Filamente des kosmischen Netzwerks
Redaktion
/ Pressemitteilung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam astronews.com
22. März 2021
Einem internationalen Team von Astronominnen und Astronomen
gelang zum ersten Mal die direkte Kartierung kosmischer Filamente im jungen
Universum, weniger als zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall. Die Beobachtungen
zeigen sehr leuchtschwache Galaxien und geben Hinweise auf deren Vorfahren. Nur
Gas fanden sie weniger als erwartet.
Eines der mit MUSE entdeckten kosmischen
Wasserstoff-Filamente im Hubble Ultra Deep Field,
11,5 Milliarden Lichtjahre entfernt und
ausgedehnt über eine Strecke von mehr als 15
Millionen Lichtjahren. Das Hintergrundbild ist
eine Farbaufnahme des Gebiets mit dem
Hubble-Weltraumteleskop.
Bild: Roland Bacon, ESO und NASA [Großansicht] |
Die großräumige Verteilung der Materie im Universum bildet eine Art
Netzwerk von fadenförmigen Strukturen und Knotenpunkten, innerhalb derer die
Galaxien entstehen – dies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der Modelle zur
kosmischen Strukturbildung. Auch das Gas zwischen den Galaxien sollte sich
entlang dieses Netzwerks ausrichten, was jedoch extrem schwierig zu beobachten
ist.
Vor vierzig Jahren sagten wissenschaftliche Erkenntnisse voraus, dass das
Wasserstoffgas des kosmischen Netzwerks ganz schwach aus sich heraus leuchten
sollte. Das erwartete Signal ist so lichtschwach, dass es erst seit Kurzem
beobachtet werden kann – den entscheidenden Durchbruch lieferte das neue
Instrument "Multi Unit Spectroscopic Explorer" (MUSE) am Very Large Telescope
der europäischen Südsternwarte ESO in Chile.
Bruchstücke des kosmischen Netzes waren damit bisher nur in der Nähe von
hellen Quasaren zu sehen, deren intensive Strahlung das Lichtsignal des Gases
erheblich verstärkt. Allerdings liegen helle Quasare in sehr dichten und
seltenen Regionen, den Knotenpunkten des kosmischen Netzes, die überhaupt nicht
repräsentativ für die Umgebung normaler Galaxien sind. Leuchtendes Gas aus den
eigentlichen kosmischen Filamenten konnte bisher nicht beobachtet werden.
Ein internationales Team unter der Leitung von Roland Bacon (CNRS, CRAL), dem
auch mehrere Forscherinnen und Forscher des Leibniz-Instituts für Astrophysik
Potsdam (AIP) angehören, hat nun auch diese Hürde gemeistert. Sie nutzten MUSE
mit zusätzlicher Bildverbesserung durch die sogenannte "Adaptive Optik" für eine
140-stündige Belichtung konzentriert auf einen einzigen Fleck des bekannten
Hubble Ultra Deep Field. Dr. Peter Weilbacher, Mitglied des Teams und
verantwortlich für die MUSE-Datenreduktionssoftware, beschreibt dies als "die
tiefste spektrale Beobachtung, die jemals durchgeführt wurde, unter Verwendung
des fortschrittlichsten spektroskopischen Instruments der Welt".
Allein in diesem kleinen Feld wurden über 2000 Galaxien gefunden, von denen
die allermeisten vorher aus klassischen Galaxiendurchmusterungen nicht bekannt
waren. Vierzig Prozent der neu entdeckten Galaxien sind so lichtschwach, dass
sie sogar auf den Bildern des Hubble-Weltraumteleskops völlig
unsichtbar sind – und das, obwohl Hubble dieses Feld so tief untersucht hat wie
keine andere Region am Himmel.
Die MUSE-Beobachtungen ermöglichten es dem Team, daraus die ersten Karten von
kosmischen Netzfilamenten im jungen Universum – weniger als zwei Milliarden
Jahre nach dem Urknall – zu erstellen. Allerdings fanden sie nicht, was sie
erwartet hatten. Ein großer Teil des scheinbar diffusen Lichts der Filamente –
vielleicht sogar das meiste – stammt von einem "Ozean" aus ultraschwachen
Galaxien, die einzeln nicht zu sehen sind, aber zusammen ein ausgedehntes,
diffus wirkendes Leuchten erzeugen.
"Das hat uns wirklich überrascht", betont Prof. Dr. Lutz Wisotzki, Leiter der
Abteilung Galaxien und Quasare am AIP, der an der Interpretation der Ergebnisse
beteiligt war. "Es sieht so aus, als ob es viel weniger Gas gibt, das den fast
leeren Raum zwischen den Galaxien ausfüllt, als wir erwartet hatten." Dr. Tanya
Urrutia, ebenfalls vom AIP, fügt hinzu: "Andererseits sehen wir jetzt vielleicht
zum ersten Mal das kollektive Licht von winzigen Klumpen neu entstandener Sterne
im frühen Universum, die sich dann später im Laufe der kosmischen Zeit zu echten
Galaxien entwickelt haben."
Was auch immer der Ursprung der beobachteten filamentartigen Emission ist,
diese rekordverdächtige Aufnahme des kosmischen Netzwerks liefert wichtige neue
Erkenntnisse über die Entstehung von Galaxien und deren Wechselwirkung mit ihrer
Umgebung. Für die kommenden Jahre plant das Team weitere Beobachtungen mit MUSE,
um die Geheimnisse des kosmischen Netzwerks weiter zu entschlüsseln.
Über die Beobachtungen berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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