen diesen Zustand als
warme dichte Materie", erläutert Dominik Kraus, Physiker am Helmholtz-Zentrums
Dresden-Rossendorf (HZDR) sowie Professor an der Universität Rostock. "Es ist
ein Übergangszustand zwischen Festkörper und Plasma, der im Inneren von Planeten
vorkommt, kurzzeitig aber auch auf der Erde auftreten kann, etwa bei
Meteoriteneinschlägen."
Detailliert untersuchen lässt sich dieser Materiezustand im Labor nur mit
einigem Aufwand, zum Beispiel indem starke Laserblitze auf eine Materialprobe
feuern und sie für einen Wimpernschlag erhitzen und komprimieren. Doch wie sehen
die chemischen Eigenschaften dieser warmen dichten Materie aus? Diese Frage
lässt sich mit den bisherigen Verfahren nur unzulänglich beantworten.
Also ließ sich ein Team aus sechs Ländern etwas Neues einfallen: Basis ist
der stärkste Röntgenlaser der Welt, der European XFEL in Hamburg. In einem
kilometerlangen Beschleuniger werden hier extrem kurze und intensive
Röntgenpulse erzeugt. "Die Pulse haben wir auf dünne Folien aus Kohlenstoff
gelenkt", beschreibt Katja Voigt vom HZDR-Institut für Strahlenphysik. "Sie
bestanden aus Graphit oder Diamant." In den Folien wird ein kleiner Teil der
Röntgenblitze an Elektronen und deren unmittelbarer Umgebung gestreut. Das
Entscheidende: Diese gestreuten Blitze können verraten, welche Art von
chemischer Bindung die Kohlenstoffatome mit ihrer Umgebung eingegangen sind.
Zwar kommt dieses als Röntgen-Raman-Streuung bezeichnete Verfahren in der
Forschung schon länger zum Einsatz, etwa in den Materialwissenschaften. Doch das
Team um Voigt und Kraus schaffte es nun erstmals, es für Versuche zur
Erforschung von warmer dichter Materie nutzbar zu machen. "Manche Fachleute
hatten bezweifelt, dass das funktionieren kann", erzählt Kraus. Insbesondere
mussten die Detektoren, die die von den Kohlenstofffolien ausgehenden
Röntgensignale aufschnappen, hocheffizient und zugleich hochauflösend sein –
eine große technische Herausforderung.
Doch die Analyse der Messdaten ließ deutlich erkennen, welche
Bindungszustände der Kohlenstoff eingegangen war. "Dass das so gut geklappt hat,
hat uns schon ein bisschen überrascht", freut sich Voigt. Eines aber fehlt noch,
um warme dichte Materie mit dem Verfahren zu untersuchen – starke Laserblitze,
die die Kohlenstofffolien auf hohe Drücke und Temperaturen von bis zu mehreren
100.000 Grad bringen.
Dafür kommt die Helmholtz International Beamline for Extreme Fields
(HIBEF) ins Spiel, welche unter Federführung des HZDR am European XFEL
eingeweiht wurde und als eine der modernsten Forschungsanlagen weltweit gilt.
Hier sind mittlerweile leistungsstarke Laser installiert, sodass erste
Röntgen-Raman-Experimente in einigen Monaten stattfinden könnten. "Ich bin sehr
optimistisch, dass das funktionieren wird", meint Kraus.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das neue Verfahren bringen könnte,
sind vielfältig: Unter anderem ist unklar, wie viele leichte Elemente wie
Kohlenstoff oder Silizium im Erdkern stecken. Laborexperimente könnten hier
wichtige Hinweise liefern. "Die neue Methode ist nicht nur auf Kohlenstoff
anwendbar, sondern auch für andere leichte Elemente", erläutert Voigt. Eine
weitere Fragestellung: Im Inneren sogenannter Gasriesen wie Jupiter oder
Eisriesen wie Neptun dürften komplexe chemische Reaktionen ablaufen – ebenso wie
in fernen Exoplaneten von ähnlicher Statur. Per Röntgen-Raman-Verfahren sollten
sich diese Prozesse im Labor nachvollziehen lassen.
"Vielleicht lässt sich damit ja das Rätsel lösen, welche Reaktionen dafür
verantwortlich sind, dass Planeten wie Neptun und Saturn mehr Energie abstrahlen
als sie eigentlich sollten", hofft Kraus. Mit der neuen Technik sollten sich
aber auch Kometeneinschläge im Mini-Maßstab simulieren lassen: Falls Kometen
einst organisches Material auf die Erde brachten – könnte es beim Einschlag zu
chemischen Reaktionen gekommen sein, die die Entstehung des Lebens begünstigten?
Und sogar für technische Anwendungen birgt das Verfahren Potential: Im
Prinzip scheint es möglich, dass sich unter Extrembedingungen neuartige
Werkstoffe bilden, die faszinierende Eigenschaften zeigen. Ein Beispiel wäre ein
Supraleiter, der bei Raumtemperatur funktioniert und anders als bisherige
Materialien nicht aufwändig gekühlt werden muss. Für die Technik wäre ein
solcher Raumtemperatur-Supraleiter hochinteressant: Er könnte Strom völlig
verlustfrei leiten, ohne dass man ihn mit Flüssigstickstoff oder Flüssighelium
kühlen muss.
Über das Verfahren berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Physics of Plasmas erschienen ist.
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