Der Tanz massereicher Sternpaare
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Astronomie astronews.com
27. Januar 2021
Die meisten massereichen Sterne treten in engen Paaren auf,
in denen beide Sterne das gemeinsame Massenzentrum umkreisen. Doch wie wurden
diese Systeme zu dem, was sie heute sind? Ein Forschungsteam hat nun Hinweise
darauf gefunden, dass die Umlaufbahnen massereicher Doppelsterne nach ihrer
Entstehung schnell schrumpfen und sich beide Sterne dadurch einander nähern.
Illustration zweier Szenarien, die erklären,
wie die Bahnen von massereichen Sternen mit der
Zeit schrumpfen.
Bild: MPIA Graphikabteilung [Großansicht] |
Sterne entstehen meist in Haufen innerhalb von Wolken aus Gas und Staub. Ein
relativ kleiner Teil von ihnen hat eine Masse von mehr als dem Achtfachen der
Sonne und gilt daher als massereich. Aus noch unbekannten Gründen bilden sie oft
Doppelsternsysteme mit geringen Abständen zwischen den einzelnen Sternen. Eine
Gruppe von Astronominnen und Astronomen um Dr. María Claudia Ramírez-Tannus vom
Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) in Heidelberg hat nun entdeckt, dass
die Geschwindigkeitsdispersion massereicher Sterne mit dem Alter der Haufen, zu
denen sie gehören, rasch zunimmt.
Das Team führt den Effekt auf die Zunahme der Bahngeschwindigkeiten der
massereichen Doppelsterne zurück, da die Sterne allmählich näher zusammenrücken
und ihre Bahnen schrumpfen. Für ideale Situationen ist dieser Effekt als
Drehimpulserhaltungssatz bekannt. Das Gesetz besagt, dass die Geschwindigkeit
einer Rotation zunimmt, wenn sich die Masse zum Zentrum der Kreisbewegung
bewegt. Wir sehen dies zum Beispiel bei den Pirouetten von Eiskunstläufern, die
ihre Arme zum Körper bringen, um sich schneller zu drehen. Obwohl Doppelsterne
diesem Gesetz nicht vollständig entsprechen, ist die Analogie qualitativ dennoch
passend.
In den letzten Jahren hat die Forschungsgruppe mehrere junge
Sternentstehungsgebiete beobachtet. Sie maßen die Geschwindigkeit einzelner
massereicher Sterne und bestimmten deren Leuchtkraft und Oberflächentemperatur.
Dazu nutzten sie verschiedene Spektrografen, die am Very Large Telescope
der Europäischen Südsternwarte (ESO) in der chilenischen Atacamawüste
installiert sind. Ähnlich wie ein Prisma spalten diese Instrumente das Licht in
seine Farbkomponenten auf, was Physiker als Spektrum bezeichnen. Die
Spektrografen erfassen die Spektrallinien der chemischen Elemente in den
Sternatmosphären und bemerken selbst kleinste Wellenlängenverschiebungen.
Aus dieser Eigenschaft hat das Team nun die Geschwindigkeiten abgeleitet, mit
denen sich die Sterne entlang der Sichtlinie bewegen, die sogenannte
Radialgeschwindigkeit. Dazu ergänzten sie ihren Datensatz mit bereits
veröffentlichten Ergebnissen. Als die Astronomen all diese Geschwindigkeiten
kombinierten, erhielten sie die Geschwindigkeitsdispersion der massereichen
Sterne, die ein statistisches Maß für die Streuung der Radialgeschwindigkeiten
ist. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich massereiche Doppelsterne
zunächst auf großen Bahnen bilden und sich innerhalb kurzer Zeit zu engen
Doppelsternsystemen entwickeln", erklärt Ramírez-Tannus. "Das ist eine wichtige
Erkenntnis, die hilft, die Modelle der Entstehungsmechanismen einzugrenzen."
In der Tat neigen massereiche Doppelsterne in älteren Sternhaufen dazu, enge
Bahnen mit Umlaufperioden zwischen einigen Tagen und Wochen zu haben. Um zu
verstehen, was die Sterne dazu veranlasst, sich einander anzunähern, schlagen
Wissenschaftler zwei Szenarien vor. Sterne bilden sich aus dichten Ansammlungen
in großen Wolken aus Gas und Staub. Während der Sternentstehung wird diese
Verdichtung durch Rotation zu einer Scheibe abgeflacht, während im Zentrum der
Stern entsteht. Bilden sich bereits massereiche Doppelsterne als Paar,
durchdringen ihre Bahnen die Restscheibe. Durch Reibung mit dem Scheibenmaterial
schrumpfen die Bahnen und die Bahngeschwindigkeit nimmt zu.
Der zweite Mechanismus tritt in Systemen mit einem dritten, massearmen Stern
auf. Dessen Gravitationskraft lenkt die massereicheren Begleiter in elliptische
Bahnen, die sich im Laufe der Zeit immer kleineren und kreisförmigen Bahnen
annähern. Die reduzierten Bahnradien führen wiederum zu höheren
Geschwindigkeiten. In einigen Fällen wird der massearme Stern aus dem System
herausgeschleudert. Durch die zufällige Bewegung der Sterne in einem Haufen
ergibt sich ein enger Geschwindigkeitsbereich, der zu einer Streuung von nur
wenigen Kilometern pro Sekunde führt.
Befinden sich jedoch genügend enge massereiche Doppelsterne im Haufen,
verschieben deren schnelle Bahngeschwindigkeiten die Streuung zu höheren Werten.
Die Messung der Sternleuchtkräfte und Oberflächentemperaturen aus den Spektren
stellt den Zusammenhang mit dem Alter der Haufen her. Abhängig von ihrer Masse
haben Sterne eine charakteristische Kombination aus Leuchtkraft und Temperatur,
die sich mit dem Alter ändert. Durch die Messung der stellaren Eigenschaften der
Sterne können die Astronomen daher das Alter der Haufen bestimmen.
Durch die Kombination der Ergebnisse fanden die Wissenschaftler um Ramírez-Tannus
eine Korrelation zwischen der Geschwindigkeitsdispersion massereicher Sterne in
Haufen und deren Alter, was dafür spricht, dass die Dispersion innerhalb weniger
Millionen Jahre schnell zunimmt. Daraus schließen die Astronomen, dass die
Bahngeschwindigkeiten der Doppelsterne steigen, woraus zu schließen ist, dass
die Bahnen entsprechend kleiner werden. Die Geschwindigkeitsdispersionen selbst
geben jedoch nur einen eingeschränkten Blick auf die Vorgänge im Inneren der
einzelnen Doppelsternsysteme.
Deshalb hat Teammitglied Frank Backs von der Universität Amsterdam mithilfe
von Simulationen Informationen über die Umlaufzeiten der Doppelsterne gewonnen,
die mit den gemessenen Geschwindigkeitsdispersionen übereinstimmen. "Ich habe
viele Sternhaufen simuliert, indem ich die Verteilung der Bahnperioden ihrer
Doppelsternsysteme variiert habe. Auf diese Weise konnte ich berechnen, welche
davon zu den beobachteten Geschwindigkeitsdispersionen führen würden", erklärt
Backs. Er fügt hinzu: "Wir benötigten viele Simulationen, weil wir die genauen
Eigenschaften der Systeme, wie zum Beispiel ihre Orientierung, nicht kennen, die
die beobachteten Dispersionen beeinflussen."
Insgesamt hat die Studie einen klaren Trend ergeben, bei dem die kleinsten
Umlaufzeiten innerhalb von etwa 1,6 Millionen Jahren von Monaten auf wenige Tage
abnehmen. "Trotz der teilweise großen Unsicherheiten der einzelnen Messungen ist
der Trend eindeutig", stellt Ramírez-Tannus fest. "Obwohl die Zeitskala noch
nicht sehr genau bestimmt wurde, können wir daraus schließen, dass die Bahnen
massereicher Doppelsterne nach astronomischen Maßstäben schnell schrumpfen."
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in der
Zeitschrift Astronomy & Astrophysics erschienen ist.
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