Das kosmische Netz durchleuchtet
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
22. Oktober 2014
Astronomen ist es jetzt gelungen, eine dreidimensionale
Karte aus der turbulenten Jugendzeit unseres Universums zu erstellen. Sie
verwendeten dazu eine neue Technik analog zur Computertomographie der Mediziner:
Mithilfe des Lichts entfernter Hintergrundgalaxien durchleuchteten sie den
Kosmos und rekonstruierten seine 3D-Struktur.
Dreidimensionale
Karte des kosmischen Netzes in einer Entfernung
von 10,8 Milliarden Lichtjahren von der Erde.
Bild: Casey
Stark (UC Berkeley) und Khee-Gan Lee (MPIA) [vergrößerte
Gesamtansicht] |
Auf den größten uns zugänglichen Größenskalen ist die Materie im Universum
als gigantisches Netzwerk von Filamentstrukturen mit Hunderten von Millionen von
Lichtjahren Ausdehnung arrangiert: das "kosmische Netz". Hauptkomponente der
Filamente ist die Dunkle Materie, die keinerlei Licht aussendet; außerdem finden
sich entlang des Netzes große Mengen von urtümlichem Wasserstoffgas, das direkt
aus der Urknallphase unseres Kosmos stammt.
Auch Galaxien, etwa unsere Milchstraße, finden sich bevorzugt auf den
Filamenten des kosmischen Netzes - als vergleichsweise winzige Tupfer auf den
Netzsträngen oder dort, wo die Filamente zusammenlaufen. Jetzt ist es einem
Astronomenteam unter der Leitung von Khee-Gan Lee, einem Astronomen am
Max-Planck-Institut für Astronomie, gelungen, eine dreidimensionale Karte einer
großen Teilregion des kosmischen Netzes zu erstellen, die knapp elf Milliarden
Lichtjahre von uns entfernt ist - aufgrund der großen Entfernung sehen wir diese
Region zu einer Zeit, als das Universum nur ein Viertel so alt war wie heute.
Ähnlich wie bei medizinischer Computertomographie, bei der das Innere des
menschlichen Körpers aus einer Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen rekonstruiert
wird, erstellten Lee und seine Kollegen ihre dreidimensionale Karte aus dem
Licht entfernter Hintergrund-Galaxien, welches den Wasserstoff des kosmischen
Netzes von hinten durchleuchtet.
Für eine derartige Durchleuchtung das gesammelte Sternenlicht ferner Galaxien
zu benutzen, hatte unter Astronomen als Zukunftsmusik gegolten - bis Lee
ausrechnete, dass es bereits mit heutigen Teleskopen gelingen konnte. "Ich war
überrascht, als sich zeigte, dass bereits heutige Teleskope hinreichend viel
Licht ferner Galaxien sammeln können sollten, um diese Art von Absorptionskarte
zu erstellen - wenn auch mit geringerer Auflösung als zukünftige Teleskope der
nächsten Generation", erläutert Lee. "Das Ergebnis wäre ein ganz neuer Blick auf
das kosmische Netz, das noch nie in so großer Entfernung kartiert worden war."
Lee und seine Kollegen bekamen Beobachtungszeit auf einem der größten
Teleskope der Welt: dem Keck-I-Teleskop am W. M. Keck-Observatorium, einem
zehn-Meter-Spiegelteleskop auf Mauna Kea, Hawaii. Dort stießen sie leider auf
durchaus irdische Probleme. "Wir waren sehr enttäuscht - das Wetter war
schrecklich, und wir konnten nur wenige Stunden lang gute Daten sammeln",
erinnert sich MPIA-Kollege Joseph Hennawi, der an den Beobachtungen beteiligt
war. "Aber bereits beim ersten Blick auf die Daten, die uns das Teleskop
geliefert hatte, war mir klar, dass unser Experiment funktionieren würde."
Auch wenn die Astronomen nur vier Stunden lang beobachten konnten - was sie
dabei an Daten aufnahmen, war etwas ganz Neues: Ihre Absorptionsmessungen an 24
schwachen Hintergrundgalaxien deckten einen kleinen Fleck Himmel so vollständig
ab, dass sie sich zu einer dreidimensionalen Karte des kosmischen Netzes
zwischen Hintergrundgalaxien und Beobachtern kombinieren ließen.
Eine Schlüsselrolle kam dabei dem zur Analyse verwendeten Algorithmus zu.
Hätten die Astronomen bei dieser großen Datenmenge einfach so losgerechnet, wäre
die Rechenzeit enorm gewesen. Glücklicherweise gelang es zweien der
Teammitglieder, Casey Stark und Martin White von der University of
California in Berkeley und dem Lawrence Berkeley National Lab,
einen verbesserten Algorithmus zu entwickeln, mit dem sich die Karte binnen
Minuten erstellen ließ.
"Wir merkten, dass wir den Algorithmus verbessern konnten, indem wir ihn auf
die besonderen Bedingungen unseres speziellen Problems zuschnitten – dann
verbrauchte er deutlich weniger an Speicher, und eine Rechnung, die wir vorher
auf einem Supercomputer hätten laufen lassen müssen, lief auf einmal auch auf
einem Laptop", so Stark.
Die Karte, die dabei herauskam, zeigt einen dreidimensionalen Ausschnitt
unseres Universums in einer Entfernung von elf Milliarden Lichtjahren - das
erste Mal, dass das kosmische Netz in so großer Entfernung kartiert werden
konnte. Da große Entfernungen gleichzeitig bedeuten, dass die Astronomen weit in
unsere kosmische Vergangenheit sehen, zeigt die Karte das ferne Universum so,
wie es vor etwa elf Milliarden Jahren aussah. Es hatte damals nur ein Viertel
seines jetzigen Alters und befand sich in einer Art "wilden Jugendzeit"
inklusive Wachstumsschub der Galaxien, die damals besonders viele neue Sterne
bildeten.
Die Karte zeigt Strukturen, die sich über Millionen von Lichtjahren
hinwegziehen und macht den Astronomen Lust auf mehr – genauer: auf
umfangreichere Kartierungen, die dann nicht nur die Struktur des kosmischen
Netzes zeigen, sondern auch seine Funktionsweise verstehen lassen: die Wege, auf
denen urtümliches Wasserstoffgas entlang der Stränge des kosmischen Netzes in
die Galaxien gelangt, wo es als Rohmaterial für das Galaxienwachstum dient und
somit als Baustoff für Sterne und Planeten.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen jetzt in einem Fachartikel
in der Zeitschrift Astrophysical Journal Letters.
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